Impfung ab 12: Was der Winnender Klinik-Chefarzt Prof. Ralf Rauch empfiehlt - und was Sarah, 16, dazu sagt

Sie tue dies, sagt Sarah, 16, für ihre „Sicherheit“ – aber auch, weil sie dazu beitragen wolle, „dass man die Pandemie jetzt ausrotten kann, als Gesellschaft“. Er wundere sich, sagt Prof. Rauch, dass die Corona-Gefahren für bislang kerngesunde Kinder "mit einem Schulterzucken“ abgetan würden. Notizen zum Impfaktionstag für die Altersgruppe 12 bis 17 in der Alten Kelter Fellbach.
Nicht viel los hier - woran liegt's?
Dies ist „als Angebot gedacht“, sagt Martina Keck, Pressesprecherin des Landratsamts – „ohne Druck, nur für diejenigen, die es möchten“. Der Bär steppt nicht direkt an diesem Freitagmorgen in der Alten Kelter: etwa 15 Impfwillige zwischen 9 und 10 Uhr. Am Ende des Tages werden es 37 sein; immerhin mehr als die 24 Jugendlichen am Donnerstag.
Die Resonanz sei „eigentlich traurig“, findet Jörg Behrens, medizinischer Leiter der Aktion, und sucht Trost in der Urlaubsvermutung: „Man kann es auf die Ferienzeit schieben.“
Ein anderer Faktor dürfte hinzukommen: Bei Kindern und Jugendlichen ist das Risiko eines schweren Covid-Verlaufs nun einmal viel geringer als bei Älteren. Es ist vollkommen legitim, wenn Eltern gründlich die Infektionsrisiken gegen mögliche Impfnebenwirkungen abwägen.
Aber natürlich hat auch die 16-jährige Sarah recht, die ihre Impfung als gesellschaftlichen Beitrag betrachtet. „Jede Impfung hilft“, bestätigt Martina Keck.
Lahmende Impfkampagne: Schuld sind nicht die Jugendlichen!
Dass die Impfkampagne derzeit lahmt, liegt aber nicht an den paar Millionen jungen Leuten zwischen 12 und 17; sondern an jenen mehr als 20 Millionen Erwachsenen zwischen 18 und 59, die sich noch nicht zum Piks durchgerungen haben. „Viele Impfzentren kämpfen gerade mit einer Impfflaute und sind wenig ausgelastet“, erzählt Behrens. Dabei kann man mittlerweile quasi überall ohne Anmeldung reinspazieren.
Anfangs, sagt Behrens, sei er öfter „angeschrien“ worden und auch schon „bespuckt“: Leute kamen ins Kreisimpfzentrum in der Waiblinger Rundsporthalle – „wie?! Ich krieg keine Impfung? Weil ich keinen Termin habe?!“ So sehr Behrens in der Frühzeit der Impfstoffknappheit für den Sinn der Terminpflicht warb – die „verbalen Ausfälle“ waren „ganz krass“.
Und nun das: Zwar haben mehr als die Hälfte aller Rems-Murr-Einwohner – 50,7 Prozent – schon den vollen Immunschutz via Zweitimpfung. Die Erstimpfungsquote aber lahmt. Schon vor einem Monat lag sie im Landkreis bei 51 Prozent; bis Anfang August ist sie nur auf 56 geklettert. Die Impfkampagne ist jetzt wieder, wie am Anfang, ein Schneckenrennen; diesmal nicht wegen Serum-Mangel, sondern wegen Interessenten-Mangel. Tun wir also nicht, als ob es an den Kindern läge, wenn wir die Herdenimmunität nicht erreichen.
Evi Probst ist mit Tochter Lotte, 14, und Sohn Leon, 13, hier. „Für mich ist es absolut ein Kompromiss“, sagt die Mutter. Sie stehe „nicht hundertprozentig dahinter“. Aber „der Druck auf Jugendliche wächst, weil man nicht genug Leute über 18 findet“. Sohn Leon sieht allerdings auch einen wichtigen Vorteil: „In Zukunft muss ich mich nicht mehr so oft testen lassen.“
Chefarzt Rauch: Auch gesunde Kinder sind gegen schwere Covid-Verläufe nicht gefeit
Impfung ab 12, (a) ja, (b) nein? Das sei schlicht eine „Risiko-Abwägung“, sagt Prof. Dr. Ralf Rauch, Chefarzt der Kinder- und Jugendmedizin am Klinikum in Winnenden. Er staune, wie viele „behaupten“, dass eine Corona-Infektion „belanglos“ sei für die Jüngeren; und verweist auf eine Umfrage der Deutschen Gesellschaft für Pädiatrische Infektiologie: Obwohl sich nur die Hälfte der deutschen Kinderkliniken beteiligte, wurden dennoch 1660 Fälle von Kindern gemeldet, die während der Pandemie bislang stationär im Krankenhaus behandelt werden mussten. In Wahrheit, schätzt Professor Rauch, waren es wohl mindestens doppelt so viele.
3500, vielleicht 4000 heftige Verläufe bei rund 15 Millionen Minderjährigen in Deutschland – „das ist nicht viel, geb’ ich zu“. Aber: Es handle sich um Zahlen aus der ersten, zweiten, dritten Welle. Damals waren „die Schüler maximal abgeschirmt“, saßen zu Hause, trafen sich kaum mit Freunden, hatten Home-Schooling. Wenn im Herbst die vierte Welle kommt, dürfte das Virus unter den Jüngeren drastischer kursieren. „Viele werden unerkannt die Infektion durchmachen“ – aber absehbar mehr als bisher auf Intensivstationen landen.
Die Umfrage habe auch 380 PIMS-Fälle dokumentiert. PIMS: Pädiatrisches Inflammatorisches Multiorgan-Syndrom; eine schwere Infektionsfolge: hohes Fieber über lange Zeit, mindestens zwei, oft mehr Organe betroffen.
Rauch: Entweder oder – „ich glaube, es gibt keinen dritten Weg“
Gut 80 Prozent der PIMS-Kinder hätten keinerlei Vorerkrankung gehabt, betont Rauch. Ähnliches zeige sich insgesamt bei schweren Infektionsverläufen: „Das Gros der Kinder war eigentlich vorher gesund.“ Dass angeblich fast nur vorerkrankte Kinder vom Virus hart getroffen werden können, sei ein „Mythos“.
Wir haben, sagt Rauch, eine „zugelassene Impfung“, die meist „gut vertragen“ wird. Sicherlich, es gibt Risiken: Die Gefahr einer Herzmuskelentzündung liege bei eins zu zehntausend bis eins zu zwanzigtausend; „sicher keine Lappalie“ – auch wenn an dieser Impfkomplikation bisher kein Kind in Deutschland gestorben sei.
Nur: Bei einer Infektion – und vor allem bei PIMS – „ist der Herzmuskel sicher auch ein Zielorgan“.
Letztlich, sagt Rauch, gehe es um "Entweder oder": „Will ich eine Impfung? Oder will ich eine Infektion? Ich glaube, es gibt keinen dritten Weg.“