Gerhard Schröder rauswerfen: Pierre Orthen und SPD Leutenbach gehen in Berufung

Ist Gerhard Schröder ein Putin-Lobbyist? Jedenfalls pflegt er eine irritierende Nähe zum russischen Präsidenten und hat sich bis heute zu allenfalls halbherzigen Distanzierungen durchgerungen – der SPD-Ortsverein Leutenbach will den Altkanzler deshalb weiterhin aus der Partei werfen und legt Berufung ein gegen das Urteil der Bezirksschiedskommission Hannover. Was sind ihre Argumente? (Zuvor hatte es bereits ein Urteil der Unterbezirksschiedskommission gegeben.)
SPD Leutenbach gegen Gerhard Schröder: Nächste Instanz Bundesschiedskommission
Dass Schröder gegen Statuten, Grundsätze oder Ordnung der Partei verstoßen, sich einer ehrlosen Handlung schuldig gemacht oder die innerparteiliche Solidarität missachtet habe, lasse sich „nicht mit hinreichender Sicherheit feststellen“, heißt es in dem Urteil. „Ich hatte schon so ein bisschen Hoffnung“, sagt Pierre Orthen, Vorsitzender des Ortsvereins Leutenbach, dass die Kommission, die sich ja immerhin „sehr viel Zeit“ genommen habe, zu einem anderen Befund kommen werde. Gleichwohl: Ein „bisschen erwartbar“ sei es gewesen.
Aber: Die Kommission hat immerhin eine Berufung zugelassen – und die Leutenbacher ziehen diese Option. Nächste Instanz: die Bundesschiedskommission.
Interessanter als das eigentliche Urteil ist die Begründung, die uns und vielen anderen Medien vorliegt. Sie zeichnet nach, welch dubiose Rolle Gerhard Schröder in jüngerer Vergangenheit gespielt hat.
Zunächst war er trotz seines engen Drahts entweder völlig ahnungslos, was Putins Kriegspläne betrifft; oder das, was Schröder erzählte, war nicht das, was er wusste. Jedenfalls, noch Ende Januar erklärte er: Er glaube nicht, „dass die russische Führung ein Interesse daran haben kann, in der Ukraine militärisch zu intervenieren“, und „hoffe sehr, dass man endlich auch das Säbelrasseln in der Ukraine wirklich einstellt“. Im Nachhinein betrachtet eine äußerst schräge Täter-Opfer-Umkehr.
Gerhard Schröder und die Friedensbedingungen
Nach Recherchen der New York Times habe Schröder dann kurz nach Kriegsbeginn über das Schweizer Medienhaus Ringier eine Anfrage der Ukraine erhalten, ob er vermitteln könne. Am 7. März habe ein ukrainischer Parlamentarier sich mit Schröder in Istanbul getroffen. Direkt danach, noch im Taxi, soll Schröder bei der russischen Botschaft in Berlin angefragt haben, ob er Putin sehen könne.
Bereits zehn Minuten später sei die Zusage gekommen. Am 9. März sei eine russische Maschine in Istanbul gelandet und habe Schröder nach Moskau gebracht. Dort sei er „wie ein Staatsmann“ behandelt worden, habe mit Putin am legendären Riesentisch Platz nehmen und anschließend weitere wichtige Strippenzieher sprechen dürfen.
So machtvoll all das klingt – der Elefant kreißte und gebar eine Maus. Schröder erklärte gegenüber New York Times und FAZ danach zwar, dass Putin interessiert sei, den Krieg zu beenden – „aber das ist nicht so einfach“. Einige Forderungen müssten erfüllt werden.
Forderungen an die Ukraine: Krim aufgeben, Abspaltung des Ostens zulassen
Erstens: Die Ukraine müsse „neutral“ werden. Zweitens: Sie müsse anerkennen, dass die Krim „faktisch russisch“ sei, also sich abfinden mit der völkerrechtswidrigen Annexion von 2014. Drittens: Den Regionen im Donbass müsse „mehr Autonomie“ gewährt werden. Sprich: Die Ukraine hätte neben der Krim auch Teile ihres Staatsgebietes im Osten mehr oder weniger abtreten müssen.
Die Ukraine betrachtete Schröders Initiative damit als gescheitert.
Ende April berichtete die New York Times, Schröder habe sich gegenüber der Zeitung zwar „vom Krieg“ distanziert, aber nicht „von Putin“. Zu den Massakern von Butscha habe er gesagt: „Das muss untersucht werden“, aber er denke nicht, dass Putin den Befehl dazu gegeben habe.
Von diesem „Massenmord“, kontert Pierre Orthen, soll Putin nichts gewusst haben?! Schröder sei ja „nicht dumm, ihm muss doch bewusst sein“, dass so etwas nicht „an Putin vorbei“ geschehe.
Gerhard Schröders russische Jobs: Was wurde aus ihnen?
Orthen findet es auch „ein bisschen unglaubwürdig“, dass Schröder sich ernsthaft als aussichtsreicher Vermittler und ehrlicher Makler zwischen den Interessen Russlands und der Ukraine gesehen haben will. Die bezahlten Posten des Altkanzlers bei russischen Energieunternehmen sprechen eher dafür, dass er parteiisch ist.
Dazu heißt es im Urteil der Bezirksschiedskommission abwiegelnd: Mittlerweile habe Schröder diese Engagements ja „offenkundig auslaufen“ lassen. Es gibt aber zwei Argumente, die hinter diese Sicht ein Fragezeichen setzen.
Erstens, sagt Lennart Knab, für den Leutenbacher SPD-Ortsverein ebenfalls am Verfahren beteiligt: Es sei doch „höchst befremdlich“, dass Gerhard Schröder nicht bereits 2014 nach der russischen Annexion der Krim seine „Lobbytätigkeiten für russische Unternehmen“ aufgegeben habe.
Zweitens, ergänzt Pierre Orthen: Auf der Job-Plattform LinkedIn sei diese Woche immer noch gestanden, dass Schröder für Rosneft und Gazprom arbeite. „Er hat immer nur angekündigt, das auslaufen zu lassen. Ob den Ankündigungen Taten gefolgt sind, ist nicht richtig ersichtlich.“
Gerhard Schröder und die SPD: Man kann nicht so tun, "als wäre nichts geschehen"
Nun also die nächste Instanz; selbst wenn sie erneut verloren geht – immerhin „haben wir und alle anderen Antragssteller klargemacht, dass Schröders Freundschaft zu Wladimir Putin und seine Lobbyarbeit für mittelbar am russischen Angriffskrieg beteiligten Unternehmen an der Parteibasis nicht akzeptiert wird“, sagt Pierre Orthen.
Und Lennart Knab empfiehlt Schröder, freiwillig die Partei zu verlassen – es könne doch nicht sein, dass er bleibe, „als sei nichts geschehen“.