Rudi Goll ist seit 75 Jahren Mitglied im Schwaikheimer Musikverein: Die Musik als Lebenselixier

Rudi Goll war neun Jahre alt, als er in den Schwaikheimer Musikverein eingetreten ist. „Das war nach Kriegsende 1945“, erinnert sich der heute 84-Jährige. Noch immer hängt er am Musikverein, ist nach wie vor Mitglied, wenn auch inzwischen passiv. Seit nunmehr 75 Jahren also. „Ohne des Musizieren hätt i net so lang ausghalta“, sagt Goll, der geistig trotz des hohen Alters noch völlig auf der Höhe ist. Die ein oder andere Krankheit habe ihm das Leben etwas schwerer gemacht. Seit knapp zwei Jahren kann er wegen Lungenproblemen nicht mehr auf seinem geliebten Flügelhorn spielen. „Das Instrument ist ähnlich wie eine Trompete. Der Ton ist etwas weicher, es ist ein reines Melodieinstrument“, sagt Goll.
Als man sich bei Versammlungen noch fast verhauen hat
Rudi Golls eineiiger Zwillingsbruder Erhard spielte ebenfalls das Instrument. Der Zwillingsbruder ist ebenso wie Rudi Goll seit 75 Jahren im Musikverein. „Er hat allerdings etwas früher mit dem Spielen aufgehört als ich“, sagt Rudi Goll. Wie kam es, dass die beiden Mitglied im Schwaikheimer Musikverein wurden? „Unser Vater Adolf war Vorstand im Verein. Im Krieg sind viele Mitglieder gefallen. Man hat junge Leute gebraucht“, erinnert sich Rudi Goll. Einer, der alle Instrumente spielen konnte, ein Universaltalent, wenn man so will, habe sie ausgebildet.
Der 84-Jährige erzählt gut, der Zuhörer merkt, dass ihm das Spaß macht. So zum Beispiel das erste Wertungsspiel 1949 in Schwäbisch Gmünd. „Die anderen Vereine haben uns ausgelacht. ‘Die kommen mit lauter Kindern‘, haben sie gesagt“, erzählt Goll. „Uns hat das aber nichts ausgemacht. Wir haben den ersten Platz gemacht“, weiß Goll. Gut in Erinnerung geblieben sind ihm auch die 50er Jahre. Die Zeit also, in der Goll vom Jugendlichen zum Erwachsenen herangewachsen ist. „Sonntags sind wir damals oft mit Marschmusik durch den Flecken gelaufen“, sagt Goll und lacht. Auch von der einen oder anderen turbulenten Mitgliederversammlung weiß er zu berichten. „Es gab damals große Konflikte zwischen uns jungen und den älteren Mitgliedern über die Ausrichtung des Vereins. Eine Versammlung ging oft acht oder neun Stunden, und am Ende haben wir uns fast verhauen“, sagt Goll. Mitte der 50er Jahre war es auch, als Goll sich sein erstes eigenes Flügelhorn kaufte. „Vom ersten Gehalt als Lehrling. Ich wollte immer mein eigenes Instrument haben“, erinnert sich der Musiker.
48 Jahre war Rudi Goll Vizedirigent des Musikvereins
64 Jahre spielte Goll aktiv im Verein, 48 davon war er sogar Vizedirigent. „Unser Vizedirigent hat abgedankt. Dann habe ich zwei Lehrgänge in Schorndorf besucht und den Posten danach übernommen. Das muss 1960 oder 61 gewesen sein“, sagt Goll.
Mit seinem Bruder Erhard hat Rudi Goll viele Solostücke auf dem Flügelhorn gespielt. Gern erinnert sich Rudi Goll an die Ausflüge, die er mit dem Musikverein gemeinsam erlebt hat. „In den 90er Jahren waren wir mehrmals in Southampton in England“, sagt Goll. Dort habe man einen deutschen Verein besucht. „Wir haben ihnen Sauerkraut mitgebracht“, sagt Goll. Dem deutschen Verein haben die Schwaikheimer Musiker so gut gefallen, dass sie die Gruppe aus dem Rems-Murr-Kreis noch vor Ort zum nächsten Besuch eingeladen hätten. „Früher haben wir außerdem sehr viel in Stuttgart gespielt. Auf dem Killesberg, dem Schlossplatz oder im Kursaal in Bad Cannstatt. Pro Auftritt haben wir 400 Mark bekommen“, weiß Goll.
An solche Auftritte ist in der aktuellen Zeit kaum mehr zu denken. Wie Goll Corona erlebt? „Sehr frustrierend“, antwortet der Musiker, der in einer Ecke des Hauses, in dem er mit seiner Frau Gretel lebt, all seine Musik-Auszeichnungen hängen hat. „Ich bin froh, dass ich noch mit meinen Kindern und Enkeln zusammenkommen kann“, erzählt er. Sonst habe sich inzwischen viel durch die Pandemie verändert. „Natürlich auch im Musikverein.“ Doch das ist für Goll nichts Neues. „Man kann sich nicht vorstellen, wie oft es in meinen 75 Jahren im Musikverein Veränderungen gab. Von der Vorstandschaft bis zu den Musikanten“, sagt Goll.