Rems-Murr-Kreis

Die FDP Rems-Murr im Check: Was sagt die Junge, was meint der alte Hase?

FDP
Er seit ewigen Zeiten bei der FDP, sie engagiert bei den Jungen Liberalen: Ulrich Theurer und Celine Dieterich im Austausch. © Benjamin Büttner

Er hört ihr wirklich zu, das muss man ihm lassen. Unterließe er das, sie wüsste sich zu wehren. Zwischen Celine Dieterich und Ulrich Theurer liegen altersmäßig zwei Generationen. Sie 23, stellvertretende Vorsitzende der Jungen Liberalen Rems-Murr und dort für Programmatik zuständig, Studentin im Fachgebiet Corporate Communication Management, Mitarbeitende in einem IT-Konzern. Er 81, ehemals Studiendirektor, jahrzehntelang Stadtrat in Schorndorf, Ehrenvorsitzender des FDP-Kreisverbands Rems-Murr. Ulrich Theurer war dabei, als eine Gruppe Liberaler vor 50 Jahren den FDP-Kreisverband Rems-Murr aus der Taufe hob.

Partei feiert Jubiläum in Waiblingen

Diesen Freitag feiert die Partei ihr Jubiläum im Waiblinger Bürgerzentrum. Die Festrede hält Michael Theurer, Vorsitzender des FDP-Landesverbandes Baden-Württemberg und Parlamentarischer Staatssekretär beim Bundesminister für Digitales und Verkehr. Seine Polit-Karriere begann bei den Jungen Liberalen.

Ob Celine Dieterich irgendwann mal abbiegt Richtung Polit-Karriere, wird sich zeigen. Zuzutrauen wär’s ihr.

Ein Experiment: Wie werden sich die Junge und der Ältere begegnen?

Zunächst lässt sich die 23-Jährige auf das Experiment ein, anlässlich des 50-Jahr-Jubiläums mit einem erfahrungssatten, mit allen liberalen Wassern gewaschenen alten Haudegen ins Gespräch zu gehen, der rein altersmäßig ihr Großvater sein könnte.

Sie zollen sich gegenseitig Respekt, und das zu beobachten, ist richtig schön.

Wie halten sie’s sonst in der Partei, was Generationenkonflikte angeht?

Celine Dieterichs Gefühl zufolge vertreten die Jungen in der FDP, wenngleich natürlich nicht alle, eine eher sozialliberale Richtung, während die konservativere Fraktion, wen wundert’s, tendenziell von Älteren besetzt bleibt. Als auf Bundesebene die erste sozialliberale Koalition die Regierungsgeschäfte übernahm, das war 1969 unter Willy Brandt – hatte es die FDP im Rems-Murr-Kreis mit einer regelrechten Austrittswelle zu tun, erinnert sich Ulrich Theurer.

"Niemand bezieht gern Bürgergeld"

Und heute fühlen sich offenbar eine Reihe von Jungen Liberalen der sozialliberalen Richtung verpflichtet. Celine Dieterich ist das beste Beispiel dafür. Es steht zu befürchten, der FDP-Parteivorsitzende Christian Lindner hätte gar keine so große Freude gehabt, wäre er bei der generationenübergreifenden Debatte in der FDP-Kreisgeschäftsstelle in Endersbach dabei gewesen. „Niemand bezieht gern Bürgergeld“, sagt Celine Dieterich. Sie fühlt sich bei den Liberalen politisch heimisch, weil sie deren Ideen, wie Menschen aus Abhängigkeiten möglichst herauskommen können, für sinnvoll hält. Nur leider werde, was die 23-Jährige bedauert, der Sozialpolitik der FDP viel zu wenig öffentliche Aufmerksamkeit geschenkt. „Wir sind keine Oberschicht- und Unternehmerpartei“, betont sie mit Blick auf ihre eigene Geschichte: Ihre Mutter und ihr Vater sind weder Zahnärztin noch Ingenieur. Sie selbst ist die Erste in ihrer Familie, die studiert. In liberalen Ideen entdeckt sie einen Chancenreichtum, der ihr zusagt: Wer die Dinge selbst in die Hand nimmt, anpackt, etwas reißt – der oder die soll auch die Früchte ernten. Im Kleinen wie im Großen.

Nur übertreiben sie’s damit im Großen in reichlich unverschämtem Ausmaß – etwa dann, wenn Großkonzerne noch das allerkleinste Schlupfloch aufspüren, um Steuerzahlung zu vermeiden. „Da könnte auch die FDP genauer hinschauen“, fordert Ulrich Theurer seine Partei auf.

Hohe Vermögen kräftig besteuern? Bloß nicht!

Nicht ohne Grund gilt die FDP als die Partei der Besserverdienenden. Hohe Vermögen kräftig besteuern? Bloß nicht! Erbschaftssteuer merklich anheben? Um Himmels willen!

Nicht alles gehört in einen Topf, mahnt Ulrich Theurer. Beim Stichwort „Unternehmer“ denkt er eher an den Metzgermeister von nebenan, der sich krumm und bucklig schafft, oder an den Mittelständler, der sein Lebenswerk an die nächste Generation weiterreichen möchte, ohne dass die Jungen Besitz verkaufen müssen, um die Erbschaftssteuer zahlen zu können. Im Übrigen, betont Theurer ausdrücklich, muss der Staat natürlich einen Rahmen setzen, damit die Freiheit des einen nicht die Freiheit des anderen einschränkt. Doch Verbote im Stile von „am Donnerstag gibt es kein Fleisch in der Kantine“ – gehen ihm einfach zu weit.

Erst seit fünf oder sechs Jahren erleben die Jungen Liberalen im Rems-Murr-Kreis eine Renaissance. „Wir sind überall vertreten“, sagt Celine Dieterich mit Blick auf die Parteigremien. Früher war das Verhältnis zwischen Jung und Alt in der Partei ein anderes. „Etwas penetrant“ seien die Jungdemokraten zu Anfangszeiten aufgetreten, erinnert sich Ulrich Theurer. Viele von ihnen „sind dann zu den Grünen gegangen.“

Ob sich unter jungen Leuten eine Art Graben auftut?

Heute ist die Situation eine komplett andere: Besonders vor der Bundestagswahl 2021 verzeichneten die Jungen Liberalen einen Zulauf in Größenordnungen, die sich kaum jemand hätte vorstellen können. Es scheint, doch das bleibt Spekulation, unter 18- bis 28-Jährigen eine Art Graben zu bestehen. Hier die eher den Grünen zugeneigten, wegen des Klimawandels zutiefst besorgten, auf Gendergerechtigkeit pochende Gruppe. Dort jene jungen Leute, die sich recht schnell gegängelt fühlen, dem technologischen Fortschritt vertrauen, sich mit dem deutschen Rückstand in Fragen der Digitalisierung nicht abfinden wollen.

Wegen des Klimawandels macht sich Celine Dieterich durchaus Sorgen, „doch ich glaube“, sagt sie, die Wende hin zum Besseren „ist schaffbar. Ich bin da optimistisch.“ Der typische FDP-Begriff von der „Technologieoffenheit“ muss an dieser Stelle fallen; ferner glaubt die 23-Jährige an die Wirksamkeit des Emissionshandels.

Vertrauen in die Forschung

Ulrich Theurer findet es gut und richtig, dass die FDP auf dem Standpunkt steht, „wir sollten in alle Richtungen weiterforschen.“ Niemand kann bestreiten, dass Deutschland und die Welt viel mehr tun müssen. Doch jetzt den Alten vorzuwerfen, „wir hätten alles verschlafen“ – das führt doch zu nichts.

Reinhold Maier (1889-1971), der erste Ministerpräsident Baden-Württembergs, gebürtiger Schorndorfer und im Rems-Murr-Kreis hochverehrter FDP-Politiker, habe schon vor Jahrzehnten auf die Klimaproblematik hingewiesen. Allein – man hörte nicht auf ihn und nicht auf alle anderen, die früh schon warnten. Manche Dinge wollte man, fasziniert vom Wirtschaftswunder, einfach nicht sehen, räumt Ulrich Theurer ein – „weil die Rendite wichtiger war.“

Bildung stand jedenfalls nicht weit oben auf der Prioritätenliste. Digitalisierung auch nicht. Ein Fehler, betont Celine Dieterich. Die Lehrpläne gehören dringend entrümpelt, mahnt sie, und warum lernen Schüler/-innen nicht, wie eine Steuererklärung anzufertigen ist?

Viel mehr „Entfaltungsmöglichkeiten“ sollte Schule bieten, findet Ulrich Theurer. Wer Chancengerechtigkeit fördern möchte, muss in Bildung investieren.

Gerechtigkeit – ein großes Wort. Gesellschaften werden immer weiter darum ringen müssen, wie sie Gerechtigkeit verstehen und erreichen wollen. In diesen und allen anderen Fragen reden die Jungen Liberalen im Rems-Murr-Kreis jedenfalls ein gewichtiges Wörtchen mit, bestätigt Celine Dieterich: „Wir schrecken nicht davor zurück, unsere Meinung zu sagen.“

Er hört ihr wirklich zu, das muss man ihm lassen. Unterließe er das, sie wüsste sich zu wehren. Zwischen Celine Dieterich und Ulrich Theurer liegen altersmäßig zwei Generationen. Sie 23, stellvertretende Vorsitzende der Jungen Liberalen Rems-Murr und dort für Programmatik zuständig, Studentin im Fachgebiet Corporate Communication Management, Mitarbeitende in einem IT-Konzern. Er 81, ehemals Studiendirektor, jahrzehntelang Stadtrat in Schorndorf, Ehrenvorsitzender des FDP-Kreisverbands

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