Urbach

Warum wollen so wenige Frauen Bürgermeister werden?

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Die Anforderungen an einen Bürgermeister sind vielfältig. In einer fiktiven Stellenanzeige für die Gemeinde Idealdorf haben wir diese Erwartungen etwas überspitzt formuliert. © Ramona Adolf
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Prof. Dr. Arne Pautsch, 43, ist Professor für Öffentliches Recht und Kommunalwissenschaften an der Hochschule für Verwaltung und Finanzen in Ludwigsburg, Direktor des Instituts für Bürgerbeteiligung und Direkte Demokratie und Dekan der Fakultät I - Management und Recht.
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Martina Fehrlen ist im April zur neuen Bürgermeisterin von Urbach gewählt worden.

Urbach/Waiblingen. Martina Fehrlen in Urbach ist als vierte Frau im Rems-Murr-Kreis zur Bürger- beziehungsweise zur Oberbürgermeisterin gewählt worden. Ist Schultes nach wie vor ein Männerberuf? Wir fragten Dr. Arne Pautsch, Professor für Öffentliches Recht und Kommunalwissenschaften an der Hochschule für Verwaltung und Finanzen in Ludwigsburg. Die Fragen stellte unser Redaktionsmitglied Martin Winterling.

Herr Pautsch, wie hoch ist der Frauenanteil an der Hochschule für öffentliche Verwaltung und Finanzen in Ludwigsburg?

Der Anteil an weiblichen Studierenden liegt deutlich über dem der männlichen Studierenden. Derzeit sind im Bachelor-Studiengang Public Management etwa zwei Drittel der Studierenden Frauen.

Was sind die Berufs- und Karriereziele der Studierenden? Gibt es einen Unterschied zwischen Mann und Frau?

Insofern ergibt sich ein differenziertes Bild, das aber nicht immer an den bisherigen überkommenen Rollenverständnissen zwischen Mann und Frau festzumachen ist. Kennzeichnend für das Studium an der Verwaltungshochschule ist, dass durchaus von einer Mehrheit eine verantwortungsvolle Position in den öffentlichen Verwaltungen - vor allem in den Rathäusern – angestrebt wird. Das kann gerade in kleineren Gemeinden auch bereits beim Berufseinstieg die Funktion etwa des stellvertretenden Hauptamtsleiters oder des Kämmerers sein. Das ist kein ungewöhnliches Karriereziel. Und die Erfahrungen nicht weniger Absolventen zeigen, dass es gerade ein Spezifikum in Baden-Württemberg ist, dass bereits mit dem Bachelorabschluss durchaus gehobene Positionen erreicht werden können. Das deckt sich mit den Karrierezielen der Studierenden, die gerade nicht auf eine dauerhaft reine Sachbearbeitertätigkeit ausgerichtet sind. Einen verallgemeinerungsfähigen Unterschied zwischen Mann und Frau gibt es insoweit nach meiner Einschätzung nicht. Das ändert sich nur mit Blick auf weitere Karriereoptionen wie dem Bürgermeisteramt oder der Funktion der Beigeordneten.

Sind Frauen weniger „karrieregeil“ als Männer?

Das ist ein schwieriger Begriff. Es geht eher um die Frage, wer eher bereit ist, die hohe zeitliche Belastung und - gerade mit Blick auf das Bürgermeisteramt - das Risiko eines Scheiterns bei der Wiederwahl auf sich zu nehmen.

Ist der Beruf des Bürger- beziehungsweise Oberbürgermeisters im Studium ein Thema? Gibt es dazu spezielle Vorlesungen oder einen Abschluss?

Der Bürgermeisterberuf ist selbstverständlich ein wichtiges Thema im Studium, und wir haben mit einem eigenen Schwerpunkt „Kommunalpolitik und Führung im öffentlichen Sektor“ einen gut nachgefragten Vertiefungsbereich gegen Ende des Studiums. Dort steht auch und gerade der Beruf des Bürgermeisters im Mittelpunkt.

Im Arztberuf hat sich ein Wandel vollzogen, der sich bei der Besetzung von Hausarzt-Praxen bemerkbar macht: Stichwort: Life-Work-Balance. Frauen sind weniger zu einem Rund-um-die-Uhr-Beruf bereit, als es früher Männer waren. Ist der Beruf des Bürger- oder Oberbürgermeisters überhaupt erstrebenswert, wenn im Leben Familie und Kinder nicht zu kurz kommen sollen?

Dieser Befund ist sicher zutreffend. Es lässt sich nicht leugnen, dass es allgemein eine abnehmende Tendenz gibt, sich der 80-Stunden-Woche des Bürgermeisteramtes zu stellen. Das betrifft übrigens nicht nur die Frauen, auch Männern geht es so, dass die Life-Work-Balance zunehmend wichtiger erscheint. Das erklärt übrigens auch, weshalb die Bereitschaft, für ein Bürgermeisteramt zu kandidieren, in den letzten Dekaden merklich abgenommen hat.

Bei den letzten Bürgermeisterwahlen im Rems-Murr-Kreis fiel auf, dass - von nicht ernstzunehmenden Kandidaten abgesehen - die „Wahl“ sehr eingeschränkt war. Glück für die Bürger, wenn sie zumindest die „Wahl“ zwischen zwei passablen Kandidaten/-innen hatten. Gilt Schultes zu werden bei den Studierenden nicht mehr als Traumberuf?

Es ist hier schon ein Wandel zu verzeichnen. Das hat auch mit geänderten Lebensgewohnheiten zu tun und damit, dass das Maß an Verantwortung und die Aufgaben gestiegen sind. Auch die politische Kultur hat sich verändert, die Bürgerinnen und Bürger möchten sich zum Teil auch zwischen Wahlen stärker ins Geschehen einbringen. Stichwort: Bürgerbeteiligung. Das ist grundsätzlich zu begrüßen, führt aber auch dazu, dass sich Bürgermeister neu ausrichten müssen. Vielfach geschieht das schon in vorbildlicher Weise, aber es verlangt eben auch insoweit eine erhöhte Verantwortung - und Zeit.

Wie könnte aus Sicht eines Fachmannes für öffentliche Verwaltung und Finanzen der Beruf Bürgermeisterin attraktiver werden?

Es muss stärker auf das gesetzt werden, was in Baden-Württemberg traditionell den Bürgermeisterberuf ausgezeichnet hat: die hohe fachliche Qualifikation, die durch das Studium an den Verwaltungshochschulen erworben wird. Damit ist ein klarer Fokus auf die Verwaltungsleitung gerichtet. Mitunter sind wir auch als Verwaltungshochschulen gefordert, dies stärker im Studium zu verankern. Wobei man auch sagen muss, dass der Ruf der Verwaltungshochschulen als „Bürgermeisterschmieden“ noch präsent ist. Immerhin sind die meisten der jungen Bürgermeister in Baden-Württemberg nach wie vor Absolventen der Hochschulen in Ludwigsburg beziehungsweise in Kehl.

Und wie könnte die Bereitschaft der Absolventen dieser Bürgermeisterschmieden gefördert werden, tatsächlich in den Städten und Gemeinden zu kandidieren?

Es wird konkret darauf ankommen, die fachliche Verantwortung in der Verwaltungsleitung auf mehrere Schultern zu verteilen. Es wäre zum Beispiel eine Option, die Möglichkeit, Beigeordnete zu bestellen, auch kleineren Gemeinden zu ermöglichen. Das bedürfte einer Änderung der Gemeindeordnung und des Kommunalbesoldungsgesetzes, und damit wären natürlich höhere Personalkosten verbunden. Aber es wäre ein Ansatz, der wenigstens diskutabel sein sollte. Das könnte für eine Entlastung an der Verwaltungsspitze sorgen und zu einer Attraktivitätssteigerung des Bürgermeisterberufs führen. Wie gesagt, es ist eine Option.

Sind im Rathaus Job-Sharing-Modelle denkbar, um die Belastung durch die Terminflut zu begrenzen?

Das ist tendenziell schwierig, weil das Wahlamt des Bürgermeisters nicht teilbar ist. Aber durch eine Aufteilung der Verwaltungsleitungsaufgaben ließe sich möglicherweise ein zukunftsweisender Weg aufzeigen. Die hessische Magistratsverfassung ist in gewisser Hinsicht so ein Modell, das schon lange besteht.

Müssen wir uns von dem Bild eines Schultes verabschieden, der immer und überall den Grüßonkel beziehungsweise die „Grüßtante“ spielt, nebenher Kreisrat ist, in den örtlichen Vereinen aktiv und noch weitere „Ehrenämter“ bedient?

Das sehe ich jedenfalls so. Das Ehrenamt und die Verankerung vor Ort - etwa in Vereinen - sind für den Bürgermeister sicher förderlich. Aber die Figur des Bürgermeisters als stets erreichbarer „Kümmerer“, die damit ja letztlich immer gerne verbunden wird, ist meines Erachtens eine Fiktion. Wichtiger ist es, wie gesagt, dass das Berufsbild des Bürgermeisters auf das konzentriert wird, was es in erster Linie ist: eine Gemeindeverwaltung gut zu führen.


Urbach. Ohne die Unterstützung und das Verständnis der Familie und der Freunde ist es nicht möglich, das Privat- und Familienleben und das Amt eines Bürgermeisters unter einen Hut zu bekommen, sagt Martina Fehrlen. Die 40-Jährige wurde vergangenes Wochenende zur Urbacher Bürgermeisterin gewählt.

Weshalb ist der Beruf „Schultes“ für Frauen weniger attraktiv als für Männer?

Bürgermeisterin zu sein beziehungsweise zu werden ist kein Beruf, sondern eine Berufung. Dass ich dies wahrnehmen kann, verdanke ich ganz maßgeblich meinem Mann, der mir zu Hause den Rücken freihält und mich unterstützt. Ohne diese Voraussetzung könnte ich das Amt nicht ausfüllen. Eine Karriere in der freien Wirtschaft, im öffentlichen Dienst oder in der Politik ist für Frauen genauso möglich wie für Männer. Frauen sind sogar häufig besser ausgebildet und haben bessere Abschlussnoten als Männer. Sobald allerdings Kinder das Leben bereichern, muss die Organisation zu Hause geklärt werden. Ohne klare Absprachen und Zuständigkeiten kann ein Familienleben nicht funktionieren. Zum Glück gibt es inzwischen eine Wahlfreiheit, so dass die Familien in Deutschland selber entscheiden können, welches Modell für sie privat und beruflich richtig ist. Durch neue Rollenmodelle und -vorbilder werden in Zukunft sicherlich immer mehr Frauen in exponierte Führungspositionen und damit auch in die Rathäuser einziehen. Der Beruf „Schultes“ ist nicht weniger attraktiv für Frauen als für Männer, sondern bedarf nur deutlich mehr Organisation des Privat- und Familienlebens.

Wie muss ein Kandidat, egal ob Mann oder Frau, gestrickt sein, um Bürgermeister werden zu wollen?

Um ein Ziel zu erreichen, müssen Sie konsequent Ihren Weg gehen und auch bei Niederschlägen aufstehen und weitergehen. Dies gilt für den Beruf wie für den Sport oder andere Ziele. Ein Bürgermeister ist Verwaltungsleitung und sollte sich daher im Verwaltungshandeln auskennen. Ein entsprechendes Studium stellt eine wichtige Grundlage dar. Darüber hinaus ist er Führungskraft und hat eine Vorbildfunktion. Ein Bürgermeister ist aber auch erster Repräsentant der Gemeinde und muss daher Freude daran haben, sich mit anderen Personen auszutauschen, bei Vereinen, Verbänden und anderen Akteuren die Gemeinde zu vertreten und in Kommunikation mit den Menschen vor Ort zu treten. Optimalerweise kennt der Bürgermeister die Vereinsarbeit aus eigener Erfahrung und weiß, wie man das Ehrenamt motiviert und begleitet. Um einen Wahlkampf erfolgreich zu meistern und um nach der Wahl das Privat- und Familienleben gut zu organisieren, benötigt ein Kandidat darüber hinaus die große Unterstützung und das Verständnis seiner Familie und Freunde.


Eins, zwei, drei, vier

1995 gewann Irmtraud Wiedersatz als erste Frau eine Bürgermeisterwahl im Rems-Murr-Kreis in der 3700-Einwohner-Gemeinde Burgstetten. 2011 wurde sie mit fast 80 Prozent zum dritten Mal wiedergewählt.

2013 folgte die Wahl von Katja Müller in Kaisersbach. Müller stammt aus Kaisersbach, hat dort auf dem Rathaus gelernt, war zuvor Ortsvorsteherin in Schlechtbach und hatte in der Gemeinde Berglen bereits kandidiert.

2016 übernahm Gabrielle Zull den Chefsessel im Rathaus der Großen Kreisstadt Fellbach. Die Juristin ist die erste Oberbürgermeisterin im Rems-Murr-Kreis.

Mitte April ist Martina Fehrlen im ersten Wahlgang in Urbach zur Bürgermeisterin gewählt worden.

Im vergangenen Jahr hatten in Baden-Württemberg lediglich sieben Oberbürger- und 76 Bürgermeisterinnen in den 1101 Gemeinden das Sagen. Der Frauenanteil beträgt nur 7,5 Prozent. Bürgermeisterinnen stünden mehr unter Beobachtung als ihre männlichen Kollegen, hieß es bei einem Bürgermeisterinnen-Treffen 2017 in Bad Saulgau.