Rettungswagen nur für Notfälle
Schorndorf/Winnenden. Patienten warten nach ihrer Behandlung in Kliniken und Arztpraxen oft stundenlang auf die Heimfahrt. Ein Grund sind die akuten Personalengpässe beim Roten Kreuz. Die Winnender Björn-Steiger-Stiftung fordert nun eine eigene Organisationsstruktur für den Krankentransport. „Die Nach-Hause-Bringung eines Genesenen verhindert die Rettung eines akut erkrankten und verunfallten Menschen.“
Die Misere bei den Krankentransporten hat sich im vergangenen Jahr zugespitzt. Statt von den Krankenkassen angekündigter Verbesserungen nahmen die Klagen über die langen Wartezeiten der Patienten in den Krankenhäusern oder Arztpraxen sogar noch zu. Der DRK-Kreisverband räumte die Probleme unumwunden ein. Wegen Personalengpässen seien Krankentransportwagen vorübergehend stillgelegt worden, um die Notfallrettung aufrechtzuerhalten.
Hier setzt die Kritik der Björn-Steiger- Stiftung an, die 1969 von Ute und Siegfried Steiger in Winnenden gegründet worden war, nachdem ihr verunglückter Sohn Björn fast eine Stunde auf einen Rettungswagen warten musste und am Schock starb. Ziel der gemeinnützigen Stiftung war und ist, die deutsche Notfallhilfe zu verbessern, sei es mit den Notrufnummern 110/112, sei es mit den Notrufsäulen entlang der Straßen oder einer kostenlosen Handyortung bei Notrufen.
Vorschlag der Björn-Steiger-Stiftung
Fast 50 Jahre nach der Gründung ist für die Björn-Steiger-Stiftung die Notfallrettung in Deutschland noch keineswegs perfekt. Mit Blick auf die vielen Regionen im Land, in denen die Hilfsfristen bei Notfällen nicht eingehalten werden, fordert die Björn-Steiger-Stiftung, die Organisation des Krankentransports zu überdenken. Die Stiftung schlägt vor, fünf überregionale Dispositionszentralen in Baden-Württemberg einzurichten, um die Transporte logistisch effizient organisieren zu können – und auf diese Weise Notarzt- und Rettungswagen für wirkliche Notfälle bereitzuhalten.
Bei Noteinsätzen ist gesetzlich vorgegeben, dass Notarzt und Rettungswagen in 95 Prozent der Einsätze innerhalb von höchstens 15 Minuten nach Alarm am Unfallort sein müssen. Im Rems-Murr-Kreis haben sich im vergangenen Jahr die Werte wieder verschlechtert, insbesondere im Norden und Nordosten des Landkreises. Folgerichtig wurde am 1. Januar eine neue Rettungswache in Sulzbach an der Murr eröffnet, die den Raum Murrhardt wie auch Spiegelberg und Großerlach besser abdecken kann.
DRK macht die meisten Krankentransporte im Kreis
Das Rote Kreuz hat zwar beim Krankentransport kein Monopol wie bei der Notfallhilfe, bei der im Rems-Murr-Kreis ausschließlich Rettungs- und Notarztwagen des DRK im Einsatz sind – mit Ausnahme nun der neuen Malteser-Rettungswache in Sulzbach. Bei den Krankentransporten stellt das Rote Kreuz jedoch zumindest das Gros der Fahrzeuge, mit denen Patienten in Begleitung von ausgebildeten Sanitätern in Reha-Kliniken, in Krankenhäuser oder Arztpraxen gefahren beziehungsweise nach der Behandlung wieder nach Hause gebracht werden. Ergänzt wird der Krankentransport von gemeinnützigen und privaten Anbietern wie den Maltesern oder dem Sani-Team Winkler in Fellbach sowie Krankenfahrten mit Taxis oder Mietwagen (siehe nächste Seite: „Es muss nicht immer ein Krankenwagen sein“).
Knackpunkt ist die Vergütung: DRK beklagt geringe Honorare
Das Rote Kreuz klagt über die viel zu geringe Vergütung der Krankentransporte mit den medizinisch ausgestatteten und mit zwei Sanitätern besetzten Krankenwagen. Die Kassen zahlen für bis zu 51 Kilometer pauschal 68,50 Euro. Aus Sicht von DRK-Geschäftsführer Sven Knödler viel zu wenig, damit das Rote Kreuz auf seine Kosten kommt. Aus diesem Grund müsse das DRK scharf kalkulieren und die Fahrzeuge werktags in den Hauptzeiten zu 90 Prozent auslasten. Abends und am Wochenende bleiben die meisten Krankenwagen stehen. Die Folge dieses knappen Angebots sind nicht zuletzt lange Wartezeiten für Patienten, zumal das Rote Kreuz vorübergehend Personal vom Krankentransport abziehen musste, um die Notfallrettung aufrechtzuerhalten. Grund genug für die Björn-Steiger- Stiftung, das ganze Konzept neu zu überdenken.
Schorndorf.
Nicht in allen Fällen benötigen Patienten einen medizinisch ausgestatteten Krankenwagen nebst zwei ausgebildeten Sanitätern, um zum Arzt oder ins Krankenhaus zu kommen. Das betrifft zum Beispiel Leute, die sich regelmäßig einer Dialyse oder einer Strahlentherapie in einer Klinik unterziehen müssen.
Neuerdings dürfen auch Pflegebedürftige ein Taxi ordern, wenn sie zu einer ambulanten Behandlungen gefahren werden müssen. Voraussetzung ist die Einstufung in die Pflegegrade vier und fünf beziehungsweise drei bei eingeschränkter Mobilität. Allerdings, betont der Taxi-Unternehmer Domenico Bastone aus Schorndorf-Weiler, gelten für diese Krankenfahrten nicht die üblichen Taxi-Tarife. Während eine reguläre Taxifahrt 2,10 Euro pro Kilometer kostet, zahlen die Kassen für eine Krankenfahrt mit einem Patienten außerhalb des Pflichtfahrgebiets nur 1,90 Euro pro Kilometer. Sowohl die Anfahrt wie auch die Rückfahrt wird nicht vergütet. Dass sich seine Taxifahrer um ihre Fahrgäste kümmern, sie in den Wohnungen abholen und dorthin zurückbringen, gehört für Bastone zu seinem Service – selbst wenn der nicht vergütet wird.
60 Prozent Taxis
Laut den Krankenkassen werden sechs von zehn der Krankenfahrten von Taxi- oder Mietwagen-Firmen abgewickelt. Bei der AOK Ludwigsburg-Rems-Murr übernahmen Taxis 60 Prozent und Mietwagen weitere vier Prozent der Fahrten. Auf Krankentransportwagen entfielen 23 Prozent. Weitere 13 Prozent entfielen auf behindertengerechte Transporte.
Voraussetzungen für eine Taxifahrt zum Arzt oder ins Krankenhaus sind eine Verordnung vom Arzt und die Genehmigung durch die Krankenkasse, erklärt Bastone das Prozedere. Entweder sucht sich der Patient aus den von seiner Kasse vorgeschlagenen Taxifirmen selbst eine aus oder die Kasse schreibt die Fahrt auf einem Online-Portal aus. An diesen Ausschreibungen nehme er nicht mehr teil, sagt Bastone. Denn an dieser Preisdrückerei wolle er sich nicht beteiligen. Die neueste Masche sei, dass einige Krankenkassen Taxiunternehmen als „Premiumpartner“ anwerben wollten. Allerdings seien die Konditionen keineswegs attraktiv.
Fahrten für Rollstuhlfahrer
Für das Taxi-Unternehmen aus Weiler machen Kranken- und die Fahrten mit seinem, 2015 eigens angeschafften Rollstuhl-Fahrzeug rund ein Drittel des Geschäftes aus. Nur auf diesem einen einzigen Bein zu stehen, hielte der Taxiunternehmer für einen Fehler. Weitere Standbeine sind Schüler- und Geschäftsfahrten. Bastone betreibt sieben Fahrzeuge und beschäftigt 14 Fahrer.
Im vergangenen Jahr haben die Krankenkassen das Vergütungssystem umgestellt. Dem gesetzlichen Auftrag im Sozialgesetzbuch V entsprechend sei aus wirtschaftlichen Gründen die Bezahlung der Taxifahrten angepasst worden, teilt die AOK auf Anfrage mit. Seit 2017 werden statt 85 Cent pro gefahrenen Kilometer nur noch die besetzten Kilometer mit 1,90 Euro vergütet. „Man darf nicht meckern“, sagt Bastone. Allerdings müsse man beim neuen Vertrag ganz genau schauen, welche Fahrten man annimmt und welche nicht. Einen Patienten von Welzheim nach Winnenden ins Klinikum zu fahren, ist für den Unternehmer aus Weiler mit Einbußen verbunden, weil An- und Rückfahrt nach Schorndorf nicht vergütet werden.
Im Einsatz
Krankenwagen ist nicht gleich Krankenwagen. Bei Unfällen, Verletzungen oder akuten Krankheiten wie bei einem Herzinfarkt oder einem Schlagfall sind Rettungswagen oder der Notarzt und ein Rettungshubschrauben im Einsatz. Das Wichtigste bei einem Notfall ist, dass Sanitäter und Ärzte schnell vor Ort sind und möglichst früh mit der Erstversorgung beginnen können.
Handelt es sich hingegen um die Fahrt eines nicht akut oder lebensbedrohlich Erkrankten oder Verletzten zur Behandlung in Arztpraxen oder in eine Klinik, spricht man von Krankentransport. Krankentransporte werden vom (Haus-) Arzt verordnet und müssen von der Krankenkasse genehmigt werden.
Nicht immer ist jedoch für Fahrten von oder zu einer Arztpraxis oder in eine Klinik ein voll ausgestatteter Krankenwagen mit zwei Sanitätern notwendig. Dann spricht man von Krankenfahrten, die auch mit öffentlichen Verkehrsmitteln, privaten Kraftfahrzeugen, Mietwagen oder Taxen durchgeführt werden können. Der Patient wird nicht medizinisch-fachlich betreut und das Fahrzeug bedarf keiner besonderen Ausstattung. Krankenfahrten werden von Kassen auf Verordnung des Arztes bezahlt. Bei der AOK Ludwigsburg- Rems-Murr liegt der Anteil der Krankenfahrten mit Taxi oder Mietwagen bei 64 Prozent.