Rems-Murr-Kreis

Warum wir Querdenker-Demos nicht "friedlich" nennen sollten (Kommentar)

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Querdenker-Demo auf dem Oberen Marktplatz in Schorndorf am 30. Oktober 2020. © Benjamin Büttner

Es war am 3. April in Stuttgart, unweit des Cannstatter Wasen. Ich stand inmitten eines riesigen Demonstrationszugs der Querdenker-Szene. Gerade war ein Mann mit einem improvisierten Galgen in der Hand an mir vorbeigelaufen. Er hatte ein T-Shirt daran befestigt, auf dem stand: "Hängt sie höher, denn sie wissen genau was sie tun". Da fiel neben mir der Satz: "Ganz schön friedliche Demo."

Seitdem achte ich bewusst auf diese Formulierung. Und jedes Mal stellen sich mir die Nackenhaare auf. Denn "friedlich" ist so ziemlich das letzte Wort, das mir zu Querdenker-Demos einfällt.

Lassen Sie mich deshalb erklären, warum Querdenker-Demos meiner Meinung nach alles andere als "friedlich" sind.

Ausgeklammert: Schläge, Tritte, Telegram-Tötungsfantasien

Vorneweg: Es gibt dutzende dokumentierte Fälle von physischer Gewalt während solcher Proteste. Meistens gegen Journalisten oder Polizeibeamte. Hier spricht in der Regel aber niemand hinterher von einer "friedlichen" Demo, weshalb wir diese Fälle ausklammern können.

Und auch was die Szene an Tötungsfantasien, Mordplänen und Drohungen auf Telegram veröffentlicht, soll hier keine Rolle spielen. Auch wenn man das durchaus einbeziehen könnte.

"Friedlich" ist nicht mit der Abwesenheit physischer Gewalt gleichzusetzen

Es gibt auch gewalttätige Sprache. Die offenkundigste Form stellt sicherlich die Androhung physischer Gewalt dar. Auf der Stuttgarter Demo im April sagte ein Teilnehmer beispielsweise zu einem Kollegen und mir: "Haut ab, sonst klatsch ich euch eine". Da er den Kollegen zuvor ins Gesicht geschlagen hatte, war das ernst zu nehmen.

Diese gewalttätige Sprache muss keine gesprochene Sprache sein. Sie findet auch in Form von Bannern, Plakaten und Bildern ihren Weg auf die Demos. In Form von "Kill Bill"-Schriftzügen unter Fotos von Bill Gates. Oder selbstgebastelten Galgen.

Dazu kommen weniger offensichtlichere Formen sprachlicher Gewalt: Wenn beispielsweise mit antisemitischen Sprüchen wie "Impfen macht frei" und virulenten NS-Vergleichen auf Demos millionenfaches Leid relativiert wird.

"Friedlich" ist nicht das Gegenteil von "gewalttätig"

Selbst wenn man mit einer engeren Definition von Gewalt arbeitet, kann man Querdenker-Demos wohl kaum "friedlich" nennen. Denn "friedlich" bedeutet mehr als die bloße Abwesenheit von Gewalt.

"Friedlich" bedeutet auch, dass etwas dem (gesellschaftlichen) Frieden dienlich ist. Querdenker hegen dagegen Umsturzfantasien und erkennen demokratisch gewählte Repräsentanten des Volkes und deren Entscheidungen nicht an. Das äußert sich nicht nur in den laut Verfassungsschutz "grundsätzliche Staatsfeindlichkeit bei führenden Personen" der Szene.

Auch die nicht so prominenten Querdenker haben grundsätzliche Probleme mit der demokratisch-freiheitlichen Grundordnung. Sie hadern auf Demos sicht- und hörbar mit Grundrechten wie der Wissenschafts- und Pressefreiheit. Oder zünden gleich das Grundgesetz an, wie zuletzt in Stuttgart.

Die Demos sind so friedlich, wie die "Spaziergänge" Spaziergänge sind

"Friedlich" bedeutet laut Duden auch "verträglich, versöhnlich". Querdenker fordern im krassen Gegensatz dazu auf Demos Tribunale für politische Feinde. Sie beleidigen, machen Menschen verächtlich, missachten die Privatsphäre. Ihre Sprüche und Plakate erschaffen simpelste Feindbilder, vermeintlich Schuldige, Zielscheiben.

Wir fassen zusammen: Die Mittel des Protests, die auf Querdenker-Demos gewählt werden, sind nicht friedlich. Die Ziele der Querdenker-Demos sind nicht friedlich. Also sind auch die Querdenker-Demos nicht friedlich. Genauso wenig wie die "Spaziergänge" der Szene bloße Spaziergänge sind.

Aber die Polizei sagt das doch auch!

Jetzt könnte man einwenden, dass die Polizei doch andauernd schreibt, dass Demos "friedlich" verlaufen seien. Und die ist schließlich vor Ort gewesen.

Dazu zwei Punkte: Erstens nutzt die Polizei in der Regel Begriffe im rechtlichen Sinne. Zweitens sollte man sich bei sprachlichen Fragen wohl kaum auf Behörden beziehen, die öffentliche Masturbation bei Männern mit der komplett wahnwitzigen Formulierung "am Glied manipulieren" umschreiben. Oder hat das Teil hinterher etwa bessere Abgaswerte?

Aber ich will das doch gar nicht!

Außerdem könnte man einwenden, dass das, was für Querdenker-Demos gilt, nicht für alle Demo-Teilnehmer gilt. Aber dann stellt sich die Frage: Wenn ich friedliche Ziele mit friedlichen Mitteln verfolge, warum laufe ich dann bei denen mit, die das nicht tun? Mehr noch: Warum unterstütze ich die, die das nicht tun, durch meine Anwesenheit?

Man kann das auch einfach lassen.

Es war am 3. April in Stuttgart, unweit des Cannstatter Wasen. Ich stand inmitten eines riesigen Demonstrationszugs der Querdenker-Szene. Gerade war ein Mann mit einem improvisierten Galgen in der Hand an mir vorbeigelaufen. Er hatte ein T-Shirt daran befestigt, auf dem stand: "Hängt sie höher, denn sie wissen genau was sie tun". Da fiel neben mir der Satz: "Ganz schön friedliche Demo."

Seitdem achte ich bewusst auf diese Formulierung. Und jedes Mal stellen sich mir die Nackenhaare

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