EU-Pflanzenschutz-Richtlinie: Grüne schreiben an Winzer im Rems-Murr-Kreis

Gert Aldinger, Seniorchef des gleichnamigen Fellbacher Weinguts, findet, dass er in seinem Alter mit der Meinung nicht mehr hinterm Berg halten muss. Er sagt, was er denkt. Und er sagt, es sei „gut, was die Grünen da geschrieben haben“. Die Grünen haben sich zur geplanten EU-Pflanzenschutzrichtlinie geäußert. Jener Richtlinie, die, so wurde noch im November gefürchtet, den „Tod des Weinbaus“ zur Folge hätte. Und jetzt? Gibt's eine 180-Grad-Kehre bei der Umweltschutzpolitik? Mitnichten!
Warum ist Gert Aldinger mit der Resolution der Grünen einverstanden?
Die Landtags-Grünen aus dem Rems-Murr-Kreis, es sind Ralf Nentwich, Swantje Sperling und Petra Häffner, haben einen Brief an die Rems-Murr-Wengerterinnen und -Wengerter geschrieben. Darin erklären sie ausdrücklich, dass das Ziel der EU für weniger Pestizideinsatz „grundsätzlich zu begrüßen“ sei. Die Grünen argumentieren sogar für eine „starke“ Reduzierung von Pestiziden. Stockt da dem einen oder anderen Wengerter im Rems-Murr-Kreis der Atem? Und was ist mit Gert Aldinger los?
Der Aufschrei nach Bekanntwerden der geplanten EU-Naturschutz-Richtlinie, die ein Totalverbot von Pflanzenschutzmitteln in Naturschutzgebieten vorsah, war groß. Die Rede ging vom „Tod des Weinbaus“ im Rems-Murr-Kreis. Denn 800 von 1200 Hektar Rebfläche wären nicht mehr zu versorgen gewesen – sie liegen in Landschaftsschutzgebieten.
Die CDU, die SPD, die Grünen und die FDP machten sich für den Weinbau stark, die Wengerter unterschrieben die „Weinstädter Erklärung“, luden Politiker – sogar aus dem EU-Parlament – in die Weingüter. So viel Gras-, nein, Weinstockwurzel-Politik war schon lang nicht mehr im Kreis. Die einhellige Meinung aller Betroffenen: So geht's nicht.
Gert Aldinger war mit seinem Engagement gegen das rigorose EU-Vorgehen bis zu Ministerpräsident Kretschmann durchgedrungen. Und dennoch sagt der höchst erfolgreiche Fellbacher Weinstock-Veteran – übrigens wären auch Rebflächen von ihm selbst von der Richtlinie betroffen gewesen –, dass gut sei, was die Grünen schreiben.
Denn: Sie unterstützen gleichzeitig die seit Bekanntwerden der EU-Planungen um ihr Handwerk Bangenden, jene, die im Rems-Murr-Kreis Jahr um Jahr viel Zeit, Mühe und Herzblut in den Weinberg stecken. Sie schreiben, dass der Weinbau ein „wichtiger Teil der Landwirtschaft“ sei – „nicht wegzudenken“. Sie schreiben von „wertvollen Erträgen“ und von einem „zu schützenden Kulturgut“ – das ist, freilich, ein bisschen Seelenstreicheln. Das ist, auf jeden Fall, dringend nötig.
Doch dabei bleibt's nicht: Die Grünen fordern – wie die anderen Parteien übrigens auch – bei der Entwicklung der Naturschutz-Richtlinien die Expertise der Betroffenen, der Wengerterinnen und Wengerter, einzuholen.
Der Wandel in der Weinbaubranche suche seinesgleichen
Als er im Weinberg angefangen hat, sagt Gert Aldinger – in den 70er Jahren war das –, da habe er gespritzt „und nach zehn Minuten isch alles auf dem Rücken gelegen und hat die Füß’ in die Luft g'streckt“. So, sagt er, könne man heute nicht mehr arbeiten. „Das geht nicht mehr!“ Und er ist der Meinung, dass der Wandel, den die Weinbaubranche in den letzten Jahrzehnten durchgemacht habe, seinesgleichen suche.
Ja, es habe die Flurbereinigung gegeben. Ja, die Idylle im Weinberg mit Trockenmäuerle und Wildnisinseln sei weg. Aber ohne Flurbereinigung gäbe es wahrscheinlich gar keinen Weinbau mehr. Und erst der Weinbau, ist sich der Wengerter sicher, ermöglicht ein vielfältiges Leben in den Remstäler Hügeln. Denn die Wengerter brechen die Monokultur, die die Flurbereinigung geschaffen hat, seit vielen Jahren auf. Die Weinberge blühen und leben.
„Ich bin überzeugt, dass wir das Maximale getan haben“, sagt Gert Aldinger im Hinblick auf die EU-Pflanzenschutzrichtlinie und die Zukunft des Weinbaus und der Landwirtschaft allgemein in Schutzgebieten. Mit „wir“ meint er die Rems-Murr-Wengerter, die Presse und die Politiker. Andere Landwirte im Rems-Murr-Kreis, findet er, dürften sich gerne noch ein bisschen mehr aus dem Fenster lehnen. „Die sind doch auch betroffen!“
Vielleicht müssen sie das ja aber gar nicht mehr. Vielleicht profitieren sie davon, dass die Grünen vor der Niederschrift ihrer Resolution den engagierten Wengertern sehr gut zugehört haben.