Waiblingen

Haftstrafe für Drogensüchtigen

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Symbolbild. © ZVW/Danny Galm

Waiblingen/Fellbach. Mit sieben Jahren fing er an, Zigaretten zu rauchen, mit elf Jahren Marihuana. Noch vor dem Hauptschulabschluss kamen Kokain und Heroin hinzu. Er schlug sich mit Zeitarbeitsjobs durch und verkaufte Drogen, um für seinen eigenen Konsum aufkommen zu können. Nun stand der 38-jährige Fellbacher vor Gericht, weil er versucht haben soll, einer Frau die Handtasche zu rauben und einer anderen die Geldbörse plünderte.

Fellbach, an einem frühen Septembermorgen: Susanne K. (Name von der Redaktion geändert) ist wie jeden Tag auf dem Weg zur S-Bahn. Einen Tag noch arbeiten, dann will sie in den Urlaub fahren. In einer Hand hält sie ihr Smartphone, in ihrer Handtasche hat sie Bargeld für den Urlaub dabei – 450 Euro. Gerade biegt sie auf den Marktplatz ab, da packt sie plötzlich jemand von hinten am Arm. Reflexartig zieht sie ihre Handtasche auf die Brust, umklammert sie. Nach kurzem Gerangel geht sie zu Boden, knallt mit dem Hinterkopf auf das Pflaster, der Täter verliert ein Klappmesser. Die Platzwunde muss mit acht Stichen genäht werden. Der Täter flüchtet, kehrt aber kurz darauf unter fadenscheinigen Gründen zum Ort des Geschehens zurück. Dort kann die Polizei ihn festnehmen.

Beim Pokémon Go spielen überfallen

Szenenwechsel. Wieder Fellbach, diesmal an einem Abend im Dezember. Melanie B. (Name geändert) ist nach der Spätschicht auf dem Heimweg. Sie beschließt, noch einen Abstecher zu einem nahegelegenen Spielplatz zu machen, weil sich dort eine virtuelle Arena befindet, in der sie in dem Handy-Spiel „Pokémon Go“ Monster jagen kann. Auf einmal hört sie Schritte, dreht sich um. „Geldbeutel her oder ich stech’ dich ab“, hört sie eine Stimme sagen. Hinter ihr steht ein Mann, mit einer groben Wollmütze bekleidet, ein Messer in der Hand. Sie reagiert geistesgegenwärtig, bringt den Täter dazu, die Waffe wegzustecken, gibt ihm ihr Bargeld. Fünf Euro, mehr hat sie nicht dabei. Später kann die Frau den Täter anhand von Polizeifotos und Kleidung identifizieren.

Szenenwechsel. Amtsgericht Waiblingen. Der Mann der beide Überfälle verübt haben soll, ist wegen versuchten schweren Raubes in Tateinheit mit Körperverletzung und schwerer räuberischer Erpressung angeklagt. Beide Opfer sagen vor Gericht als Zeuginnen aus, beide haben noch heute mit den Folgen der Überfälle zu kämpfen. Körperliche Beschwerden hat keine von ihnen, doch der Schreck sitzt ihnen noch immer in den Knochen. Sie fahre seitdem nicht mehr mit der Bahn zur Arbeit, berichtet Susanne K. Melanie B. vermeidet seit dem Überfall Spätschichten und lässt sich abends von ihrem Mann abholen.

Mit Elf das erste Mal gekifft

Der Angeklagte zeigt Reue. Es tut ihm sichtlich leid, was er den beiden Frauen angetan hat. Bei einer entschuldigt er sich, die andere lässt dies nicht zu. Zur Sache macht er keine Angaben, aber zu seiner Biografie: Zusammen mit einer Schwester ist er bei seiner Mutter aufgewachsen. „Mit sieben, acht Jahren habe ich angefangen zu rauchen, also Zigaretten“, sagt er. Einige Tage vor seinem zwölften Geburtstag habe er dann zum ersten Mal Marihuana versucht. Später, im Alter von 13 oder 14 Jahren, probierte er Kokain aus und Heroin. Was aus Neugier begann, endete schnell in einer ausgewachsenen Abhängigkeit. Bereits in den 1990er Jahren begab er sich in Behandlung, bekam Ersatzmedikamente für das Heroin. Doch die Sucht blieb bestehen, er wurde rückfällig. Irgendwie schaffte er dennoch seinen Hauptschulabschluss. Zwei Ausbildungen brach er ab, schlug sich mit Zeitarbeitsjobs durch. Immer begleiteten ihn die Drogen, mal mehr, mal weniger. Er war Dauergast in Suchtkliniken und Therapieeinrichtungen. 2016 schließlich, da „explodierte“ seine Sucht, wie es eine als Sachverständige geladene Psychiaterin ausdrückt. Polytoxikomanie heißt der Fachbegriff.

In diese Zeit der schweren Abhängigkeit fallen auch die beiden Überfälle. Aus Sicht der Gutachterin sind die beiden Taten daher „ganz klar als Beschaffungskriminalität zu werten“. Ihre Prognose: Konsumiere der Angeklagte weiter Drogen, sei auch mit unveränderter Delinquenz zu rechnen – sprich, werde der Mann weiter Straftaten begehen, um sich Drogen zu beschaffen. Aber er sei durchaus motiviert, aus dem Sumpf herauszukommen und fähig, sich selbst zu hinterfragen. Vor Gericht sagt der Angeklagte, er wolle es nun schaffen, wolle seine Kinder aufwachsen sehen (einen Sohn und eine Tochter) und auch selbst noch etwas auf die Beine stellen in seinem Leben. Die Sachverständige empfiehlt deshalb, den Angeklagten im sogenannten Maßregelvollzug unterzubringen. Dort werden Straftäter mit psychischen oder Suchterkrankungen untergebracht, deren Taten auf ihre Erkrankung zurückgehen. Suchtkranke können in einer Entziehungsanstalte untergebracht werden, wenn weitere, durch ihre Abhängigkeit bedingte, Vergehen zu erwarten sind.

Therapie als Möglichkeit zum Neuanfang

Dieser Empfehlung folgt am Ende auch das Gericht. Was das Strafmaß angeht, orientieren sich Richter Kirbach und seine Schöffen jedoch an dem, was der Staatsanwalt fordert: Für drei Jahre und sechs Monate muss der Fellbacher in Haft, er wird in zunächst in einer Entziehungsanstalt untergebracht. Die lange Strafe begründet der Richter mit den psychischen Folgen der Taten, unter denen beide Opfer noch heute leiden. Außerdem sei der Mann in beiden Fällen bewaffnet gewesen.

In der Haftstrafe sieht der Richter zudem eine letzte Möglichkeit für den Angeklagten, eine langfristige Therapie zu machen. Danach, so Kirbach, könne er einen „Restart“ machen.