Grafenbergschule Schorndorf: Warum Jugendliche öfter das Beratungsteam aufsuchen

„Ich fühle mich alleine, isoliert. Ich weiß nicht weiter, fühle mich unwohl, müde und ausgelaugt“, Petra Klaus-Zenetti, die gemeinsam mit Hermann Idarous als Beratungslehrerin an der Grafenbergschule Schorndorf fungiert, beschreibt die Aussagen, die sie in den vergangenen Monaten mehr als einmal von Schülern gehört hat. Im Allgemeinen hat das Beratungsteam der Grafenbergschule noch mehr Zulauf als sonst. Das bestätigt auch Sozialpädagogin Aysegül Caliskan vom Kreisjugendamt Rems-Murr: „Im ersten Quartal hatten wir rund 100 Beratungsgespräche. Die Zahl hat sich dieses Jahres fast verdreifacht.“
Was die jungen Menschen vor der Pandemie gesorgt hat? Da war die Zukunftsangst, weil die Freundin schwanger geworden ist oder die Verarbeitung des Trennungsschmerzes, die Traurigkeit, die man nicht einordnen konnte. Da war die Suche nach Gesprächen über den Leistungsdruck oder nicht immer guten Schulnoten und Problemlagen, die sich in der Pubertät mit den Eltern nicht immer bewältigen lassen. Ein vielfältiges Spektrum, das alleine schon für Herausforderungen sorgt. Und jetzt? Mit Corona – seit fast zwei Jahren?
Zur physischen Isolation ist eine emotionale hinzugekommen
„Diese Probleme sind immer noch da, aber es sind weitere hinzugekommen“, versucht es Petra Klaus-Zenetti zu erläutern. Die Beratungslehrerin benennt den Seelenzustand der Jugendlichen zwischen 15 und 25 Jahren: Niedergeschlagenheit.
Kinder und Jugendliche gehören zu den Verlierern der Pandemie. Darüber wurde mehr als einmal in den Medien berichtet, auch über die Folgen des Lockdowns im vergangenen Winter für die psychische Gesundheit. Wie ist die Situation? Wo liegen die Ängste? Was bewegt junge Menschen, die auch die Schulseelsorge aufzusuchen? Das Beratungsteam kann die psychosomatischen und physischen Folgen der Pandemie bei jungen Menschen noch lange nicht abschätzen. „Aber es ist eindeutig, dass zu der physischen Isolation auch eine emotionale hinzugekommen ist.“
Petra Klaus-Zenetti, Aysegül Caliskan und Schulseelsorgerin Meike Meisenberg versuchen zu verdeutlichen, wie sie in ihren Beratungen vorgehen. Suchen Schüler tatsächlich die Schulseelsorgerin auf? Meike Meisenberg lächelt. Die Frage kann sie nachvollziehen. „Es erscheint vielleicht ungewöhnlich und hängt damit zusammen, dass einige – gerade junge Menschen – oft nicht mehr religiös beheimatet sind“, so die katholische Religionslehrerin.
„Aber das Füreinander-da-Sein, das Miteinander-Leben, Augen und Ohren offenhalten, da sein und miteinander reden – genau das ist doch gelebter Glaube.“ Sie versucht in ihren Gesprächen hauptsächlich „da zu sein“. Zuzuhören, gemeinsam nach Ansätzen suchen oder einfach Trost spenden. „Außerdem versuchen wir religiöse, meditative und kleine Dinge in den Schulalltag einzubauen – die können alle am Schulleben Beteiligten annehmen oder nicht“, erzählt Meisenberg und nennt das Beispiel der „Haltestelle Advent“, die im Schulgebäude im Foyer aufgebaut ist und an der man im Treppenhaus vorbeikommt, stehen bleiben und innehalten kann.
Es bleibe häufig nicht bei nur einem Gespräch, sagt Meisenberg. Wie sie Probleme anpackt? Meike Meisenberg: „Die Pandemie stellt alle am Schulleben Beteiligten vor neue Herausforderungen. Die Rückkehr zur Normalität will umsichtig gestaltet werden. Wie können wir den Schülern das Gefühl geben, dass es jetzt nicht nur um Fachwissen und Notenfindung geht? Wie finden wir aus der Verunsicherung und Vereinzelung zurück zur Sicherheit und Gemeinschaft? Hier ist unter anderem die Schulseelsorge gefragt, weil uns das Wohlergehen aller am Herzen liegt.“ Schule soll eine Struktur, einen Halt geben. Sollte Orientierung geben und eine Begegnungsstätte sein. Dieser Lebensraum sei gänzlich in den vergangenen Monaten weggebrochen, sagt das Team. Ziel sei es bei den Beratungen – ob Corona herrscht oder nicht – die jungen Menschen „in die Welt zu führen, damit sie in die richtige Spur kommen“, so Klaus-Zenetti und weiter: „Sie sollen ein gutes Leben haben, und um dahin zu kommen, damit sie den Weg finden, der zu ihnen passt, geben wir Hilfestellung.“
Oft würden die Schulsozialarbeiter auch an Therapeuten verweisen wollen – aber derzeit gibt es lange Wartezeiten für Therapie-Plätze. „Wenn überhaupt – viele haben sogar keine Wartelisten mehr“, fügt Klaus-Zenetti an. „Mir ist aufgefallen, dass es durchaus Themen gibt, für die sich keine schnelle Lösung finden lässt“, sagt Meike Meisenberg. Dankbar sind die Kolleginnen, dass es eine „Netzwerkerin“ wie Aysegül Caliskan gibt, die sich in der Beratungslandschaft im Rems-Murr-Kreis auskennt. Mit der Sozialarbeiterin suchen viele das Gespräch – Schüler, sowie Eltern und Lehrer. „Meine Bürotür steht offen, jeder darf zu mir kommen. Per Mail oder Telefon bin ich ebenso erreichbar.“
Caliskan hat sich in der Vergangenheit neben der Einzelfallberatung auch um die Projektarbeiten wie beispielsweise den Sozialen Markt, der immer im Berufsschulzentrum abgehalten wird, gekümmert. In der Pandemie sind die meisten Projektarbeiten ausgefallen, sodass sich der Schwerpunkt auf die Beratungsgespräche verlagert hat. „Es sind auch ganz alltägliche Probleme, mit denen ich konfrontiert werde. Beispielsweise das Verfassen einer Bewerbung, oder die Begleitung zu einem Bewerbungsgespräch, wenn dies gewünscht ist“, berichtet die Jugendsozialarbeiterin.
Appell an die jungen Erwachsenen
All diese Aspekte gehören nach wie vor zur Arbeitsaufgabe. Wie lautet der Appell des Beratungsteams der Grafenbergschule, den es an die Jugendlichen richtet? „Mutig sein und sich trauen zu kommen, wenn Probleme und Sorgen drücken“, sagt Petra Klaus-Zenetti. Das Angebot ist kostenlos, und jede der Ansprechpartnerinnen und jeder der Ansprechpartner ist der Verschwiegenheit verpflichtet.
„Ich habe erlebt, dass Zuhören und Dasein in diesen Zeiten noch wichtiger geworden sind“, so Meisenberg. Hilfe zur Selbsthilfe sieht für das Beratungsteam der Grafenbergschule so aus, dass mit den jungen Erwachsenen Spuren gesucht werden, die in Wege münden. Die Entscheidung, für welchen Weg sich die Jugendlichen entscheiden, liegt dann bei ihnen.
Info zum Jugendtelefon „JuFon“
Vor Kurzem wurde das Jugendtelefon „JuFon“ eingerichtet. Bei Fragen, Problemen und Sorgen können sich junge Erwachsene unter den Telefonnummern 0 71 51/5 01 33 33 oder 0173/9 04 80 73 (Montag bis Freitag 16 bis 19 Uhr) melden - auch anonym.