Rechtsextremes Hassgewitter: Wie Alfred Denzinger aus Rudersberg sich dagegen wehrt

Rechte Hetzer drohen einem Journalisten, ihn umzubringen und sein Haus anzuzünden – sollte er Anzeige erstatten gegen den Mob? Oder das gefälligst bleibenlassen, damit er nicht „die Kriminalstatistik verfälscht“? Um diese absurde Frage geht es allen Ernstes im Streit zwischen dem Rudersberger Reporter Alfred Denzinger und dem AfD-Kreisrat Frank Kral.
Es beginnt ganz harmlos, in einer Sitzung
Dieser Tage im Sozialausschuss des Kreistages: Wolfgang Reubold, Vizepräsident des Polizeipräsidiums Aalen, referierte über politisch motivierte Kriminalität. Im Jahr 2020 gab es im Präsidiumsbereich 225 sogenannte „Straftaten rechts“ – allein 155 von ihnen im Rems-Murr-Kreis; in Schwäbisch Hall und Ostalbkreis zusammen dagegen nur 70! Wir, die Neonazi-Hochburg?
Moment. Die Statistik hat eine Tücke: Allein 73 der 155 Fälle sind laut Auskunft der Polizei unaufgeklärte Internet-Straftaten, Beleidigungen, Bedrohungen, rechte Hetze, begangen von anonymen Tätern, die irgendwo in Deutschland wohnen. Warum wanderten diese Delikte dann allesamt ausgerechnet in die Rems-Murr-Statistik? Weil hier das Opfer aller 73 offenen Fälle wohnt: Alfred Denzinger, Betreiber der Online-Publikation „Beobachternews“, spezialisiert auf die Ausleuchtung rechter Umtriebe.
Kral, AfD, wittert Manipulation, Denzinger wittert fehlende Tassen
Nach der Sozialausschuss-Sitzung veröffentlichte der AfD-Kreisrat Frank Kral eine Pressemitteilung. Titel: „Bewusste Manipulation der Polizeistatistik durch Linksextreme?“ Durch einen „einzelnen Akteur“ werde die „Statistik massiv verfälscht“ und „manipuliert. Macht dieser Mensch den ganzen Tag nichts anderes?“
„Und wenn ich“, kontert Denzinger, „als Frau zehnmal vergewaltigt werde und jeden Fall zur Anzeige bringe, manipuliere ich dann die Vergewaltigungsstatistik?“ Wer derlei behaupte, habe „nicht alle Tassen im Schrank“.
Denzinger erzählt: Anfang 2020 postete jemand einen „Steckbrief“ gegen ihn im Internet. Das Machwerk schlug Wellen auf Facebook, wurde mehrtausendfach geteilt, verbreitet und ergänzt um „Beleidigungen, Morddrohungen und Adressnennungen“. Das „habe ich zur Anzeige gebracht“.
Eigentlich habe er das zunächst gar nicht vorgehabt, denn, so habe er gedacht, dabei werde sowieso nichts herauskommen. Aber die Staatsanwaltschaft Stuttgart habe signalisiert: Doch, es sei aussichtsreich. „Na gut, dann ermittelt mal“ ...
Worauf es dem Staatsschutz beim Polizeipräsidium Aalen tatsächlich gelang, in einem umfangreichen Verfahren die wahre Identität vieler unter Online-Decknamen agierender Hetzer zu ermitteln, quer durch die Republik. Gute Polizei-Arbeit, ein Sieg des Rechtsstaats!
Als unerwünschtes Nebenprodukt aber verhagelten 73 Fälle, die sich nicht aufklären ließen, die Rems-Murr-Kriminalitätsbilanz. Man mag darin durchaus einen statistischen Verzerrungseffekt sehen, der die Zustände im Landkreis schlimmer aussehen lässt, als sie sind.
Nur: Weshalb sollte man das dem Opfer ankreiden? Sollte es jede Hetze still erdulden, damit die statistische Fieberkurve beim Thema rechte Umtriebe keinen unschönen Aufwärtszacken erleidet? Wäre dies das Patentrezept gegen Hasskriminalität? Macht sich, kurzum, jemand, der Straftaten anzeigt, wirklich der Manipulation schuldig?
Fragen wir Frank Kral von der Rechtsstaatspartei, wie die AfD sich selber nennt.
Was ist Mücke, was Elefant? Die Sicht von Frank Kral, AfD
„Ja gut,“ sagt Kral, „Freund Denzinger“ habe doch wirklich „eine Anzeigewelle losgetreten, die ihresgleichen sucht.“
Mag sein – aber was kann Denzinger denn dafür, dass es dermaßen viele rechtsextremistische Hassfratzen gibt?
Kral: „Ich unterstelle Denzinger, dass er die Sache selber befeuert.“
Oha, gibt es dafür Belege?
„Ich habe es als Frage formuliert. Ich stelle es in den Raum. Ich persönlich traue ihm alles zu.“ Und außerdem: „Sind wir jetzt schon so weit, dass man jedes kritische Wort auf Facebook zur Anzeige bringt?“ Denzinger mache „aus einer Mücke einen Elefanten“.
Das allerdings ist, mit Verlaub, eine zoologisch vollkommen unhaltbare Aussage. Blenden wir zum Beleg zurück.
„Genmüll“, „Stasisau“, „Drecksack“, „abknallen“: Das Kesseltreiben
Im Januar 2020 fotografierte Denzinger eine Kundgebung der rechten Szene in Baden-Baden, er ging seiner journalistischen Arbeit nach; dass ein Reporter solche öffentlichen Auftritte dokumentieren darf, ist eine Selbstverständlichkeit (auch wenn Reichsbürger, Rechte und zusehends auch Querdenker derlei bisweilen aggressiv zu verhindern suchen). Es ging bei jener Demo gegen den öffentlich-rechtlichen Rundfunk, ein AfD-Stadtrat erklärte als Redner: Dieser Aufmarsch sei „nur der Anfang des Sturms“, man werde die Journalisten „aus ihren Redaktionsstuben vertreiben“. Eben jener AfD-Funktionär machte die Menge dann auch auf Denzinger aufmerksam: Da stehe ein „Antifa-Fotograf“. Jemand knipste den Rudersberger, das Bild landete im Netz – danach tobte der Mob.
„Wo wohnt der Parasit?“, schrieb einer. Ein Zweiter postete Denzingers Wohnadresse. „Abknallen aus der Ferne“, empfahl ein Dritter. Und ein Vierter: „Warum abknallen? Die Hütte abfackeln, Auto auch.“ Und so weiter. „Warum lebt so ein Genmüll noch?“ – „Stasisau.“ – „Drecksack elender.“ – „Die Jagdsaison ist eröffnet.“ Auch die AfD Unteres Filstal blies zum Halali; sie veröffentlichte den Steckbrief ebenfalls und warb: „bitte teilen“.
Ein digitales Kesseltreiben, das schaudern macht; diejenigen, die da mitschrien, mögen sich, anonym in der Masse, nicht nur stark gefühlt haben, sondern auch sicher.
Dank der Arbeit der Polizei endete diese Online-Hass-Orgie aber anders als allzu viele andere: Denzinger stellte „Strafanträge gegen rund 320 Personen“ in ganz Deutschland. Etwa zehn Leute, berichtet er, hätten schon Strafbefehle zugestellt bekommen; bei rund 20 sei das Verfahren zwar eingestellt worden, aber nur gegen Zahlung einer Geldauflage; etwa 100 Fälle seien ohne Konsequenz ad acta gelegt worden; viele „Verfahren laufen noch“.
Und der Mann, der den Steckbrief veröffentlicht und die Hatz ausgelöst haben soll, muss sich demnächst am Amtsgericht verantworten.