Winnenden

Straftäter-Therapie in Winnenden: Manne Lucha scheut nicht die Konfrontation

Bürgerdialog
Überraschungsgast: Manne Lucha beim Bürgerdialog in Winnenden am Mittwochabend. © Gabriel Habermann

Der baden-württembergische Sozialminister Manne Lucha (Grüne) hat sich bei einem Bürgerdialog am Mittwochabend Fragen und Kritik zur geplanten Therapie von suchtkranken Straftätern am Zentrum für Psychiatrie (ZfP) in Winnenden gestellt. Lucha warb für das Konzept des Maßregelvollzugs und um Verständnis für die Zwänge der Landesregierung angesichts heillos überfüllter Einrichtungen. Hitzig wurde es, als der 61-Jährige vor mehr als 200 Winnendern in der Hermann-Schwab-Halle die Haltung mancher Anwohner kritisierte: Er sei „kein Freund des Sankt-Florian-Prinzips“.

Eine Frau ruft: „Dann bauen Sie doch vor Ihrer Tür!“

Zwar hatte Lucha, dessen Teilnahme am Bürgerdialog zuvor nicht kommuniziert worden war, niemanden im Saal direkt adressiert, doch die Gegner eines Maßregel-Neubaus in Winnenden bezogen die Aussage, die der Minister bei der Beantwortung von Publikumsfragen fallenließ, naheliegenderweise auf sich. Unruhe kam auf, „dann bauen Sie doch vor Ihrer Tür!“, rief eine erzürnte Frau.

„Vor meiner Tür ist das ZfP Weißenau, vor meiner Tür ist die JVA Ravensburg“, entgegnete Lucha mit Bezug auf seinen Wahlkreis, „wir als Staat können nicht dauerhaft unangenehme Fragen irgendwohin delegieren, wo keiner ist.“

Eingangs hatte Lucha, der an diesem Abend immer wieder auch Applaus erntete, (wie schon bei einem Treffen mit dem Winnender Gemeinderat im Dezember) die Dringlichkeit neuer Maßregeleinrichtungen betont und dabei auch Verständnis für die Vorbehalte der Winnender gezeigt. Auf die Aussage von Oberbürgermeister Hartmut Holzwarth, es sei „kein Herzensthema, einen Maßregelvollzug in die Stadt zu bekommen“, ging der Minister direkt ein: „Wenn das eine Chip-Fabrik wäre, würde man Schlange stehen, aber Maßregelvollzug ist natürlich auf den ersten Blick etwas, wo keiner im Land ,Hier!‘ schreit.“

Manne Lucha weiß, wovon er spricht: Er hat selbst in der Psychiatrie gearbeitet

Er selbst habe vor seiner Politiker-Karriere in der Psychiatrie gearbeitet, „stationär wie ambulant Maßregel gemacht“ am ZfP Weißenau in den 80er-Jahren und darüber hinaus. Seine Philosophie sei integrativ. „Dass Menschen psychisch krank werden, suchtkrank werden, dass sie in diesem Krankheitsfall auch Straftaten begehen, das gehört zu uns. Das sind wir, das sind wir alle.“ Es gelte, dem „Sicherheitsbedürfnis der Bevölkerung einerseits“ gerecht zu werden, „aber auch das Recht und die Chance auf Genesung und Hilfe andererseits in einem gemeinsamem Verständnis einer offenen Gesellschaft mit klaren Spielregeln umzusetzen“.

Der Minister sieht kein Sicherheitsproblem im geplanten Maßregelvollzug

Ein Sicherheitsproblem sieht Manne Lucha nicht im geplanten Maßregelvollzug im Schlosspark: „Ja, wir haben bei circa knapp 1470 Menschen, die im Maßregelvollzug sind, Entweichungen. Das sind im Jahr stabil zwischen 50 und 55. Es brechen keine aus, es flüchten keine. Die letzten Ausbrecher, das war eine kriminelle Bande, die sich kränker gemacht hat, als sie war - die wollten wir zurück ins Gefängnis schicken.“

Die Maßregel sei die erfolgreichste Therapieform mit der geringsten Rückfallquote und der besten Chance auf Wiedereingliederung in die Gesellschaft, so Lucha, der gleichwohl Hoffnungen in eine Gesetzesreform des Paragrafen 64 setzt, zu der sich im Februar der Bundesrat beraten wird. Die Novellierung soll bewirken, dass wirklich nur noch kranke Menschen, die Straftaten im Zusammenhang mit ihrer Erkrankung begangen haben, in Therapie geschickt werden und nicht mehr, wie im Weinsberger Fall, Kriminelle, die auf eine frühere Freilassung hoffen.

Lucha selbst steht aktuell wegen der überbelegten Maßregel-Anstalten unter Druck. Im Jahr 2022 mussten 33 verurteilte Straftäter freigelassen werden, weil es keinen Therapieplatz für sie gab. Die Opposition im Landtag wirft dem Minister vor, nicht vorausschauend gehandelt zu haben. Lucha verweist seinerseits auf den bereits erfolgten und noch geplanten Ausbau mehrerer ZfP-Standorte.

In Winnenden geht ZfP-Geschäftsführerin Anett Rose-Losert von fünf bis sieben Jahren aus, die vergehen, bis ein Maßregelvollzug im Schlosspark in Betrieb genommen werden kann. Lucha ist das eigentlich zu lang, er drückt aufs Tempo: „Wir werden das beschleunigen.“

Favorisiert ist aktuell ein Standort im Südwesten des Schlossparks, nachdem zwei ursprüngliche Standortoptionen in direkter Nähe von Wohnbebauung auf zu große Ablehnung in Winnenden gestoßen waren.

Neuer Standort im Schlosspark bedeutet für Land hohe Aufwendungen

Aus Luchas Sicht bräuchte es den jetzt eingeplanten Sicherheitsabstand von 50 Metern zu Wohngebieten nach dem Vorbild von Nordrhein-Westfalen nicht unbedingt. Zur neuen Planung sagte er: „Das, was wir jetzt als Standortalternative anbieten, ist noch einmal ein ganz anderer Ansatz, der für uns als Land – ich hoffe, jetzt hört niemand zu, der dem Finanzministerium nahesteht – natürlich höhere Aufwendungen mit sich bringen wird.“

Für den Maßregelvollzug wird voraussichtlich das Haus C, in dem aktuell Suchtkranke therapiert werden, abgebrochen werden. Dafür entsteht ein Ersatzbau an anderer Stelle. Die Kosten für die Umbaumaßnahmen gehen voraussichtlich deutlich in den zweistelligen Millionenbereich.

Anerkennende Worte von Manne Lucha für OB Hartmut Holzwarth

Anerkennende Worte fand Lucha am Mittwochabend für Oberbürgermeister Hartmut Holzwarth in Bezug auf dessen Verhandlungsgeschick bei der Rahmenvereinbarung mit dem Land über den Bau und Betrieb eines Maßregelvollzugs in Winnenden. „Dass Sie die Standortgarantie fürs Polizeirevier hier reinverhandeln ... was soll ich da sagen als Landespolitiker? Gut gemacht!“, so Lucha. Über den Vertrag wird der Winnender Gemeinderat am kommenden Dienstag beraten.

Der baden-württembergische Sozialminister Manne Lucha (Grüne) hat sich bei einem Bürgerdialog am Mittwochabend Fragen und Kritik zur geplanten Therapie von suchtkranken Straftätern am Zentrum für Psychiatrie (ZfP) in Winnenden gestellt. Lucha warb für das Konzept des Maßregelvollzugs und um Verständnis für die Zwänge der Landesregierung angesichts heillos überfüllter Einrichtungen. Hitzig wurde es, als der 61-Jährige vor mehr als 200 Winnendern in der Hermann-Schwab-Halle die Haltung mancher

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