Albvereinsfest mischt Winnenden auf
Winnenden. Die Zeiten, als sich der Schwäbische Albverein noch mit dem Musikantenstadl assoziieren ließ, sind vorbei. Heute spielen Leute in Trachten gerne auch „Volxmusik“– handgemachte, lebenslustige Musik, in die Weisen fremder Länder Eingang finden. Kein Wunder, dass das Kulturprogramm bei „Winnenden albt“ eher weltoffen als heimattümelnd wirkte.
Auf dem Marktplatz ertönt ein Jubelschrei, der die Hocketse-Gäste aus ihrer Bier- und Weinruhe reißt - und schon beginnen Fiedel, Flöte und Quetschkommode so derb sinnlich zum Tanz aufzuspielen, dass es manchen von seiner Bank in die Höhe hievt, im behaglich wiegenden Walzertakt zwar, aber ohne Rücksicht auf reserviertere Tischnachbarn. Dann beginnen sie auch auf der Bühne zu tanzen, Paare jüngeren und älteren Datums, in Trachten aus Albertville, der Partnerstadt. Die Stimme einer resoluten Dame, wohl jene, die auch den Schrei zuvor ausstieß, befiehlt „a gauche!“ (linksherum), und die Tänzer gehorchen, freilich sichtlich willig, mit beseeltem Lächeln. Sie zeigen gerade laut dem etwas gebrochenen Deutsch der Dame „eine Danz von 1860, als wir Frankreisch geworde sind, vorher ware wir Savoyen“. Eine kleine geschichtliche Exkursion, typisch für manch anderes im Kulturprogramm des Schwäbischen Albvereins beim Landesfest in Winnenden.
Die Hohenloher zeigen Trachten der reichen Bauern
Auf dem Platz vor der Stadtkirche sind gerade die Volkstänzer und -musiker aus dem Hohenloher Gau dran. Eine kleine „Band“ mit Tuba, Trompete, Akkordeon und Blockflöte spielt ebenfalls einen Walzer, aber die Trachten wirken noch vertrauter. Die Tänzer tragen à la mode des 19. Jahrhunderts, so wie damals die reichen Bauern bei Festen aufgetreten sind, um stolz ihren Status zu zeigen: die Frauen in Florhauben mit reich verzierten Bändeln drum und in feinem Woll- oder Leinentuch, die Männer mit Dreispitz-Hut, Kniebundhosen aus Wildleder und bestickten Hosenträgern, auf den Wämsern silberne Knöpfe, deren Anzahl und Machart über ihren Reichtum Aufschluss geben sollten. Laut Cornelia Goldbaum aus Öhringen, die bei der Tanzgruppe für Trachten zuständig ist, habe man die Kostüme anhand alter kirchlicher Dokumente nachgeschneidert, ganz authentisch im Hohenloher Stil, der von Dorf zu Dorf variiert haben mag, insgesamt aber zwischen Heilbronn und Schwäbisch Hall in etwa so ausgeschaut hat. Das ist Deutschland, wie es einst tanzte und sich kleidete, auch wenn die Hohenloher unter anderem einen Tanz aus Schweden zeigen.
Lebenslustige junge Letten: Dudelsack und Schenkelklatscher
Wenig später, selbe Bühne: die Musik- und Tanzgruppen Riksi und Piebaldzeni aus Lettland. Seit Ende April sind sie hier zu Gast, am Abend werden sie weiter nach Berlin reisen. Und zeigen vorher noch, wie im Nordosten Europas gefeiert und gefestet wird. Mit E-Bass, Geige, Akkordeon, Dudelsack und Handtrommel stimmen Riksi, vier junge, lebenslustige Leute, nach elegisch verträumtem Intro derbe Volkstänze mit Schenkelklatschen und Ringelreihen an, in die sich am Ende auch Leute aus dem Publikum einreihen, als sie spontan die Bühne stürmen und mithüpfen.
Das ist der Auftakt zum „Danzfest“ mit Boxgalopp, bei dem es ähnlich weitergeht. Mit Lebenslust und Paartanz, Freude und Vielfalt, auch musikalisch. Die Band aus Bamberg tritt unter dem Motto „Volxmusik ist Rock’n’Roll“ an, gründete unter dieser Vorgabe 2003 das „Antistadl“-Festival in Erlangen, wo seither „im großen Volxmusik-Kochtopf“, so der Landesfest-Programmflyer, Musik verschiedener Stile und Regionen angerührt wird zum Multi-Kulti-Mix mit deutschen Wurzeln. Ähnlich wie in der Folkbewegung der 70er (Zupfgeigenhansl, Hannes Wader und so weiter), aber weniger politisch orientiert, wird da auf Traditionen Bezug genommen, die der Moderne angepasst werden.
Boxgalopp rühren mit Kontrabass (Katja Lachmann), Klarinette/Dudelsack (Res Richter) und Akkordeon (David Saam) einen lustigen Eintopf aus schottischen Tänzen, fränkischen Melodien und Rock-Zutaten an, der auch mal mit ein bisschen Jazz gewürzt wird, wenn einer ein Solo beisteuert. Alles kurz und knapp, witzig und wild. Und am Ende ist die Bühne voller Tänzer, die sichtlich nicht länger überlegen, zu was sie da eigentlich tanzen, solange es ihnen nur in den Knien juckt. So wie das die Schwaben, reich oder arm, im Deutschland des 19. Jahrhunderts wohl auch nicht anders taten.
Weltkulturerbe
Auch das Ensemble Compania de espectaculos NC Dance, eine Truppe aus Kubas Hauptstadt Havanna, gehört zu den internationalen Gästen des Albvereins. Dessen Jugendtanzleiter betreute die Kubaner, die sich der Pflege heimatlicher Bräuche und Tänze widmen.
Mit der Karisma Band, ebenfalls aus Kuba, sorgen sie am Samstagabend auf dem Markt für Stimmung. Und das trotz unterhaltsamer Qualität auch mit kulturellen Weihen. Schließlich wurde der Volkstanz 2015 von der Unesco zum Weltkulturerbe erklärt.