Wie Rechte die Pressefreiheit bedrohen
Schorndorf. „Die Pressefreiheit funktioniert in Deutschland ganz gut. Aber sie wird immer wieder angegriffen. Dagegen muss man sich stellen“, sagt Raphael Thelen. Drei Monate lang ist der Journalist deshalb durch Sachsen gereist. Er wollte das gesellschaftliche Biotop verstehen, in dem Pegida gewachsen ist.
Video: Raphael Thelen hat sich für mehrere Wochen auf eine Sachsen-Reise begeben, um besser zu verstehen, wo der Nährboden für Pegida & Co herkommt.
Als vor fünf Jahren der Arabische Frühling begann, der sich längst in einen Herbst verwandelt hat, zog es Raphael Thelen in den Nahen Osten. Drei Jahre blieb er in der Krisenregion, arbeitete bei einer englischsprachigen Lokalzeitung in der libanesischen Hauptstadt Beirut, schrieb Reportagen über die Aufstände und geriet dabei auch schon mal zwischen die Fronten. Bei seiner Arbeit im arabischen Raum hat er sich mit manchen Autoritäten angelegt und viel Gewalt gesehen. Anlässlich des 250. Geburtstags ihres Namensgebers soll Thelen an der Johann-Philipp-Palm-Schule nun über das Thema Pressefreiheit reden.
Aggressive Sprechchöre, hetzerische Sprüche und brutale Gewalt
Er sagt: „Noch nie habe ich so viel Hass erlebt wie bei Pegida – nicht mal im Nahen Osten.“ Im Herbst 2015 kam der Journalist zum Jahrestag der islamfeindlichen Bewegung nach Dresden. Und war schockiert von der Aggressivität, den „Volksverräter“- und „Lügenpresse“-Sprechchören, den volksverhetzenden Sprüchen und der Gewalt, die im Anschluss an die Demo die Stadt bestimmte. Thelen sah Skinheads, die einen jungen Mann verprügelten. Thelen war verstört. Er kam wieder, erkennbar als Journalist, wurde bespuckt und bedrängt. Eine normale Berichterstattung war nicht möglich. Als er mit einem Team des arabischen Fernsehsenders Al-Jazeera die Veranstaltung besuchte, nahm er vorsorglich einen Sicherheitsmann mit.
Die Erlebnisse in Dresden machten dem heute 31-Jährigen deutlich: „Auch in Deutschland ist die Pressefreiheit zum Teil eingeschränkt.“ Vor allem in Sachsen, so der in Leipzig lebende Journalist, beobachtete er ein gesellschaftliches Klima, in dem zunehmend die Rechten das Sagen haben, von der Polizei zum Teil gedeckt werden und viele aus Angst vor ihrer Gewalt den Mund lieber nicht mehr aufmachen. Gemeinsam mit dem Fotografen Thomas Victor bereiste er deshalb das Bundesland. Thelen wollte das Biotop verstehen, in dem Pegida gewachsen ist. In Aue, der ersten Station, bekamen die beiden dann Schauriges zu hören: Ein Jugendlicher erzählte, wie er von Rechten verprügelt wurde, Liegestütze für den Führer machen musste und auf seinem Hals Zigaretten ausgedrückt wurden. Im Fußballstadion erzählte ihm ein Nebenmann, dass er am liebsten die Ausländer auf seiner Arbeitsstelle umbringen wolle – und auf dem Markt wurden ungeniert Landser-Heftchen verkauft. „Das ist das gesellschaftliche Klima dort“. Weil Thelen das genauso niederschrieb, wurde die Stadt wütend. Und als zwei Brandsätze gegen ein Auer Flüchtlingsheim flogen, spekulierte Bürgermeister Heinrich Kohl gar, es könnten Trittbrettfahrer sein, „aufgrund der medialen Berichterstattung nach einem sehr einseitigen Bericht eines Journalisten in einer großen deutschen Wochenzeitung“.
Der Bombenräumdienst und das unappetitliche Paket aus Aue
Kurz darauf erhielt Thelen dann ein Paket aus der Nähe von Aue. Vorsichtshalber rief er die Polizei. Der Bombenräumdienst stellte dann fest, dass sich eine Flüssigkeit darin befindet, er öffnete das Paket und fand: ein Glas voller Fäkalien sowie einen Brief, der erklärte, dass es sich hier um eine plastische Darstellung seiner Berichterstattung handle. „So funktioniert Einschüchterung.“
Zu einer Podiumsdiskussion in Aue erschien Thelen, trotz weiterer Drohungen über die sozialen Netzwerke, trotzdem. Und musste sich erst einmal eine Dreiviertelstunde lang beschimpfen lassen. Doch dann geschah etwas Überraschendes: Es meldeten sich andere Stimmen zu Wort, Bürger, die das Treiben der Rechten kritisch sahen. Plötzlich fing der Ort damit an, zu diskutieren. So dass am Ende selbst Bürgermeister Heinrich Kohl zugeben musste, dass die Stadt ein Problem habe, mit dem man sich auseinandersetzen müsse.
Und darum, so Thelen, gehe es bei der Pressefreiheit: dass Journalisten die herrschenden Verhältnisse kritisch hinterfragen und Dinge öffentlich aussprechen, die niemand sonst ausspreche.
Das Projekt „Neue Normalität – eine Reise durch Sachsen“ ist im Blog-Format verfasst. Texte, Fotos und Videos der Reise sind im Internet nachzulesen unter www.neuenormalitaet.de
Weitere Informationen sowie ausgewählte Reportagen des Journalisten gibt es auf seiner Homepage www.raphaelthelen.de zu lesen.