Warum die Grünen Boris Palmer nicht rauswerfen sollten

Wird das Parteiausschlussverfahren gegen Boris Palmer mit seinem Rauswurf enden? Oder werden die 500 teilweise prominenten Mitglieder, die sich jetzt für ihn ins Zeug legen, ein parteiinternes Umdenken auslösen? Es wäre zu wünschen - ein Kommentar.
Der Unerträgliche: Was gegen Boris Palmer spricht
Dass manche Grünen Boris Palmer rauswerfen wollen, ist verständlich: Er hat sich die leidenschaftliche Abneigung, die ihm aus Teilen der Partei entgegenschlägt, hingebungsvoll fleißig erarbeitet. Wie oft ist er rhetorisch über die Stränge geschlagen? Wir haben längst aufgehört, mitzuzählen. Ob er im Spiegel-Interview über die von Zuwanderern gefährdeten „blonden Töchter“ der Tübinger Professoren schwadronierte oder sich auf Facebook in angeblich ironischer Absicht über das Geschlechtsteil des dunkelhäutigen Fußballers Dennis Aogo ausließ – um Himmels willen, kann der Palmer nicht einfach mal Psalm 141 lesen? „Herr, stelle eine Wehr vor das Tor meiner Lippen.“
Etwas Wichtiges aber hat Palmer vielen, die jederzeit den korrekten Ton treffen, meilenweit voraus: Wenngleich er nicht immer stilecht grün redet (manchmal schwätzt er daher wie ein AfD-Populist) – er hat der ganzen Republik vorgemacht, wie man grün handelt.
Gute Taten wiegen schwer: Was für Boris Palmer spricht
Nicht nur seine Öko-Bilanz als Tübinger Oberbürgermeister ist bundesweit vorbildlich: Die Stadt wurde fahrrad- und fußgängerfreundlich umgestaltet und investiert dafür pro Einwohner mehr für den Fahrradverkehr als das als Welthaupstadt der Radler gefeierte Kopenhagen. Der Busverkehr wurde an sieben Tagen die Woche rund um die Uhr ausgebaut und dicht getaktet und die Busse fahren samstags kostenfrei. Der Ausstoß von CO2 in der Stadt konnte um ein Drittel gesenkt werden – unter anderem, weil die Solardachpflicht eingeführt und die Erzeugung von Strom aus erneuerbaren Energien verzehnfacht wurde. Auch das Tübinger Integrationskonzept setzte schon 2010 Maßstäbe, genau wie in jüngerer Zeit Palmers Wohnbaupolitik, die Ausländer-Ghettobildung verhindert und gesellschaftliche Eingliederung ermöglicht.
Die Grünen im Wandel: Lautsprecher nicht erwünscht
Die grüne Partei steckt im Umbruch. Sie professionalisiert sich immer weiter. Eine geräuscharm schnurrende Regierungsmaschine ist da entstanden, im Land wie im Bund. Das ist im Prinzip alles nicht schlecht. Aber etwas droht darüber verloren zu gehen. Früher waren die Grünen ein anarchischer Streithaufen. Sie hielten es oft kaum miteinander aus und mussten sich wieder und wieder zusammenraufen. Dafür waren sie aber auch ein Dampfkochtopf der Ideen. Ständig brüteten sie was aus. Als Spinner wurden sie verunglimpft, Träumer, Naivlinge – und haben die Republik zum Guten verändert. Energiewende, neue Mobilitätspolitik: Die Grünen legten die Ideen für die Zukunft schon auf den Tisch, als die meisten Leute vom Klimawandel noch nie gehört hatten. Und schickten sich an, die Theorie in die Praxis umzusetzen. In diese Geschichte hat sich Boris Palmer machtvoll eingeschrieben. Man mag ihn für das, was er manchmal sagt, als Schande der Partei betrachten; für das, was er in Tübingen getan hat, müsste er eigentlich als grüner Säulenheiliger gelten.
Wie also sollten sie umgehen mit diesem Querkopf und Rechthaber, diesem so hochintelligenten wie manchmal unerträglichen Kerl? Sie sollten mit ihm streiten. Sie sollten ihm widersprechen. Sie dürfen gerne auf ihn schimpfen!
Aber einen wie ihn rausschmeißen? Das kann sich eine Partei, die wirklich was bewegen, ermöglichen, wahr machen will, niemals leisten.