Welzheim

Bürgermeister mit Ängsten konfrontiert

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© Ramona Adolf

Welzheim. Nach 30 Minuten steht Bürgermeister Thomas Bernlöhr das erste Mal auf. Er stellt sich dem Welzheimer, der seinen kritischen Standpunkt offensiv – sitzend und stehend – anspricht. Viel Ärger also bei der Infoveranstaltung zur Unterbringung von 120 Flüchtlingen in der Schorndorfer Straße 44 und 46? Bedingt. Vereinzelt wurde es laut und auch zynisch. Die Mehrheit der Klatschenden zeigte sich offen. Ein gemischtes Echo auf die Unterbringung weiterer Flüchtlinge und Zuwanderer.


Etwas hinter dem unermüdlichen Fragesteller, der sich auch mal vor dem Bürgermeister aufbaut, sich dem Publikum zuwendet und wild – aber nicht drohend – gestikuliert, sitzt ein Welzheimer Paar. Die Frau, nach eigener Aussage keine deutsche Staatsbürgerin, nutzt ebenfalls die öffentliche Bühne. Sie stellt kritische Fragen, kleidet ihre subjektiven Ängste in Worte, womit sie teilweise Anklang findet, aber auch für Kopfschütteln sorgt. In ihren Befürchtungen unterstützt werden sie von ein paar weiteren Welzheimern und Kaisersbachern, die den Vertretern der Stadt und des Landkreises ihre Ängste schildern.

Angst, dass es im Sommer an den Badeseen zu Szenen wie in Köln und anderen Städten kommen könnte. Wie kann die Stadt die Bürger schützen, fragen einige Besucher. Braucht Welzheim vielleicht sogar eine Bürgerwehr? Das Wort Vergewaltigung fällt. Müsse denn erst etwas passieren, damit die Verantwortlichen aufwachen? Wer haftet, wenn es Vorfälle gibt?

Bürgermeister Thomas Bernlöhr betont, dass jeder Mensch für seine eigenen Verfehlungen haftet, auch Flüchtlinge. An den Badeseen gebe es keine Aufsicht. Wenn es Probleme geben sollte, werde man sich kümmern. Die Polizei sei hier zuständig. Es gelte das staatliche und städtische Gewaltmonopol, sagt er laut, als manche das Thema Welzheimer Bürgerwehr zur Sprache bringen. Die braucht man nicht, so Bernlöhr deutlich, der sich anhören muss, „das ist doch alles nur Geblubber“. Die Bürger müssten die Folgen der Flüchtlingspolitik ausbaden, die politischen Verantwortlichen seien dann nicht mehr im Amt.

Frauen sollen von Asylsuchenden belästigt worden sein, sagt ein Mann. Es habe gar eine Anzeige gegeben. Bernlöhr betont auf Nachfrage, ihm sei nichts bekannt. Dann müsse die Polizei Ihnen mal die Wahrheit sagen, ruft ein Bürger. Eine Grundstimmung wird deutlich. Nicht alle Bürger trauen den Verlautbarungen aus dem Rathaus und den Berichten der Polizei.

Einige Besucher haben den Eindruck, dass bei der Unterbringung von Flüchtlingen und Zuwanderern die Belange der Bürger zu kurz kommen. Es wird ein Defizit an Kommunikation unterstellt. Die Gemeinde beschließt, wo Asylsuchende untergebracht werden sollen. Erst danach werde man informiert. Warum gibt es keinen Austausch? Werden sie nicht ernst genommen? Gehen die Interessen der Bürger derzeit unter?

Thomas Bernlöhr: „Quatsch!“

„Quatsch“, sagt Bürgermeister Thomas Bernlöhr. Und doch werden Arbeitskraft und -zeit im Rathaus, beispielsweise im Ordnungs- und Bauamt, wegen der Aufgabe, die Flüchtlinge unterzubringen, gebunden. Aber der Bürgermeister sagt klar: „Das sind zusätzliche Aufgaben, die wir nach Recht und Gesetz haben. Wir gucken danach, dass wir die Flüchtlinge nicht bevorzugen. Aber wir lassen sie auch nicht links liegen. Wir kümmern uns.“ Er ergänzt: Mit der gleichen Priorität wie bisher werden die weiteren Themengebiete behandelt: Infrastruktur, Breitband, Schulen. „Politisch wird nichts zurückgestellt.“

Er sehe auch nicht, dass die Bürger derzeit konkrete Nachteile hätten. Die hätten die Obdachlosen, die sich nun ihre Unterkunft mit Flüchtlingen teilen müssten, und die Kinder, die im Mönchhof Ferienzeiten verbringen wollen und nicht können, weil es von Zuwanderern belegt ist. Bernlöhr abschließend: „Mit diesen Vorwürfen kann ich nichts anfangen.“

Der Bürgermeister hatte mit „Lautsprechern“ gerechnet. Die Stimmung sei, das bestätigen alle Beteiligten, nach Köln deutlich aufgeheizt. Aber das „konstruktive Klatschen“ habe doch überwogen, so Bernlöhrs Urteil. Es falle ihm nicht leicht, den Anwohnern ein solches Gebäude hinzustellen, schildert er den Besuchern. Ängste seien nachvollziehbar, viele aber auch unbegründet. Darüber müsse man sprechen. Aber man müsse die Bürger „auch zwingen“. Meint: Dass Unterkünfte in der Nachbarschaft gebaut werden, müssen die Welzheimer hinnehmen. Das seien unpopuläre, aber mutige Entscheidungen: „Wir stehen vor der Aufgabe, die Menschen unterzubringen“, wird Bernlöhr am Mittwochabend laut und eindringlich, als sich einige Personen wütend äußern. Es werde keine Zwangseinquartierungen geben, was einige ebenfalls befürchtet hatten. Man dürfe ihn nicht falsch interpretieren.

Ob und welche Wohn- und Mietobjekte die Stadt im Blick hat, wo weitere Zuwanderer hinsollen, nannte Bernlöhr bewusst nicht. Das Prozedere, erst Prüfung und Auswahl des Standortes, dann Entscheidung im Gemeinderat, werde beibehalten.

Erst die Fakten, dann die Emotionen

Die Veranstaltung folgt dem üblichen Muster. Die Faktenlage: Die Stadt Welzheim baut in der Schorndorfer Straße eine Asylunterkunft für 90 Menschen. Außerdem soll ein bereits bestehendes Gebäude in der Schorndorfer Straße 44 für 30 Personen umgebaut werden. Der Neubau ist im Garten des Grundstücks vorgesehen. Im Oktober soll das neue Gebäude stehen. Dann nennt Frank Schneider, Leiter der Geschäftsstelle Koordinierungsstab Flüchtlinge vom Landratsamt, die Zahlen.

Es kommen weiterhin viele Flüchtlinge. Auf Welzheim bezogen rechnet man mit 238 Personen, die unterzubringen sind. Die Lage sei kritisch. Es gebe „keine Tabus“, und bald wohl stünden „weitere Notmaßnahmen“ im Kreis an. Das Projekt Schorndorfer Straße sei vorbildlich und beispielhaft. Bauamtsleiter Alexander Wahl stellte Pläne für das dreigeschossige Gebäude vor und antwortet auf Nachfrage, dass Fragen des Brandschutzes und der Stellplätze berücksichtigt werden.

Der Neubau für 90 Menschen soll zunächst für die vorläufige Unterbringung des Kreises genutzt werden, danach für die Anschlussunterbringung. Das geplante Gebäude ist darüber hinaus so konzipiert, dass es ohne substanzielle Umbauten als Mehrfamilienhaus mit zehn Wohneinheiten belegt werden kann.

Viele fachlich-kritische Fragen und große Offenheit

Um den Eindruck zu vermeiden, es habe überwiegend kritische Stimmen gegeben. Nein. Es gab detaillierte Fragen zum Brandschutz. Und bei der Belegung der Unterkunft werde man auf Nationalitäten und Religionszugehörigkeit achten. Dazu gesellten sich mitunter aufgewühlte Kommentare, man müsse den Menschen helfen, Welzheim müsse sich offen zeigen. Es wurde geraten, den Menschen zu begegnen, ihre Geschichten zu hören. Fast alle Flüchtlinge in Welzheim seien dankbare Menschen, die etwas zurückgeben und in keiner Weise negativ auffallen würden. Im Gegenteil. Das bestätigen Stadt, Polizei und Arbeitskreis. Sind weitere Unterkünfte geplant? Es könne sein, „so wie es notwendig ist“ (Bernlöhr), dass in der Paul-Dannenmann-Straße ein weiterer Bau folgt. Zynischer Applaus. Bernlöhr verweist auf die unklare Faktenlage. Gibt es Familiennachwuchs? Welche Länder werden sichere Herkunftsstaaten? Man wisse es nicht. Aber die Stadt strebe „keine Ghettoisierung“ an.

Zwischendurch immer wieder Appelle an die Welzheimer. Lernt die Menschen kennen! Dann werde man positive Erfahrungen machen. „Informieren Sie sich“, werben Vertreter des unermüdlichen Freundeskreises Asyl. Die Menschen flüchteten, weil ihre Heimat zerstört wurde. Eine junge Frau meldet sich, sie will sich als Sprachlehrerin engagieren. Dann verschwinden die drei Welzheimer mit viel Aufhebens aus der Halle. Ein DDR-Flüchtling meldet sich zu Wort. Er sei in Welzheim so gut aufgenommen worden, „ich bin schwäbisch geworden!“ Die schwäbisch-gütige Art dürfe nicht verloren gehen. Er habe keine Angst um seine vielen Enkel. Das sei doch als Schlusswort geeignet, findet Bernlöhr.

Große Unsicherheit

Einige Fragen und Reaktionen des Abends.

Wer kommt, wollten die Welzheimer erfahren. Das wisse man nicht. Derzeit erreichten viele Familien den Landkreis. Aber der Anteil der Männer liege bei mehr als 50 Prozent, so Frank Schneider vom Landratsamt. „Subbr“, wird dies aus dem Publikum ironisch kommentiert. Frauen und Kinder ja, ruft der engagierte Welzheimer, aber die Männer sollen ihre Familien verteidigen und ihre Heimat wiederaufbauen. Das gibt murmelnde Zustimmung von einigen – und Ablehnung von anderen.

Dann meldet sich die Welzheimerin in der zweiten Reihe zu Wort. Sie hat Angst um junge Frauen, da die Flüchtlinge aus „einer fremden Kultur“ kommen. Sie weitet ihre Kritik aus. Zeigt auf eine junge Frau, die ja bald Opfer von Belästigungen werden könne, weil die Männer aus anderen Kulturkreisen den Kleidungsstil der jungen Frauen als „falsche Signale“ interpretieren könnten. Die Leute klatschen – aber keinen Beifall, sondern um sie zum Schweigen zu bringen.

Es herrscht große Unsicherheit in Welzheim, konstatiert Bernlöhr. Ein Opa beschwert sich. Er würde mit vielen Leuten sprechen, die meisten hätten Angst. „Ihr guckt nur, wo ihr die Flüchtlinge unterbringt. Aber ihr müsst die Sorgen der Bürger ernst nehmen!“ Eltern würde ihre Kinder vom Reitunterricht abmelden, weil im Haghof nun Flüchtlinge lebten!

 

Die Wahrheit sagen
Kommentar von Christian Siekmann

Da würde ich mal mit der Polizei reden, dass die Ihnen die Wahrheit sagt“, riet ein Bürger aus dem Welzheimer Wald Bürgermeister Thomas Bernlöhr. Mindestens zwei Männer waren sich sicher, dass eine Anzeige vorliegt, eine Frau sei im Welzheimer Wald wohl von Asylbewerbern belästigt worden. Politischer Sprengstoff, geäußert vor 150 Menschen. Das erzielt Wirkung, spielt die Aussage doch auf das Gefühl der subjektiv empfundenen Sicherheit an, knüpft eine Verbindung von der Kölner Silvester-Nacht nach Welzheim. Aber ist diese Behauptung wahr?

Den Beamten des Polizeipräsidiums in Aalen sind für einen „überschaubaren zurückliegenden Rahmen keine solchen Erkenntnisse bekannt“. Auch Manfred Brodtmann, Leiter des Polizeipostens in Welzheim, sind „keinerlei Ermittlungen bekannt. Es gab keine Bürger, die sich an die Polizei Welzheim gewendet haben“, sagt er. Er müsse sich „stark wundern“, dass so ein Vorwurf öffentlich gemacht wird. „Mir erschließt sich nicht, wie man sich so äußern kann.“ Zwei Vorfälle habe es in jüngster Zeit gegeben. Vielleicht spielten die Bürger auf diese an. In einem Fall in der Unterkunft im Mönchhof ermittelt die Polizei wegen Körperverletzung. Zwischen Jugendlichen soll es zum Streit gekommen sein. Diese würden durch aggressives Verhalten auffallen, auch gegenüber dem Aufsichtspersonal. In der Paul-Dannenmann-Straße gab es kürzlich einen nächtlichen Aufruhr. Ein Algerier störte die Nachtruhe, bis Landsleute für Ruhe sorgten. Die Polizei war dort. Diese Fakten nennt Brodtmann.

Öffentlich zu behaupten, es habe eine Anzeige wegen Belästigung gegeben, kann demnach als Missverständnis gedeutet werden. Wohlwollend. Es kann aber auch ein perfider Versuch sein, die Stimmung gegenüber den Zuwanderern zu vergiften. Wird hier bewusst die Unwahrheit behauptet, um Ängste zu schüren? Es wird suggeriert, dass zumindest die Polizei Vorfälle verschweigt. Dadurch wird auch Thomas Bernlöhr vorgeführt.

Man kann die Flüchtlingspolitik kritisieren, Ängste äußern und der Politik Vorwürfe machen. Aber nicht mit bewusst falschen Behauptungen. Die Polizei appelliert, Belästigungen in jedem Fall anzuzeigen. Dann gehe sie der Sache nach. Wer allerdings lügt, dem droht selbst eine Anzeige – wegen Vortäuschung falscher Tatsachen.