Rems-Murr-Kreis

Drohender Ausschluss von Boris Palmer: 500 Grüne sprechen sich dagegen aus

Boris Palmer
Boris Palmer, Sohn des Remstalrebellen Helmut und Oberbürgermeister von Tübingen. © Gabriel Habermann

Bei den Grünen kursiert eine Unterschriftenliste pro Boris Palmer – bereits 500 Parteimitglieder haben einen Aufruf unterzeichnet, um gegen den drohenden Parteiausschluss des Tübinger Oberbürgermeisters und Geradstettener Helmut-Sohns zu protestieren. Unter ihnen: Willi Halder, Winnender Grünenlegende und ehemaliger Landtagsabgeordneter.

Von Halder bis zur ehemaligen Bundestags-Vizepräsidentin - wer alles dabei ist

Noch ist die Liste nicht veröffentlicht. „Ich bin überrascht, dass Sie das haben“, antwortet Halder auf unsere Zeitungsnachfrage, bislang kursiere das Papier ja eigentlich nur parteiintern – aber gut, er könne bestätigen, was die Presse offensichtlich eh schon wisse: Auch er habe unterschrieben. Das sei eine „tolle Initiative“. Ein „breites Spektrum an aktiven Mitgliedern, tief verankert in der Kommunalpolitik“, habe sich zusammengefunden, um die Stimme für den streitbaren Palmer zu erheben.

Nur ein aktueller Landtagsabgeordneter ist auf der Liste, das fällt auf: Martin Hahn aus dem Bodenseekreis. Aber der Promi-Faktor des Namensverzeichnisses ist beachtlich, da findet sich eine Fülle von ehemals prägenden Köpfen der Öko-Partei. Dr. Antje Vollmer, ehemals Vizepräsidentin des deutschen Bundestages, hat ebenso pro Palmer unterschrieben wie Klaus-Peter Murawski, ehemals Chef der Staatskanzlei unter Kretschmann in der Villa Reitzenstein; Nikolaus Huß, ehemals Landesgeschäftsführer der baden-württembergischen Grünen; Edith Müller, ehemals Europaparlamentarierin und Vizepräsidentin der Landtages Nordrhein-Westfalen; Wolfgang Reimer, ehemals Stuttgarter Regierungspräsident; Dr. Dieter Salomon, ehemals Landtagsabgeordneter und Oberbürgermeister von Freiburg; Hedi Christian, ehemals Fraktiongeschäftsführerin der Grünen im Landtag Baden-Württemberg; Gerald Häfner, Mitgründer und ehemals Landesvorsitzender der Grünen in Bayern.

Neben diesen bekannten „Ehemals“ stehen vor allem viele altgediente, aber immer noch aktive Kommunalpolitiker auf der Liste – Gemeinderäte, Kreisräte, Kreisvorsitzende, also keine Karteileichen, sondern Vertreter der urgrünen Basis. Und auch neun aus dem Rems-Murr-Kreis sind dabei – darunter eben Willi Halder.

Die Unterzeichnenden kommen vor allem, aber bei weitem nicht nur aus Baden-Württemberg – viele aus Tübingen sind dabei, aber auch Leute von Aalen bis Aachen, Böblingen bis Berlin, Biberach bis Bielefeld, Heidelberg bis Halle, Ravensburg bis Rottweil, Stuttgart bis Solingen.

"An seinen Taten sollt ihr ihn messen": Die Argumente der Pro-Boris-Fraktion

„Liebe Baden-Württemberger Grüne“, heißt es in dem Schreiben, das zur Unterschrift aufruft, „wir wenden uns an Euch, weil wir mit dem Beschluss der Landesdelegiertenkonferenz vom 8. Mai 2021, ein Parteiausschlussverfahren gegen Boris Palmer in die Wege zu leiten, nicht einverstanden sein können.“ Ja, es stimme, Palmer sei ein „Provokateur. Viele – auch wir – halten manche Äußerungen von Boris für unpassend, geschmacklos, beleidigend oder verstörend“. Doch „als Gründe für einen Parteiausschluss reichen diese verbalen Entgleisungen nicht aus.“

Denn die Pro-Boris-Fraktion hält eine episch lange Erfolgsliste dagegen. „Kein deutscher Oberbürgermeister hat in Zusammenarbeit mit seiner Verwaltung, seinem Gemeinderat und seinen Bürgerinnen und Bürgern so viele urgrüne Ziele realisiert wie Boris Palmer“ in Tübingen – „wir meinen: An seinen Taten sollt ihr ihn messen.“

Nur einige wenige der aufgezählten Beispiele: Unter Palmer wurde Tübingen „fahrrad- und fußgängerfreundlich umgestaltet und investiert dazu pro Einwohner mehr für den Fahrradverkehr als Kopenhagen; der Busverkehr wurde an sieben Tagen die Woche rund um die Uhr ausgebaut und dicht getaktet und die Busse fahren samstags kostenfrei.“ Der Ausstoß von CO2 in der Stadt konnte so „um ein Drittel gesenkt werden“ – auch, weil die Solardachpflicht eingeführt und die Erzeugung von Strom aus erneuerbaren Energien „verzehnfacht“ wurde.

Von Kinderbetreuung bis Corona - Palmers Duftmarken

Und weiter: „Tübingen ist im Hinblick auf Kinderbetreuungsplätze für unter Dreijährige bundesweit führend; ein spezielles Wohnkonzept für Geflüchtete mit über die ganze Stadt verteilten Baugemeinschaften hilft bei der Integration; für den Bau von Sozialwohnungen hat Tübingen von allen Städten die meisten Mittel aus dem Wohnraumförderprogramm des Landes Baden-Württemberg abgerufen“ und mit dem Programm „Fairer Wohnen“ Standards gesetzt, „die andernorts als Vorbild gelten“. Und auch Palmers „umsichtiger Maßnahmenkatalog zur Eindämmung der Corona-Pandemie“, ärztlich begleitet von Lisa Federle, fand bundesweit Beachtung.

Kurzum: Tübingen gelte in ganz Deutschland heute „als Musterstadt für die Umsetzung unserer grünen Werte und Zielvorstellungen“.

Die "Debattenkultur" bei den Grünen "ist schützenswert"

Noch ein Aspekt aber scheint den Palmer-Anwälten wichtig zu sein: Wenngleich Boris Palmer Teile der Partei manchmal auf die Palme treibt, sei er doch auch ein „wichtiger Stichwortgeber zur innerparteilichen Debatte“. Sein Buch „Wir können nicht allen helfen“ zum Beispiel habe „sehr luzide und überzeugend die Möglichkeiten und Grenzen der Integration geflüchteter Menschen aus kommunalpolitischer Perspektive“ dargelegt. Anstatt aber „seine bedenkenswerten Argumente in programmatischen Debatten innerhalb unserer Partei aufzugreifen, wurde er diffamiert“.

Der Fall zeige, dass es in dieser einst anarchisch diskutierfreudigen, auch intern immerzu munter streitlustigen Partei „intellektuelle Exzentriker“ mittlerweile „schwer haben“ und „Charakterköpfe“ nicht mehr „als interessante Bereicherung angesehen werden“. Deshalb sei zu erinnern „an die in unserer Partei hochgehaltene Debattenkultur, die wir für besonders schützenswert halten“. Es sei Aufgabe der Partei, „gesellschaftlich kontroverse Themen auch bei uns diskursiv auszutragen, immer in der Hoffnung, dass das beste Argument dann auch siegen wird. Solche Debatten müssen von der Partei organisiert und dürfen nicht unterdrückt werden“.

Bei den Grünen kursiert eine Unterschriftenliste pro Boris Palmer – bereits 500 Parteimitglieder haben einen Aufruf unterzeichnet, um gegen den drohenden Parteiausschluss des Tübinger Oberbürgermeisters und Geradstettener Helmut-Sohns zu protestieren. Unter ihnen: Willi Halder, Winnender Grünenlegende und ehemaliger Landtagsabgeordneter.

Von Halder bis zur ehemaligen Bundestags-Vizepräsidentin - wer alles dabei ist

Noch ist die Liste nicht veröffentlicht. „Ich bin überrascht,

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