Das Gewitter macht, was es will: Weshalb es so schwierig ist, eine Prognose zu treffen

Blitze zucken, es donnert und kracht und schüttet wie aus Kübeln: Am liebsten will man sich bei Gewitter unter die Bettdecke verkriechen.
Wann genau diese Sicherheitsmaßnahme angebracht ist, lässt sich heute viel besser vorausplanen als früher: Der Deutsche Wetterdienst gibt frühzeitig Unwetterwarnungen heraus. In der Warnwetter-App kann der an Urgewalten interessierte Mensch den roten Flecken auf der Karte zuschauen, wie sie unaufhaltsam auf seinen Wohnort zurollen.
Wer vorsorglich unter die Bettdecke verschwunden und versehentlich eingeschlafen ist, hat vielleicht das Beste verpasst: Es gab gar kein Unwetter. Jedenfalls nicht hier.
Die Meteorologen beim Deutschen Wetterdienst betonen stets unermüdlich: Gewitter „treten typischerweise sehr lokal auf und treffen mit voller Intensität meist nur wenige Orte“. Welche das im Einzelnen sind, können die Spezialisten nicht lange im Voraus wissen. Warnen müssen sie trotzdem, und dann geschieht, was geschehen muss: Bürger nehmen Unwetterwarnungen weniger ernst, sofern sie ein paar Mal trotz Warnung ungeschoren davongekommen sind.
Genau festgelegt, wer wann was zu tun hat
Feuerwehrkommandant und -sprecher Andreas Wersch bleibt aus anderen Gründen ganz gelassen, sofern eine Wetterwarnung auf seinem Handy aufploppt: Er ist seit Jahrzehnten bei der Feuerwehr aktiv, weshalb ihn die Aussicht, Straßen von umgestürzten Bäumen und Keller von Wasser befreien zu müssen, nicht aus der Bahn wirft. Noch bis vor einem Jahr, berichtet Wersch, trug man Alarmpiepser bei sich, über welche auch die Unwetterwarnungen eingingen. Inzwischen nutzen die Kommandanten und vermutlich alle, die mit der Feuerwehr zu tun haben, die offiziellen Warn-Apps.
Während die ersten Sturzbäche durch Straßen rauschen und ein Keller nach dem anderen voll läuft, kann man nicht noch umständlich diskutieren, wer jetzt wo was macht: Deshalb ist für den Fall der Fälle genau festgelegt, was zu tun ist, wer wann wen alarmiert und all diese Dinge. Sollte es ganz dicke kommen, tritt im Landratsamt ein Führungsstab zusammen: Großschadenslage! Oft geübt – jetzt real.
Mit einer wetterbedingten Großschadenslage ist aktuell im Rems-Murr-Kreis nicht zu rechnen. Es könnten sich zwar diesen Mittwoch überm einen oder anderen Ort heftige Gewitter entladen, inklusive Starkregen. Das war’s aber schon.
Gewitter: Komplexe meteorologische Systeme
Klingt jetzt harmlos – ist es aber nicht für jene, die einem Unwetter unmittelbar ausgesetzt sind. „Mit dem komplexen meteorologischen System Gewitter sind oft weitere gefährliche Wettererscheinungen verbunden“, heißt es ebenso sachlich wie furchteinflößend beim Deutschen Wetterdienst: Gemeint sind Windböen, Starkniederschläge, Hagel.
Nun kommt erneut die Feuerwehr ins Spiel: Kniehoch Wasser im Keller mag niemand gern. Einzelne Einsätze in Privathäusern sind von den Eigentümern zu bezahlen, darauf weisen die Feuerwehrleute hin, bevor sie die Pumpe anwerfen. Versicherungen übernehmen diese Kosten in der Regel. Sollte eine Gemeinde derart hart betroffen sein wie Braunsbach bei Schwäbisch Hall Ende Mai 2016, als eine Sturzflut in dem kleinen Ort immense Schäden anrichtete – sieht die Sache freilich anders aus. Wird der Katastrophenfall ausgerufen, springen im Nachgang Kommune oder Landkreis oder das Land oder alle zusammen finanziell in die Bresche – es kommt drauf an.
Ein wetterbedingter Katastrophenfall droht momentan keinesfalls. Trotzdem tun Besitzer frei stehender Gartenstühle gut daran, sie vom Fliegen abzuhalten: „Sichern Sie Gegenstände im Freien“, so lautet einer der Vorsorge-Tipps bei Unwettergefahr – ferner: Fenster und Türen schließen, drin bleiben, bei Aufenthalt im Freien Abstand zu Gebäuden, Bäumen, Gerüsten, Hochspannungsleitungen und zu Sicherungsseilen aus Metall (auch bei Bergtouren) halten.
Ein halbe bis eine Stunde vor Beginn des Unwetters lässt sich der Ort recht gut eingrenzen
Für Menschen mit stählernen Nerven eignet sich die Warnwetter-App: Orange bis dunkelrot und lila leuchten die Flecken, die sich auf dem Warnmonitor unheilvoll nähern. Im Fünfminutentakt aktualisieren sich die Infos, so dass sich ein Anruf bei Freunden in Aalen diesen Dienstagnachmittag empfahl: Extrem heftiger Starkregen grade bei euch, oder?
Tipp mal auf den Zeitstrahl unten in der Karte, könnte die Antwort aus Aalen lauten: In einer Stunde knallt’s bei dir.
Andreas Friedrich vom Deutschen Wetterdienst schließt keine Wetten ab, wo ganz genau ein Unwetter die Menschen in die Häuser treiben wird. Stattdessen zieht der Meteorologe das Topf-Beispiel heran: Bevor das Wasser kocht, kann niemand wissen, an welcher Stelle im Topf zu exakt welcher Zeit Luftblasen blubbern. Gewitterwolken benehmen sich ähnlich chaotisch, sprich: Selbst ein mit der modernsten Software aller Zeiten ausgestatteter Meteorologe kann nicht vormittags vorhersagen, nachmittags um 15 Uhr wird exakt über Waiblingen ein Gewitter niedergehen. Aber, und dafür hätte der Wetterdienst mal ein fettes Lob verdient statt Häme: Das Wetterexpertenteam warnt zuverlässig vor Unwettern, kann anhand von Wetterradargeräten Gewitterwolken samt Hagel erkennen und grob so zwischen 30 und 60 Minuten im Voraus eine ziemlich coole Prognose treffen: Wie’s momentan aussieht, trifft das Unwetter die südliche Region Stuttgarts. Oder die nördliche. Oder die Gemeinde XY.
Warnwetter-App zeigt, wo’s jetzt kracht und wo später
Sollte das Unwetter dann doch einen Kilometer von der eigenen Terrasse entfernt sein Badewasser ausschütten – Glück gehabt und kein Grund, den Wetterdienst falscher Prognosen zu bezichtigen, zumal man dort zur Sicherheit lieber ein etwas zu großes Gebiet „bewarnt“ als ein zu kleines.
Mit Vorwürfen, die Prognose sei nicht exakt genug gewesen, kann Andreas Friedrich leben; das gehört sozusagen zur Stellenbeschreibung eines Meteorologen dazu. Während er am Telefon in rasender Geschwindigkeit erklärt, was feuchte Luft und Sonnenschein mit der Entstehung von Gewittern zu tun haben, schaut er zeitgleich auf die Warnwetter-App: Nordwestlich von Aalen taucht mittlerweile ein orangefarbener Klecks auf.
Womöglich ist das als Zeichen zu werten, nun den sicheren Standort unter der Bettdecke anzusteuern.
Vielleicht hilft’s was.