Tipps zu Weihnachten: Verschwörungserzählungen im Familienkreis - wie reagieren?

Weihnachtszeit ist Familienzeit! Das kann mitunter aber auch zur Belastung werden. Wie soll man zum Beispiel reagieren, wenn beim Festtagsessen dubiose Quellen und alternative Fakten geteilt werden? Oder der Onkel behauptet, wir leben in einer Diktatur und würden unserer Grundrechte beraubt? Wir zeigen, wie Sie am besten reagieren.
Warum man nicht von "Verschwörungstheorien" sprechen sollte
Inzwischen gibt es zahlreiche Anlaufstellen für Betroffene von Verschwörungserzählungen. Allen voran der Verein Veritas aus Berlin. Das Angebot ist kostenlos, vertraulich, einzelfallorientiert und kann auf Wunsch auch anonym in Anspruch genommen werden.
Tobias Meilicke, der Leiter der Veritas-Beratungsstelle, spricht dabei nicht von "Verschwörungstheorien", sondern von "Verschwörungserzählungen". In der Wissenschaft habe man sich darauf geeinigt, weil der Begriff "Theorie" impliziere, dass man sie widerlegen könne. Bei Verschwörungsgläubigen erlebe man aber, dass alles, was man dagegen vorbringt, mit einer weiteren Verschwörung erklärt werde.
Verschwörungsgläubige würden mit immer neuen Quellen von irgendwoher dagegenhalten und es sei sinnlos, mit Fakten gegen ein geschlossenes Weltbild vorzugehen. "Das wird als Angriff auf das Selbstbild verstanden. Wir koppeln ganz oft unser Weltbild ans Selbstbild, und wenn man sich Kritik daran eingesteht, würde man sich selbst ja auch herabsetzen", so Meilicke gegenüber der Süddeutschen Zeitung.
Der erste Rat, den Veritas vielen Betroffenen gibt, lautet daher: nicht in Diskussionen einsteigen. "Der Versuch, die konspirativen Erzählungen faktenbasiert zu entkräften, führt zumeist ins Leere oder dazu, dass sich die Fronten verhärten. Dann geht eine Grundlage für konstruktive Gespräche zunehmend verloren", heißt es auf der Veritas-Homepage.
Acht Tipps zum Umgang mit Verschwörungsgläubigen
Die Beratungsstelle hat acht konkrete Ratschläge formuliert, wie Betroffene mit Verschwörungsgläubigen umgehen können:
- Ziele festlegen: Bevor Sie sich in ein Gespräch mit der verschwörungsgläubigen Person begeben, stellen Sie sich diese Fragen: Was erhoffen Sie sich selbst von dem Gespräch? Was sind Ihre eigenen Bedürfnisse?
- Grenzen setzen: Achten Sie auf Ihre eigenen Grenzen und gehen Sie nur so weit, wie Sie es sich zutrauen. Wenn Sie sich der Situation nicht gewachsen fühlen, ist es ratsam, zunächst eine Auseinandersetzung zu vermeiden und Hilfe zu Rate zu ziehen. Auch ein (eventuell temporärer) Kontaktabbruch führt zwar meist nicht zu einer Problemlösung, sollte aber als äußerstes Mittel in Betracht gezogen werden, wenn Unsicherheiten, Ängste oder Bedrohungsgefühle bestehen.
- Geeigneten Gesprächsrahmen wählen: Im Affekt zu streiten, ist wenig zielführend und trägt meistens dazu bei, dass emotionale Mauern hochgezogen werden. Wählen Sie stattdessen mit Bedacht, wann, wo und wie lange Sie sich Zeit für ein Gespräch nehmen wollen und verständigen Sie sich darüber mit Ihrem Gegenüber.
- Gespräch auf Augenhöhe führen: Zeigen Sie sich empathisch, offen und verständnisvoll, anstatt von vornherein konfrontativ eine klare Position zu beziehen. Wird man als mögliche*r Gegner*in der eigenen Überzeugung wahrgenommen, erschwert dies jedes Gespräch. Hat Ihr Gegenüber jedoch den Eindruck, dass Sie versuchen, sie*ihn zu verstehen und bereit sind, einen Schritt auf sie*ihn zuzumachen, ist sie*er viel eher bereit, sich auf Sie einzulassen.
- Vorsicht mit Fakten: Verschwörungserzählungen mit schlüssigen und faktenbasierten Gegenbeweisen zu begegnen, scheint zwar zunächst naheliegend, wirkt aber häufig eher eskalierend und führt zu einer weiteren Distanzierung. Denn zumeist geht es für die Verschwörungsgläubigen nicht so sehr um den Inhalt der einzelnen Erzählungen, sondern um die Funktion, die sie für sie erfüllt. Doch auch, wenn man mit Fakten selten weit kommt, kann es sinnvoll sein, sich kundig zu machen, bevor man das Gespräch sucht. Wer die Mechanismen von Verschwörungserzählungen versteht, schützt letztlich auch sich selbst vor ihnen.
- Einblicke gewinnen, Angebote machen: Versuchen Sie, zu bestimmen, welche Funktion die Verschwörungserzählung für Ihr Gegenüber einnimmt und auf welches Problem sie eine Antwort liefert. Häufig hängt der Verschwörungsglaube mit einer spezifischen Krisenerfahrung zusammen. Erfragen Sie, welche Bedürfnisse bestehen, nehmen Sie diese ernst und bieten Sie Ihre Hilfe an.
- Fragen statt Sagen: Die Meinung oder Gedanken der anderen als Hirngespinst oder reinen Nonsens abzutun, wird Sie kaum weiterbringen. Vermeiden Sie auch stigmatisierende Verallgemeinerungen, da diese als Angriff wahrgenommen werden und Abwehrreaktionen hervorrufen könnten. Offene Fragen haben in der Regel ein größeres Potential, zum Nachdenken anzuregen und eine Reflektion der eigenen Überzeugungen zu befördern.
- Unterstützung suchen: In vielen Fällen kann es richtig und wichtig sein, sich Hilfe zu suchen, insbesondere wenn von einer verschwörungsgläubigen Person eine Gefahr für Sie selbst oder andere ausgeht. Auch wenn alle Gesprächsversuche scheitern und die Situation zunehmend unerträglich wird, ist dies ratsam. Für diese Fälle gibt es in einigen Bundesländern spezifische Beratungsstellen. In Baden-Württemberg zum Beispiel: https://zebra-bw.com/beratung/
Weitere Hilfs-Angebote:
- Auch bei der Amadeu Antonio Stiftung gibt’s Infos und weiterführende Beratungsangebote: https://www.amadeu-antonio-stiftung.de/verschwoerungsmythen-und-antisemitismus/anlaufstellen-und-beratungsangebote/. Auch hier gibt es acht Tipps zum Umgang mit Verschwörungserzählungen im privaten Umfeld.
- Bei SaferInternet.at finden sich ebenfalls viele Tipps im Umgang mit Verschwörungserzählungen: https://www.saferinternet.at/news-detail/hilfe-meine-mama-glaubt-an-verschwoerungen/
Die Bundeszentrale für politische Bildung (bpb) hat zudem eine Reihe von YouTube-Videos zu dem Thema veröffentlicht:
Folge I: So redest du mit Verschwörungsgläubigen
Folge II: Wann du den Kontakt mit Verschwörungsgläubigen abbrechen solltest?
Folge III: Opfer oder Täter: Haben Verschwörungsgläubige einfach nur Angst?
Folge IV: Mit Verschwörungstheoretikern reden, bringt das was?
Abschließend noch drei Literatur-Tipps:
- Katharina Nocun und Pia Lamberty: True Facts. Was gegen Verschwörungserzählungen wirklich hilft. Quadriga 2021.
- Sarah Pohl und Isabella Dichtel: Alles nur Spinner? Wie Sie mit Verschwörungsgläubigen gelassener umgehen. Vandenhoeck & Ruprecht 2021.
- Ingrid Brodnig: Einspruch!: Verschwörungsmythen und Fake News kontern – in der Familie, im Freundeskreis und online. Brandstätter 2021.