Rems-Murr-Kreis

Über 100 Opfer: Betrügerin erbeutet 377 750 Euro

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Das Stuttgarter Landgericht. © ZVW/Gabriel Habermann

Stuttgart/Fellbach. Die Zahl der Opfer ist beachtlich: Die Anklage zählt mehr als 100 auf. Die Schadenshöhe ist enorm: Exakt 377 750 Euro soll sich die Angeklagte, 63, erschwindelt haben. Seit Mittwoch steht die einstige Gemeindereferentin vor Gericht. Das Motiv für ihren Serienbetrug ist – Betrug. Sie selbst sei ein Opfer von Kreditbetrügern, die ihr das Geld aus der Tasche zogen.

Ulrich Tormählen, der Vorsitzende Richter der 8. Strafkammer des Landgerichts Stuttgart, hegte so seine Zweifel, wie glaubwürdig die Geschichte der betrogenen Betrügerin ist. Immer wieder hakte der Richter nach, warum die Angeklagte nicht früher die Reißleine gezogen habe und die Zahlungen an die Betrüger stoppte. Stattdessen borgte sie sich Monat für Monat, Woche für Woche, manchmal sogar Tag für Tag bei Freunden, Verwandten und Bekannten neues Geld – ohne Chance, diese Hunderttausende Euro Schulden jemals begleichen zu können.

„Ich wollte mein Geld zurück und den Leuten die Schulden zurückzahlen“

Als Erklärung wiederholte die 63-Jährige ein ums andere Mal, manchmal unter Tränen. „Ich wollte mein Geld zurück und den Leuten die Schulden zurückzahlen.“ In dieser Hoffnung habe sie ihren Betrügern immer weiter Geld in den Rachen geschoben. Deren Kreditbetrugs-Masche ist altbekannt. Sie versprechen ihren Opfern ein Darlehen, freilich müssen diese zuerst Geld an den vermeintlichen Kreditgeber zahlen, bevor das geliehene Geld fließt. Das aber tut es in aller Regel nicht.

Mehr als eine Viertelstunde lang hatte der Staatsanwalt zum Auftakt der Verhandlung 291 Betrügereien zwischen Sommer 2014 und Januar 2018 vorgelesen, die die Anklage auflistet: „22. 12. 2015, 2200 Euro, Herr X. 23. 12. 2015, 2500 Euro, Herr Y. 27. 12. 2015, 2200 Herr Z...“ Die 63-Jährige, die als Gemeindereferentin der Katholischen Kirche und Religionslehrerin in der Region herumgekommen ist, hatte viele ihrer 103 Opfer in kirchlichen Kreisen gefunden. Darunter auch zahlreiche aus dem Rems-Murr-Kreis, wo sie in einer Kirchengemeinde ein Jahrzehnt lang tätig gewesen war. Vor gut zwei Jahren schied die Alleinstehende nicht freiwillig aus dem Kirchendienst aus, ist derzeit arbeitslos und hat Rente beantragt. Gleich zu Beginn ihrer Aussage zur Sache war die 63-Jährige geständig und hat die Taten vollumfänglich eingeräumt.

Richter Tormählen ist rat- bis fassungslos

Manchmal waren es 100 Euro, die sie sich unter verschiedenen Vorwänden geliehen hat; zum Teil waren es aber auch vierstellige Beträge bis zu 5000 Euro. Meistens aber borgte sie sich um die 1000 Euro und erzählte den Leuten ganz unterschiedliche Geschichten, wozu sie das Geld benötige: Seien es teure Medikamente aus den USA; sei es ein Gerichtsprozess in der Schweiz, für den sie dringend Geld benötigte.

Sie selbst will 2014 in die Fänge der Kreditbetrüger geraten sein, als sie sich ein Auto kaufen wollte und ihr ein günstiger Kredit angeboten wurde, für den sie freilich zunächst einen Vorschuss zahlen sollte. Und sie zahlte und zahlte und zahlte. „Ich habe bis zum Schluss gedacht, ich bekomme Geld von denen“, sagte die 63-Jährige. Richter Tormählen ist rat- bis fassungslos ob dieser Naivität, mit der die Frau diesen Betrügern auf den Leim gegangen sein will. Er fragt nach, ob sie in irgendeiner Art süchtig gewesen sei. Ob sie, die in den vergangenen Jahren mehrfach zum Teil in stationärer psychiatrischer Behandlung war, inzwischen wenigstens eine kleine Ahnung habe, wie sie in diese schlimme Sache hineinkommen konnte. Am ersten Verhandlungstag hat er noch keine schlüssige Antwort erhalten.

Sechs Verhandlungstage sind angesetzt

Auch der Vertreter der Staatsanwaltschaft versuchte, sich den vermeintlichen Motiven der betrogenen Betrügerin zu nähern. Denn die Frau ging durchaus gerissen vor, indem sie beispielsweise zum angeblichen Gerichtsprozess in der Schweiz Unterlagen fälschte oder eine „Geldgeber-HG/Hilfsgemeinschaft“ erfand, die von den Betrügern ihr Geld zurückfordere. Noch im August 2017, einen Tag nach einer Vernehmung bei der Polizei zu ihren schon damals beachtlich vielen Betrügereien, hatte sie ihr nächstes Opfer angehauen und sich weitere 3000 Euro geliehen. Die Betrugsserie, die zur Anklage kam, endete erst im Januar 2018. – Der auf sechs Verhandlungstage angesetzte Prozess wird fortgesetzt.