Gewitzt, verschmitzt – itz over: Martin Schmitzer geht in den Ruhestand

Du liebe Güte, kann das wahr sein? Vor 16 Jahren und sechs Monaten hat Martin Schmitzer als Leiter der Lokalredaktion bei der Winnender Zeitung angefangen. Morgen, am Neujahrstag 2022, ist sein erster Tag als Rentner.
Schon? – möchte man als Winnender Kollegin sagen. Mit seinen 65 Jahren ist unser Chef zwar haarfrisurmäßig in Ehren ergraut, aber keineswegs amtsmüde. Weder zählte er die verbleibenden Tage rückwärts, noch ließ er es gemütlich auslaufen. Der Geist wach, die Gosch quirlig, keiner satirischen Spitze aus dem Weg gehend, und sei sie auch nur ein heiterer Exkurs bei einer unserer abendlichen Überschriftenkonferenzen. Ganz selten mal, dass einer der vielen neuen Arbeitsschritte ihn zum Schluss weniger interessierte.
Von Bad Waldsee nach Köln, vom Schwarzwald nach Winnenden
Als Martin Schmitzer mit 48 Jahren im Juli 2005 anfing, die Winnender Lokalredaktion zu leiten, hatte man allerdings nie den Eindruck, dass ihm etwas zu mühselig, lästig, zu viel sei. Offen ging er auf uns Kollegen wie auch die Winnender Leserschaft zu, erzählte viel von sich und seiner Jugend in Bad Waldsee sowie von seinen beruflichen Stationen bei der Wirtschaftszeitung „Aktiv“ in Köln und bei der Schwäbischen Zeitung in Rottweil. Wohnte in einer kleinen Wohnung im Haus von Alfred Haag, bis ein Haus im Kesselrain gefunden war und der Rest der Familie, die älteste der drei Töchter hatte schon das Studium begonnen, hierherziehen konnte.
Zum Stadtversteher wird er auch dank Kirche, Chor und Kneipen
In einem schier unglaublichen Tempo lernte Martin Schmitzer alle und alles kennen, der, die und das Winnenden ausmacht. Sei es in seinen Stammkneipen Katis Bistro und Weinstube zur Traube, sei es in der katholischen Kirche und dem dazugehörenden Kirchenchor, sei es in der Geschäftswelt, vom Herrenausstatter Hardy über Schuh-Grotz und Elektro-Heymann bis zum Reinigungsgerätehersteller Kärcher. Er wird so etwas wie ein Stadtversteher.
Freilich, viel Erfahrung und Routine brachte er von seinen 14 Jahren als Leiter der Schwäbische-Zeitung-Redaktion in Rottweil mit. Auch das, was er vorfand, war eine Zeitung mit Konzept, Ideen und Lesernähe: wöchentliche Umfrage, das erste „Winnenden liest“ als Abschluss des Mopsjahres und eine wöchentliche Glosse mit Klatsch und Tratsch. Die taufte er erst einmal um vom nüchternen „Gehört-notiert“ ins griffig-doppeldeutige „Unter uns“. Und füllte die gelb unterlegten Zeilen mit süffigen Sätzen, die einem dann und wann Lachtränen die Wangen herunterlaufen ließen und immer wieder ein großes Hallo auf seinem Gang über den Wochenmarkt zum Echo hatten. Zudem zeichnete sich ab, dass der Dornröschenschlaf der Stadt beendet sein würde mit dem Bau der B-14-Ortsumfahrung und des Markthauses.
Markenzeichen locker-flockige Sprache
„Ich wollte einfach eine interessante Zeitung machen, die einordnet und die verstanden wird“, sagte er beim letzten Jahresgespräch. Oh ja, das ist gelungen. Martin Schmitzer ist keiner, der sich mit Fremdwörtern und verschachtelten Formulierungen über andere erheben möchte. Lieber formuliert er einfach, in kurzen Sätzen. Er will das Komplizierte verständlich machen und das Abstrakte begreifbar. Er findet Beispiele aus dem Alltag und verhehlt auch nicht aus Höflichkeit, dass er den scheidenden Oberbürgermeister Bernhard Fritz zunehmend als unduldsam erlebt hat. Die Dinge beim Namen nennen, nicht beschönigen, lieber flapsig und unterhaltsam als überkorrekt und langweilig. Erzählt bisweilen verschmitzt, gerne auch mit Witz. Kein Wunder, sein Kürzel lautet itz. Und so fiel Martin Schmitzer auch der Serientitel „Hallo, altes Haus“ ein. Mit der Reihe blickte die Redaktion nicht nur in besondere Wohnzimmer, sondern gewann auch den Pressepreis der Denkmalstiftung.
Martin Schmitzer ist ein Mensch, der gern und viel lächelt. Selbst strenge Kritik, ob an uns Kollegen oder an nervensägenden Anrufern, brachte er mit hochgezogenen Mundwinkeln und freundlichem Glitzern in den Augen rüber. Das wirkt einladend, türöffnend und für manch muffeligen Zeitgenossen mindestens ungewohnt.
Der Amoklauf lässt den Redakteur Vertrauen vor alles andere stellen
Eine brutale Zäsur in allem, was bisher Leben und Arbeiten bestimmt hatte, stellte der Amoklauf am 11. März 2009 dar. In der Zeit danach gab es keine Berichterstatterroutine und kein distanziertes Fragen mehr. Jetzt zählten Mittrauern, Mitfühlen, Einfühlen, Respekt, Geduld, Vertrauen. Martin Schmitzer war in diesem Zusammenhang nicht auf Storys aus. Er hörte zu, nahm sich Zeit, war Begleiter derer, denen die Tat das Herz herausgerissen hatte. Und er blieb empathisch und verstehend an ihrer Seite, egal wie viel Zeit seitdem verstrichen war.
Als Chef einer kleinen Redaktion hat man gleichwohl viele Abend- und Wochenendtermine. Trotzdem reaktivierte Martin Schmitzer ein Hobby, das Zeit erfordert, aber auch Ausgleich schafft: das Kontrabassspielen. Dabei zeigte sich einmal mehr die Vielseitigkeit, die diesen Menschen ausmacht. Nicht etwa die klassischen Stücke reizten ihn, nein, er stieg ein in die Welt des jüdischen Klezmer. Mehrmals bei „Winnenden liest“ trat er mit Tochter Klara und Schwiegersohn Daniel auf. Und mit Veras Tea Time Band wandelt Martin Schmitzer zwischen heiterer Kaffeehaus- und mitreißender Weltmusik.
In der fünften Jahreszeit gibt es nichts anderes als die Fasnet
Die alten Wurzeln nach Rottweil und nach Bad Waldsee hatte er übrigens auch nie gekappt, obwohl er in Winnenden heimisch geworden ist. Ab 11.11. eines jeden Jahres wächst die Sehnsucht, der Ruf und Sog der Fasnet wird immer stärker. Wehe dem, der Martin Schmitzer diese paar Tage Urlaub nehmen wollte. Da wurde er grantig. Ach was, unausstehlich.
Tja, und jetzt? Noch 55 Tage bis zum Schmotzigen Do’schdich. Wir gönnen Martin Schmitzer all das, doch weiß momentan noch niemand, ob Corona die fünfte Jahreszeit mit einer fünften Welle lahmlegt. Unterhaltung wird er dennoch haben mit der großen, geschickt auf Deutschland verteilt lebenden Familie. Und uns bleibt die Hoffnung, dass wir uns bald wieder treffen können im Städtle, wenn auch nicht unmaskiert, so doch bei einem Bierle. Müssen schließlich mit ihm und unserem neuen Chef, Sebastian Striebich, den neuesten Tratsch austauschen. Unter uns.