Zu fünft in Quarantäne auf 57 Quadratmetern: Warum die Mutter elf Tage bleiben musste, die Kinder aber 24 Tage - und warum das so nicht mehr vorkommt

Eine Wohnung mit 57 Quadratmetern, mitten in der Stadt, kein Balkon: Hier hat die Familie von Ada Rain nach einem positiven Corona-Test ihre Quarantäne verbracht. Nicht nur die Zeit in der Absonderung war für die Eltern und die drei kleinen Kinder hart. Auch einige Zeit danach bemerkt die Mutter noch Verhaltensveränderungen. Sie glaubt: Das hat auch damit zu tun, dass ihre Kinder ganze drei Wochen in Quarantäne mussten, sie hingegen nur eineinhalb Wochen. Warum war das so? Und warum wird es so wohl nicht mehr vorkommen?
Angesteckt haben sie sich ausgerechnet am ersten Tag in der neuen Kita: Ada Rain ist mit ihrem fünfjährigen Sohn an diesem Tag Ende Oktober nur zweieinhalb Stunden vor Ort, die Eingewöhnungsphase hat gerade erst begonnen. Die Räume sind klein, die Zeit reicht für die Übertragung des Coronavirus. Nach drei Tagen werden sie über das positive Testergebnis einer Erzieherin, mit der sie viel Kontakt hatten, informiert. Am nächsten Tag lässt sich die ganze Familie beim Kinderarzt testen, das Ergebnis liegt schon tags darauf vor: Die Mutter ist infiziert. Ihr Mann, ihr Sohn und die zweijährigen Zwillingsmädchen nicht.
Telefonisch erfährt Ada Rain vom Gesundheitsamt der Stadt Stuttgart – die Familie wohnt in Bad Cannstatt –, dass alle in Quarantäne müssen. Erst einige Tage später kommt dann der Brief mit den genauen Daten: Die Isolation für die positiv getestete Mutter dauert insgesamt elf Tage – die schon fast vorüber sind, als die schriftliche Anordnung ankommt. Nicht aber für Ada Rains Mann und die drei Kinder: Für sie als Kontaktpersonen soll die Quarantäne noch knapp zwei Wochen länger dauern. Insgesamt sind bei ihnen 24 Tage angesetzt. 14 mehr als bei der Mutter.
Quarantäne für Haushaltsangehörige wird jetzt anders berechnet
Warum? Laut Pressestelle der Stadt ist das Gesundheitsamt Stuttgart wohl davon ausgegangen, dass fünf- und zweijährige Kinder viel Kontakt zur Mutter haben, diese sich also nicht innerhalb der Wohnung vom Rest der Familie isolieren kann. Die Quarantäne der Kinder dauert deswegen ab dem letzten Quarantäne-Tag der Mutter – an dem sie theoretisch noch die Kinder hätte anstecken können – weitere 14 Tage.
Schlechtes Timing haben die Rains auch: Denn etwa zeitgleich verändert die Stadt die Art, wie sie bei Kontaktpersonen der Kategorie I die Isolationsdauer berechnet. Grundsätzlich wurde sie in Stuttgart bis 30. Oktober nach dieser Formel festgelegt: Zeitpunkt des letzten Kontakts zur Infizierten + 14 Tage. „Bei Menschen, die zusammen im selben Haushalt leben und sich nicht voneinander absondern konnten, kam es so zu der beschriebenen langen Dauer der Kontaktpersonen-Quarantäne“, so die Pressestelle der Stadt. Doch am selben Tag, an dem Ada Rain von dem positiven Fall in der Kita erfährt, veröffentlicht das Robert-Koch-Institut eine neue Empfehlung: nämlich für Haushaltsmitglieder eines Corona-Infizierten „eine Quarantäne von 14 Tagen – gezählt ab dem Symptombeginn des Primärfalles“. Auch Stuttgart übernimmt das.
Für die Kinder von Ada Rain hätte die häusliche Isolation damit deutlich kürzer sein können. Ihr Bescheid ist allerdings noch nach den vorherigen Bestimmungen berechnet worden. „Die genannte Familie war offensichtlich in der Übergangszeit zwischen den beiden Regelungen in Quarantäne“, so die Pressestelle.
Im Rems-Murr-Kreis wurde die Dauer der Isolation für Haushaltsangehörige laut Landratsamt schon länger so berechnet, wie vom RKI Ende Oktober empfohlen. Mittlerweile ist aber auch das überholt. Seit Ende November gilt landesweit: „Die Absonderung endet für Haushaltsangehörige einer positiv getesteten Person frühestens 14 Tage nach deren Testung oder nach deren Symptombeginn.“ Ab diesem Mittwoch, 2. Dezember, ist die Dauer auf zehn Tage verkürzt, bestätigt das Sozialministerium.
Verständnis für Schutzmaßnahme gegen Corona - aber schlimm für die Kinder
Ada Rain sagt, sie verstehe natürlich, dass ihre Familie erst mal in Quarantäne musste, nachdem sie selbst positiv auf Corona getestet worden war. Schließlich wollten sie ja auch niemanden anstecken. Doch dass ihre Kinder trotz zweier negativer Tests – einer davon nach Ende ihrer Quarantäne – nicht wenigstens an die frische Luft durften, kann sie nicht nachvollziehen.
Drei Wochen in einer engen Wohnung, nicht auf den Spielplatz, das sei für die Kleinen schlimm gewesen. „Die Mädels haben in den ersten Tagen arg geweint, weil sie rauswollten“, sagt Ada Rain über ihre zweijährigen Zwillinge. „Sie standen an der Tür und haben sich die Schuhe angezogen.“ Gleichzeitig ist die 39-jährige Mutter gerade am Anfang der Isolation selbst entkräftet: Corona macht ihr mit Fieber, Gliederschmerzen und Schwindel zu schaffen. Für die Kinder ist laut Rain sicher auch irritierend, dass die Mama ständig Maske trägt, um sie möglichst nicht anzustecken.
Die Eltern bemühen sich, eine neue Tagesstruktur zu schaffen, die Kinder so gut es geht zu beschäftigen, sie herumturnen zu lassen. Doch die Kleinen sind nicht ausgelastet, streiten sich viel, können abends nicht einschlafen. „Es gab die ganze Zeit Geheule, Geschrei, Streit“, berichtet Ada Rain. Obwohl die Eltern das eigentlich nicht gut finden: Oft ist es nur noch der Fernseher, der die Kinder ablenken kann.
Als Ada Rain nach eineinhalb Wochen die Quarantäne wieder verlassen darf und zur Arbeit gehen muss, hat sich ihr Mann tagsüber allein um die drei Kinder zu kümmern. Gleichzeitig kriegt er nur wenig Schlaf, weil er nachts für seine Ausbildung lernen und nacharbeiten muss.
Sorge um fünfjährigen Sohn: Verhalten wie ein Zweijähriger
Besonders sorgt sich die Mutter während der dreiwöchigen Quarantäne um ihren Sohn. Der Fünfjährige passt sich, so beobachtet sie es, an die jüngeren Geschwister an. „Für den war es nix, so lange nur mit Zweijährigen zusammen zu sein“, sagt die Mutter. „Am Ende hat man den Altersunterschied fast nicht mehr bemerkt.“ Es habe ihm einfach an ebenbürtigen Spielkameraden gefehlt – und das nicht zum ersten Mal. Vor allem der Fünfjährige hat unter diesem Corona-Jahr gelitten, glaubt Ada Rain.
Dass sich Kinder unter solchen belastenden Bedingungen nicht altersgemäß verhalten, sondern kleinkindlicher werden, kann vorkommen, bestätigt der Waiblinger Kinderarzt Stefan Klimmeck. Er spricht dabei von Regression. Die Kinder sehnten sich unbewusst in eine Zeit zurück, in der sie sich sicher gefühlt haben. Allerdings könnte die Verhaltensveränderung im Fall von Ada Rains Sohn auch einfach mit der Überzahl der jüngeren Zwillingsschwestern zu tun haben, so der Arzt.
In seiner Praxis seien ihm bislang zwar keine vermehrten Probleme aufgrund von Quarantäne-Erfahrungen aufgefallen. Bedenklich findet er aber, dass kleine Kinder seit dem ersten Lockdown kaum schwimmen lernen können. Er könne sich vorstellen, dass Motorikprobleme auftauchen.
Als auch Ada Rains Kinder und ihr Mann nach drei Wochen endlich wieder aus der Wohnung rausdürfen, müssen sie sich daran erst gewöhnen. Die Kinder werden in den ersten Tagen schnell müde, auf dem Spielplatz wollen die Zweijährigen nicht wie vorher alleine rutschen und kommen nicht mehr so gut auf die Schaukel hoch. Die Quarantäne auf 57 Quadratmetern hat – wenn auch vorübergehend – Spuren hinterlassen. Ada Rain sagt: „Unser Leben war in der Zeit so, wie wir es nicht wollen: ungesund und nicht kindgerecht.“