Wann ist der Lockdown endlich zu Ende? Ansteckungswege bleiben unklar, das Coronavirus mutiert, Ältere bangen um Impftermine

Wann sind die ganzen Einschränkungen unserer Freiheiten endlich vorbei? Hat denn der Lockdown nicht längst gewirkt? „Das weiß man nicht so genau. Wir müssen weiter auf Sicht fahren, da bin ich ganz ehrlich“, sagt Wilfried Klenk, CDU-Landtagsabgeordneter aus Oppenweiler und Staatssekretär im Landes-Innenministerium.
„Ja, in vielen Kreisen sind die Sieben-Tage-Inzidenzen gesunken, aber nicht so stark wie erhofft, nämlich in Richtung 50 Infizierte pro 100 000 Einwohner. Und in anderen Kreisen gehen die Inzidenzen gerade wieder nach oben.“ So haben die Stadtkreise Pforzheim und Heilbronn sowie der Landkreis Calw erneut die 200er-Marke gerissen. Bodenseekreis, Landkreis Ravensburg und Landkreis Schwäbisch Hall scheinen auf dem Weg dorthin. „Und nicht immer ist klar, warum. Im Landkreis Hall gab’s einen Ausbruch in einem fleischverarbeitenden Betrieb, für den offenbar Beschäftigte, die vom Heimaturlaub aus Bulgarien oder Rumänien zurückgekommen sind, gesorgt haben. Andernorts jedoch sind viele Ansteckungswege nicht nachvollziehbar.“
Mutation jetzt auch aus Afrika
Hinzu kommen Mutationen des Coronavirus, die dessen Ansteckungspotenzial Berichten zufolge noch verstärken, so Klenk. In Baden-Württemberg wurden bislang midnestens vier sequenzbestätigte Fälle der erstmals in Großbritannien beobachteten Sars-CoV-2-Variante B.1.1.7 und sechs Fälle der in Südafrika beobachteten Variante B1.351 nachgewiesen. In allen Fällen bestehe ein Zusammenhang mit Reisen nach Großbritannien und Südafrika, so das Landesgesundheitsamt.
Wie schnell sich die Mutationen verbreiten können habe jetzt das Beispiel Irland gezeigt, so Klenk. „Die Iren hatten die vergangenen Monate im Schnitt Tages-Neuinfizierten-Zahlen von plus minus 1000. Jetzt ist der Tageswert mit einem Schlag auf über 8000 angestiegen, wegen der mutierten Variante aus Großbritannien. Das macht uns allen Sorgen, zumal die Todeszahlen bei den Älteren auch ohne Virus-Mutation und trotz Lockdowns ja ganz offensichtlich nicht oder kaum rückläufig sind und die Intensivbettenbelegung weiter hoch ist“, sagt Klenk. Ewig könne der Lockdown freilich nicht weitergehen. „Die Kosten sind für uns alle immens. Wir sollten aber vorsichtig sein, nicht vorschnell Lockerungen zu veranlassen. Vorsicht ist weiter angeraten.“
Die größte Hoffnung liege derzeit auf dem Impfen, insbesondere der älteren Bevölkerung, sagt Klenk. „Die Impfstoffverfügbarkeit wird sich schrittweise verbessern. Wenn mal genügend Impfstoffe verfügbar sind, die nicht auf minus 70 Grad heruntergekühlt werden müssen, dann werden wir schneller hinaus in die Fläche kommen.“
Strategie für Lockerungen fehlt
Die statistische Datenlage über die Infizierten und die Ansteckungswege sowie die Höhe möglicher Dunkelziffern seien immer noch zu ungewiss, um eindeutige Aussagen zu treffen, ob und wann der Lockdown beendet werden könnte, sagt auch Gernot Gruber, Diplom-Mathematiker und SPD-Landtagsabgeordneter aus Backnang. „Auch deshalb hat Merkel mit den Ministerpräsidenten entschieden, den Lockdown zu verlängern und zu verschärfen bis mindestens Ende Januar, mit dem Ziel, 75 Prozent unserer Kontakte zu reduzieren.
„Lockerungen des Lockdowns sollten wohlüberlegt sein“, sagt Gruber. Man sollte hier nicht ständig hin und her springen. Also nicht mal etwas erlauben und wenige Zeit später wieder verbieten, sondern nur Lockerungsschritte einleiten, wenn man sich sicher ist. Das würde die Menschen sonst nur noch mehr verunsichern.“
„Es braucht eine explizite Strategie, ab wann und unter welchen Voraussetzungen wir das öffentliche Leben wieder herauffahren können“, ergänzt der FDP-Landtagsabgeordnete Jochen Haußmann aus Kernen. „Da langt es nicht, nur auf die Inzidenzen zu schauen, sondern wir müssen auch Ziele setzen, beispielsweise wie viel Prozent der Intensivbetten maximal belegt sein dürfen oder in welchem Ausmaß die Pflege- und Seniorenheime und die Ü70-Jährigen maximal betroffen sein dürfen, damit Lockerungen des Lockdowns denkbar wären.“
Bei Impf-Verteilung benachteiligt?
Haußmann und Gruber kritisieren die nur schleppend angelaufenen Corona-Impfungen in Baden-Württemberg. Beide finden ungerecht, dass die Impfdosen-Zuteilung durch das Land an die Kreise nicht nach der Bevölkerungszahl bemessen wird, sondern nach der Zahl der Kreis-Impfzentren. „Der Rems-Murr-Kreis ist der siebtgrößte Kreis, hat aber nur ein Kreis-Impfzentrum bekommen. Nur die sechs größten Kreise haben zwei Impfzentren gekriegt. Wobei der sechste, der Ortenaukreis, nur 3600 Einwohner mehr hat als der Rems-Murr-Kreis“, sagt Gruber. Der Ortenaukreis bekommt trotzdem doppelt so viele Impfdosen wie der Rems-Murr-Kreis..
„Irgendwo musste man ja eine Grenze ziehen, dass der Rems-Murr-Kreis so knapp drunter liegt, ist schade“, entgegnet Innen-Staatssekretär Wilfried Klenk.
Ältere mit Taxi zum Impftermin?
Für die Priorisierungen der Corona-Impfungen hätte sich der FDP-Landtagsabgeordnete Jochen Haußmann schon innerhalb der höchsten Prioritätsgruppe einen eindeutigen Stufenplan gewünscht. „90 Prozent der Covid-19-Toten sind über 70 Jahre alt“, sagt Haußmann. Die Älteren per se zu priorisieren sei richtig, jedoch seien gerade diesen Menschen falsche Hoffnungen gemacht worden. „Man hätte von Anfang an sagen sollen, zuerst die Pflegeheime und das Betreute Wohnen. Dort ist das Verbreitungsrisiko am größten. Erst wenn die durchgeimpft sind, dann alle anderen Ü80 zum Beispiel“, sagt Haußmann. „Die Situation jetzt ist aber, dass viele Ältere bangen und sich ärgern, dass sie noch keine Impftermine in Waiblingen bekommen und ewig unter der 116 117 festhängen.“
Damit etwa gehbehinderte Senioren von zu Hause problemlos zum Impfzentrum in Waiblingen kommen können, will Jochen Haußmann zusammen mit der Waiblinger Stadträtin und Kreisrätin Julia Goll dem Land vorschlagen, die Kosten für den Transport durch lokale Taxiunternehmer zu organisieren und zu finanzieren. „Bis sich die Menschen bei ihrem Hausarzt gegen Corona impfen lassen können, das wird nämlich noch lange dauern, wegen der mangelnden Verfügbarkeit der Impfstoffe und der Priorisierungen. Mindestens bis Juni oder Juli.“
Gernot Gruber schlägt darüber hinaus vor, das Land möge prüfen, ob dem bevölkerungsreichen Rems-Murr-Kreis nicht mehr als nur zwei Mobile Impfteams (MIT) gestattet werden könnten, sofern natürlich die Impfstoffverfügbarkeit dies zuließe. Mehr kreis-eigene MIT könnten zusammen mit jenen schon aktiven des Robert-Bosch-Krankenhauses die 65 Senioren- und Pflegeheime mit rund 4120 Bewohnerinnen und Bewohnern im Rems-Murr-Kreis noch schneller immunisieren, wodurch die Impfungen zügiger in die Fläche ausgebreitet werden könnten.