Zur Aussage gedrängt: Schorndorfer Amtsgericht spricht 22-jährigen Alfdorfer frei

Weil ihn die Polizei nicht über seine Rechte belehrte und ihn dadurch zu einer Aussage drängte, wurde ein 22-jähriger Mann aus Alfdorf vor dem Schorndorfer Amtsgericht freigesprochen. Die Staatsanwaltschaft hatte ihm vorgeworfen, ein E-Bike gestohlen zu haben.
Im April 2020 kontrollierte die Polizei in Schwäbisch Gmünd besagten Mann und zwei seiner Bekannten. Dabei fiel den Beamten anhand der entfernten Rahmennummer auf, dass der damals Verdächtige mit einem mutmaßlich gestohlenen E-Bike unterwegs war. Wegen „komischer Aussagen“ gegenüber den Beamten machte sich der 22-Jährige verdächtig und wurde von der Staatsanwaltschaft angeklagt.
Mit geliehenem Fahrrad unterwegs
Gleich zu Beginn der Verhandlung gab der Verteidiger des Angeklagten eine Erklärung ab. Sein Mandant habe das Fahrrad von einem Bekannten für eine Probefahrt geliehen und ihm versprochen, es wieder zurückzugeben. Näher wolle er nicht auf den Besitzer des Fahrrads eingehen. Die Polizisten hätten ihn bei der Kontrolle allerdings unter Druck gesetzt. Weil sein Mandant sich zur Aussage gezwungen sah und niemanden in Schwierigkeiten bringen wollte, habe er eine „andere Geschichte“ erzählt. Erst danach erklärte die Polizei dem Angeklagten, dass er auch das Recht zu schweigen gehabt hätte, trug der Verteidiger vor.
Größtenteils lebt er der eigenen Aussage nach aus der Tasche seiner Mutter
Um sich ein Bild von den Lebensumständen des Mannes zu machen, befragte ihn die Direktorin des Amtsgerichts, Doris Greiner, zu seinem Werdegang. Seit seinem Realschulabschluss 2017 hat der Angeklagte in verschiedenen Nebenjobs gearbeitet. Unter anderem auch in der Messe-Branche. Allerdings habe er diesen Job coronabedingt verloren. Er wisse nicht genau, was er weiterhin machen soll, eine abgeschlossene Ausbildung habe er nicht. Größtenteils lebt er der eigenen Aussage nach aus der Tasche seiner Mutter.
Der eigentliche Besitzer des E-Bikes, der sein Rad mittlerweile wiederhat, war als Zeuge geladen. Der 53-jährige Göppinger erzählte dem Gericht, dass er sein Fahrrad verkaufen wollte. „Ein junger Kerl“ mit schwarzen Haaren, unbekanntem Akzent und sportlicher Statur sei zu einer Probefahrt zu ihm gekommen. Als „Pfand“ hinterließ er dem Zeugen nach seinen Rucksack und seinen Geldbeutel, fuhr davon und tauchte nie wieder auf - das 3700 Euro teure Fahrrad war weg. Umgehend sei er mit dem Rucksack zur Polizei gegangen. Im Geldbeutel seien allerdings nur „ausländische Geldscheine“ und kein Ausweis gewesen.
Zeuge zieht Aussage umgehend zurück
Der Verteidiger des Beschuldigten fragte den Zeugen umgehend, ob sein Mandant denn der Mann von damals sei. Ohne zu überlegen, bejahte der Fahrradbesitzer. Das brachte nicht nur die Richterin zum Stirnrunzeln. Der Beschuldigte, der weder schwarze Haare hat noch mit Akzent spricht, war sichtlich schockiert. Und sein Anwalt wurde sehr deutlich: „Das kann doch nicht sein. Sie müssen vor Gericht die Wahrheit sagen.“ Der Zeuge überlegte kurz und zog seine Aussage zurück. Er könne sich doch nicht mehr so genau an den Dieb erinnern. Ebenfalls in den Zeugenstand trat der Polizist, der ursprünglich wegen des Fahrraddiebstahls ermittelte. Er sei damals von Kollegen informiert worden, dass ein mutmaßlich gestohlenes Fahrrad in einer Kontrolle gefunden worden sei. Als er den 22-Jährigen befragte, erzählte dieser, das Fahrrad ausgeliehen zu haben.
Verdächtiger wurde nicht belehrt
Nach einer kurzen Bedenkzeit habe er dann seine Geschichte geändert und erzählt, das Fahrrad in Schwäbisch Gmünd für 1500 Euro gekauft zu haben. Zunächst, und das ist wichtig, habe man ihn als Zeugen und nicht als Verdächtigen befragt. Und das, obwohl der Mann zu diesem Zeitpunkt sehr wohl unter Verdacht stand. Denn es ist das Recht eines jeden, den man verdächtigt, eine Straftat begangen zu haben, in einem Strafverfahren nicht gegen sich selbst aussagen zu müssen. Die Richterin fragte, ob die Polizei den Mann über den Verdacht gegen ihn und sein Aussageverweigerungsrecht belehrt habe. Der Polizist verneinte, und die Beweisaufnahme wurde geschlossen.
Die Staatsanwältin drückte sich im Schlussplädoyer klar aus: „Sie sind zu spät belehrt worden.“ Obwohl die Polizei den Mann offensichtlich verdächtigt habe. Außerdem glaube die Staatsanwaltschaft nicht an ein strafbares Delikt. „Sie sind freizusprechen.“ Der Verteidiger hatte dem nichts mehr hinzuzufügen. Die Richterin schloss sich der Staatsanwältin in ihrem Urteil an. Nach der Beweisaufnahme stehe keineswegs fest, ob der 22-Jährige den Diebstahl begangen oder bewusst Hehlerei betrieben habe. Die spontane Aussage des Besitzers, der den Mann zunächst als Täter identifizierte, hätte das Gericht „ohnehin nicht abgekauft“. „Das Ausleihen eines Fahrrads, ohne vorher zu wissen, ob es gestohlen war, ist nicht strafbar“, sagte Doris Greiner und sprach den Mann frei.