Rems-Murr-Kreis

Das wahre Ausmaß des Corona-Notstands: Nur 93 Covid-Intensivbetten frei in BW

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Auch um die Intensivbetten-Reserven steht es aus mehreren Gründen nicht so gut. © Adobestock/Kirsten Oborny

Die baden-württembergischen Krankenhäuser geraten immer mehr in den fatalen Sog der ungebrochenen vierten Corona-Welle. Warum sogar die Daten des Divi-Intensivregisters über das wahre Ausmaß des Krankenhaus-Notstands noch hinwegtäuschen könnten, wie wenige Intensivbetten für Covid-Patienten derzeit tatsächlich nur noch frei sind, und: wie es um die Überlebenschancen von Beatmeten steht. Dazu: Intensivpatienten-Kennzahlen aus dem Rems-Murr-Kreis und den Nachbarkreisen:

Wie ist die Lage auf den Intensivstationen landesweit in Baden-Württemberg?

Die allermeisten Kliniken in Baden-Württemberg, so auch die Rems-Murr-Kliniken,  haben längst in den Krisenmodus geschaltet, verschieben nicht lebensnotwendige OPs und haben Besucherstopps verhängt. 621 Covid-Intensivpatienten waren laut Divi-Intensivregister am Montag (29.11.), Stand 15.15 Uhr, gemeldet, davon wurden 334 beatmet. Wir nähern uns damit dem bisherigen Höchststand von 642, der am 29. Dezember 2020 verbucht wurde.

Die Anzahl der Covid-ITS-Patienten muss aber noch mit drei bis fünf multipliziert werden, um die Gesamtzahl der Covid-Patienten in den Krankenhäusern abzuschätzen. Die Gesamtzahl der Covid-Patienten in den Krankenhäusern des Landes wird demnach momentan irgendwo zwischen 1863 und 3105 liegen.

Rund 28 Prozent der ITS-Betten landesweit sind mit Covid-Patienten belegt. Die ITS-Betten in kleineren Krankenhäusern sind bereits bis zu 70 Prozent mit Covid-Patienten besetzt. Freie ITS-Betten sind Mangelware. Beispiele:

  • Landkreis Freudenstadt: 67 % der Intensivpatienten sind Covid-Patienten,
    4 Covid-Kranke auf ITS, 4 Beatmete,
    0 von insgesamt 6 ITS-Betten sind frei.
  • Landkreis Rottweil: 58 % der Intensivpatienten sind Covid-Patienten,
    7 Covid-Kranke auf ITS, 5 Beatmete,
    0 von insgesamt 12 ITS-Betten sind frei.
  • Zollernalbkreis: 50 % der Intensivpatienten sind Covid-Patienten,
    12 Covid-Kranke auf ITS, 4 Beatmete,
    1 von insgesamt 24 ITS-Betten ist frei.
  • Landkreis Waldshut: 60 % der Intensivpatienten sind Covid-Patienten,
    6 Covid-Kranke auf ITS, 4 Beatmete, 0 von insgesamt 10 ITS-Betten sind frei.

Allerdings täuschen diese Zahlen, denn auch in größeren Krankenhäusern sind die Belegungsraten mit Covid-Intensivpatienten wohl viel höher als aus dem Divi-Intensivregister ersichtlich. Denn: Rechnete man nur die ITS-Betten, die auch tatsächlich mit Covid-Patienten belegt werden könnten, so ergäben sich überall Covid-ITS-Belegungsraten von sicherlich 40 bis 50 Prozent. Das bestätigt zum Beispiel Alexander Tsongas, Sprecher der RKH-Kliniken. Es komme immer darauf an, wie viel der „High-Care-Intensivbetten“ belegt sind. „Da werden längst viel höhere Covid-Patienten-Belegungsraten erreicht“, so Tsongas.

Zum Vergleich: Nur noch 230 von landesweit insgesamt 2232 ITS-Betten sind frei, und von diesen 230 sind laut Divi explizit lediglich nur noch 93 für Covid-ITS-Patienten nutzbare Betten.

Patienten-Verlegungen in andere Bundesländer und ins Ausland?

Erste Covid-Intensivpatienten-Verlegungen von Baden-Württemberg in Krankenhäuser anderer Bundesländer mussten bereits stattfinden. Fünf Covid-Patienten aus den Pforzheimer Helios-Kliniken wurden am Donnerstag nach Rheinland-Pfalz (4), ins Saarland (2) in dortige Kliniken transportiert. Solche Verlegungen werden nach Einschätzung von Intensivmedizinern auch weiter, vielleicht sogar noch mehr stattfinden, sollte sich die Corona-Lage in Baden-Württemberg nicht beruhigen. Auch Nachbarländer kommen infrage. Das baden-württembergische Staatsministerium hat sogar am Samstag bestätigt, dass es Unterstützungsangebote aus der Schweiz, der französischen Region Grand Est und der italienischen Region Lombardei gebe.

Eine Verlegung von Patienten mit anderen Erkrankungen ist nach einem Kriterienkatalog der Intensivmediziner-Vereinigung Divi nur in Ausnahmefällen vorgesehen.

Und die Notfallreserven?

Innerhalb von sieben Tagen könnten laut Divi (Stand 29.11.2021) landesweit in Baden-Württemberg angeblich zusätzlich 1146 Intensivbetten aufgestellt werden. Auf ganz Deutschland gesehen hätten die Krankenhäuser eine Notfallreserve-Kapazität von 8734 Intensivbetten. Doch könnten diese zusätzlichen Betten auch wirklich alle betrieben werden?

Nein. Die Rems-Murr-Kliniken zum Beispiel wären zwar von Ausstattung und Gerätschaften in der Lage, bis auf 90 Intensivbetten mit Beatmungsgeräten aufzustocken. Es fehlt jedoch wie überall an Pflegepersonal. „90 Geräte allein bringen Ihnen ja nichts, wenn Sie nicht genügend qualifiziertes Personal mehr bekommen, um die Geräte zu bedienen“, sagt Dr. Torsten Ade, Chefarzt der Notaufnahme des Klinikums Winnenden.

Ähnliches schilderte Prof. Dr. Jan Steffen Jürgensen, Vorstandsvorsitzender des Klinikums Stuttgart, bereits Ende September 2021: „In jedem Fall ist in Deutschland nicht die Zahl der Betten oder Beatmungsgeräte limitierend, auch nicht die der Ärztinnen und Ärzte, sondern die Zahl des intensivmedizinisch geschulten Pflegepersonals.“ Innerhalb der Notfallreserve-Kapazität enthalten sind rund 215 zusätzliche Betten, die das Klinikum Stuttgart als größtes Haus in Baden-Württemberg bereitstellen könnte.

Auf ganz Deutschland bezogen sind wegen des Personalnotstands und des Wirtschaftlichkeitszwangs der Krankenhäuser durch eine verfehlte Gesundheitspolitik (Fallpauschalen etc.) mitten in der Pandemie rund 4000 weniger Intensivbetten 2021 in Betrieb als im Jahr 2020.

Wie stehen die Überlebenschancen von Covid-Intensivpatienten?

Im Schnitt stirbt jeder dritte oder vierte der Covid-Intensivpatienten, berichten Prof. Dr. Jan Steffen Jürgensen vom Klinikum Stuttgart und Prof. Dr. Mark Dominik Alscher vom Robert-Bosch-Krankenhaus. Der Hamburger Intensivmediziner Stefan Kluge schätzt die Sterblichkeit bei Covid-Intensivpatienten auf derzeit 30 bis 50 Prozent ein. Von den Schwerkranken, die an eine künstliche Lunge angeschlossen werden müssen, schaffe es mehr als jeder Zweite nicht, so Kluge.

Umso dramatischer und belastender für das Pflegepersonal ist dies, weil die Pflege von Covid-Patienten sehr intensiv und zeitaufwendig ist. Ihre Verweildauer in der vierten Welle ist extrem lang, weil auch die Anzahl der „jüngeren“ Covid-Intensivpatienten zugenommen hat. „Auf Intensiv haben wir viele Patienten im Alter zwischen 35 und Mitte/Ende 50“, sagt zum Beispiel Alexander Tsongas, Sprecher der RKH-Kliniken in Ludwigsburg, Bietigheim, Mühlacker, Bretten und Bruchsal.

„Diese Patienten sind jünger und widerstandsfähiger und liegen deshalb länger in den Betten. Ältere Menschen haben eine Verweildauer von rund zwei bis drei Wochen. Die jüngeren dagegen fünf bis sechs Wochen, so dass die Betten länger belegt sind“, sagt Tsongas. Ähnliches ist aus dem Klinikum Stuttgart, dem Robert-Bosch-Krankenhaus und den Rems-Murr-Kliniken zu hören. Das RKI gibt als durchschnittliche Verweildauer für beatmete Covid-Intensivpatienten mittlerweile 18 Tage an.

Die Lage in den Rems-Murr-Kliniken

Die Rems-Murr-Kliniken versorgen aktuell 70 Covid-Patienten, davon 15 auf der Intensivstation (alle 15 müssen beatmet werden). Laut Divi-Intensivregister sind in Schorndorf und Winnenden 29 Prozent der Intensivpatienten schwer an Covid Erkrankte. Nur noch 9 von insgesamt 51 ITS-Betten sind frei.

Wie ist die Lage auf den Intensivstationen in unseren Nachbarkreisen?

Unterschiedlich dramatisch ist die Lage in unseren Nachbar-Landkreisen:

  • Landkreis Heilbronn: 8 % der Intensivpatienten sind Covid-Patienten,
    4 Covid-Kranke auf ITS, 3 Beatmete,
    3 von insgesamt 50 ITS-Betten sind frei;
    aber der mit im selben Boot befindliche . . .
  • . . . Stadtkreis Heilbronn: 60 % der Intensivpatienten sind Covid-Patienten,
    23 Covid-Kranke auf ITS, 15 Beatmete,
    0 von insgesamt 38 ITS-Betten sind frei.
  • Landkreis Ludwigsburg: 34 % der Intensivpatienten sind Covid-Patienten,
    28 Covid-Kranke auf ITS, 10 Beatmete,
    2 von insgesamt 82 ITS-Betten sind frei.
  • Stadtkreis Stuttgart: 26 % der Intensivpatienten sind Covid-Patienten,
    57 Covid-Kranke auf ITS, 28 Beatmete,
    30 von insgesamt 222 ITS-Betten sind frei.
  • Landkreis Esslingen: 52 % der Intensivpatienten sind Covid-Patienten (vergangene Woche waren es auch schon mal 60 Prozent),
    33 Covid-Kranke auf ITS, 22 Beatmete,
    6 von insgesamt 64 ITS-Betten sind frei.
  • Landkreis Göppingen: 37 % der Intensivpatienten sind Covid-Patienten,
    13 Covid-Kranke auf ITS, 5 Beatmete,
    2 von insgesamt 35 ITS-Betten sind frei.
  • Ostalbkreis: 27 % der Intensivpatienten sind Covid-Patienten,
    14 Covid-Kranke auf ITS, 4 Beatmete,
    9 von insgesamt 52 ITS-Betten sind frei.
  • Landkreis Schwäbisch Hall: 29 % der Intensivpatienten sind Covid-Patienten,
    12 Covid-Kranke auf ITS, 5 Beatmete,
    3 von insgesamt 42 ITS-Betten sind frei.

Die baden-württembergischen Krankenhäuser geraten immer mehr in den fatalen Sog der ungebrochenen vierten Corona-Welle. Warum sogar die Daten des Divi-Intensivregisters über das wahre Ausmaß des Krankenhaus-Notstands noch hinwegtäuschen könnten, wie wenige Intensivbetten für Covid-Patienten derzeit tatsächlich nur noch frei sind, und: wie es um die Überlebenschancen von Beatmeten steht. Dazu: Intensivpatienten-Kennzahlen aus dem Rems-Murr-Kreis und den Nachbarkreisen:

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