Badminton-Teamchef Benjamin Wahl macht Schluss bei der SG Schorndorf

Die Badmintonabteilung der SG Schorndorf ohne Benjamin Wahl? Daran können sich nur die Älteren erinnern. Seit 21 Jahren ist er als Teamchef, Teammanager und Spieler das Gesicht der SG. Am Ende der Saison ist nun Schluss. „Der Aufwand ist nach dem Aufstieg in die erste Bundesliga immens geworden“, sagt der 39-Jährige. Zudem schmeckt ihm die Entwicklung der Badminton-Bundesliga nicht. „Der Trend zur Internationalisierung geht in die falsche Richtung“, sagt er. „Wenn du mithalten willst, bist du in diesem System gefangen.“
Es ist erst 9 Uhr am Morgen, und im Schorndorfer Ulrich-Schatz-Sportzentrum ist schon einiges geboten. Die Kursräume sind belegt, an den Fitnessgeräten wird geschwitzt. Im Büro der Geschäftsstelle hat Benjamin Wahl die Fäden in der Hand, seit 2017 ist er hauptamtlicher Geschäftsführer des Gesamtvereins. Viele indes kennen ihn in anderer Funktion – als Badminton-Tausendsassa. Ohne Benjamin „Beni“ Wahl stünde die SG Schorndorf wohl kaum vor ihrer vierten Saison in der höchsten deutschen Badminton-Liga. Künftig jedoch muss die Abteilung ohne ihn auskommen – zumindest abseits des Courts.
Mit 16 Jahren in der Bundesliga
„Es brodelt schon seit etwa eineinhalb Jahren in mir, und die Abteilung weiß das auch“, sagt Wahl. „Es ist mir mittlerweile einfach zu viel geworden, ich mache das alles ja nebenbei.“ Zusammen mit ihm kürzertreten wird auch Benjamin Wahls Frau Nadine, die viele Aufgaben im Sponsoring übernommen hat, sich um die Hallentechnik kümmert und ihn seit zehn Jahren noch nach Kräften unterstützt. „Ohne sie hätte ich das Amt wohl schon vor ein paar Jahren niedergelegt.“
Eine wichtige Stütze in den vergangenen zehn Jahren sei ihm auch die Abteilungsleiterin Christine Winniger gewesen, so Wahl. „Sie hat unser Bundesligateam immer supportet, im Blick gehabt und die Interessen der Abteilung zusammengehalten.“
Komplett verabschieden indes wird sich Benjamin Wahl nicht, dazu ist die Liebe zu seinem Sport zu groß – wobei er nicht mehr in der ersten Liga antreten wird. „Mit bald 40 Jahren ist irgendwann auch mal gut“, sagt er und lacht. Der Plan sei, kein Stammspieler in keiner Mannschaft zu sein. „Wir möchten einfach gewisse Freiheiten, mehr Zeit für unsere beiden Kinder haben und nicht von Terminen verfolgt werden.“
Mit 18 Jahren ist Benjamin Wahl schon Teamchef
Benjamin Wahl und die SG Schorndorf: Das ist zweifelsfrei eine Erfolgsgeschichte. 1995, mit elf Jahren, wechselte das Talent vom SV Kaisersbach zur SG Schorndorf. Fünf Jahre später feierte Wahl sein Debüt in der Zweitligamannschaft der SG. Sechster wurden die Schorndorfer in der Saison 2001/2002 in der zweiten Bundesliga Süd – und zogen freiwillig in die Regionalliga zurück. Wahl war mit 16 Jahren der einzige deutsche Mann in der Bundesligamannschaft. Das sei jedoch nicht der Weg gewesen, den die SG bestreiten wollte. Wahl akquirierte seine Kumpels, und mittelfristig wurde die SG Schorndorf damit erfolgreich. „Wir hatten mehr Spieler aus der Region, dafür aber die Besten.“
2010 kehrte die SG in die zweite Bundesliga zurück. Benjamin Wahl, längst Jugendtrainer bei der SG und Landestrainer, war 26 Jahre alt – und schon acht Jahre Teamchef und Teammanager. „Ich bin da irgendwie reingeschlittert.“ Er war eng verbunden mit dem Verein – und hatte zwischenzeitlich eine sehr schwere Zeit durchgemacht: Im Jahr 2004 erkrankte er an Krebs, kämpfte sich zurück. Die SG Schorndorf verlieh ihm dafür die höchste Auszeichnung des Vereins, den Richard-Kapphan-Preis.
Seit Jahren zählt die SG Schorndorf zu den renommiertesten Badmintonvereinen der Republik. „Es war damals undenkbar, dass wir einmal in der ersten Liga spielen werden“, sagt Wahl. „Mit dem Aufstieg vor drei Jahren haben wir uns einen Traum erfüllt.“ In der kommenden Saison legt die SG sportlich noch eine Schippe drauf: Die zweite Mannschaft steigt in die zweite Bundesliga auf. „Das ist herausragend, ich bin sehr stolz auf das, was wir erreicht haben.“ Nur sechs Vereine von rund 3000 Vereinen in Deutschland stellen in der nächsten Saison ein Team in beiden Ligen. Der Unterbau passt also bei der SG Schorndorf, die dritte Mannschaft steht kurz vor dem Aufstieg von der Verbandsliga in die Württembergliga.
Einzigartige Trainingsgruppe der SG Schorndorf
Stolz ist Wahl auch auf die aktuelle Trainingsgruppe der SG, „sie ist wohl einzigartig in Deutschland“. Kürzlich schaute der ehemalige Nationalspieler Max Schwenger vorbei. „Er war erstaunt über die Anzahl der guten Spieler bei uns in der Sporthalle.“ Normalerweise tummeln sich die Top-Spieler in Bundesstützpunkten.
Aushängeschild der SG Schorndorf ist und bleibt die erste Mannschaft – doch sie ist gewissermaßen zugleich ein Problem. „Wir sind gefangen in einem System, und das nervt mich tierisch“, sagt Wahl. „Der Trend geht immer mehr zur Internationalisierung. Das finde ich falsch.“
Für Wahl ist’s höchste Zeit, „das Produkt Badminton-Bundesliga“ zu hinterfragen. Durch die sogenannte mehrfache Spielberechtigung dürfen internationale Spieler in mehreren Ländern starten. „Es kommen immer noch bessere Spieler in die deutsche Bundesliga, die mittlerweile abartig stark ist.“ Die Folge sei, dass der deutsche Nachwuchs auf der Strecke bleibe und die deutsche Spitze teilweise in der zweiten Liga spiele. „Es wird mehr Geld in internationale Topspieler investiert statt in deutsche Spieler oder in die Nachwuchsarbeit“, sagt Wahl. „Das verstehe ich nicht.“
Jeder Erstligist, auch die SG Schorndorf, werde quasi dazu gezwungen, in dieses System einzusteigen. „Du musst aber aufpassen, dass du dich in diesem Sog nicht mitziehen lässt und einen Topspieler nach dem anderen holst.“ Für Wahl ist’s eine Gratwanderung. Schließlich schmückten auf der anderen Seite Top-Spieler einen kleinen Verein wie die SG. „Wir hatten in den vergangenen drei, vier Jahren außergewöhnliche Spieler und Typen hier.“ In der Badmintonwelt sei Schorndorf längst ein Begriff und das mediale Interesse größer geworden. Es meldeten sich sogar internationale Akteure, die für die SG spielen wollten. „Andererseits frage ich mich schon, warum wir nicht viel mehr Zuschauer haben als in der zweiten Liga. Liegt’s womöglich daran, dass die lokalen Spieler mehr ziehen?“
Mehr regionale Spieler im Team
Das, so Wahl, sei eine Frage, die sich aktuell nicht beantworten lasse. So oder so: „Unser Ziel ist es, mit mehr regionalen, deutschen Spielern in der ersten Liga anzutreten.“ Auch auf die Gefahr hin, in die zweite Liga abzusteigen. Die SG sei jedenfalls nicht dazu bereit, „unfassbare Summen“ aufzurufen. „Wir möchten das Geld lieber in die Jugendarbeit stecken oder wenigstens in einen deutschen Spieler investieren, damit er in diesem System gefördert wird.“ Aktuell betrieben die Bundesligavereine internationale Badmintonförderung, wenn sie die ausländischen Spieler finanzierten.
Wahl könnte sich eine Regulierung vorstellen, damit die jungen deutschen und lokalen Spieler ihre Einsatzzeiten erhalten. „Die Bundesligavereine sollten eine Art Rahmenvereinbarung treffen und sich gegenseitig arrangieren.“ Wahls Idee: Pro Mannschaft dürfen maximal vier oder fünf Ausländer antreten. Dann spiele das europäische Arbeitsrecht eine untergeordnete Rolle. Wenn sich ein Verein nicht an die Vereinbarung halte, werde er von den anderen Clubs geächtet. „In der Schweiz gibt es solche Beschränkungen, warum schaffen die es und wir nicht?“
Kurzfristig, dessen ist sich Benjamin Wahl bewusst, dürfte sich nichts am Status quo ändern. Mittelfristig indes sieht er die Existenz der Badminton-Bundesliga gefährdet. Die Kluft zwischen der ersten und zweiten Liga werde immer größer. So scheuten sich die aktuellen Zweitligisten, aufzusteigen. „Du müsstest dein Team komplett zerpflücken für die erste Liga. Der Aufstieg ist eher ein Risiko als eine Chance.“ Er könne jeden Club verstehen, der sich gegen den Aufstieg entscheide. Wer versuche, regional zu bleiben, der werde regelrecht aus der Liga verjagt. Wie Offenburg und Jena. „Daran kann ein Verein kaputtgehen, schon deshalb müssen wir das System überdenken.“
Spielraum für Wettbewerbsverzerrung
Überdies böte der Spielbetrieb selbst zu viel Spielraum zur Wettbewerbsverzerrung. In dieser Saison seien viele Mannschaften gegen die SG Schorndorf in sehr starker Besetzung angetreten, weil sie gegen einen Mitkonkurrenten gegen den Abstieg unbedingt punkten wollten. Gegen die guten Gegner dagegen seien sie mit deutlich schwächerem Kader angetreten. „Das ist einerseits nachvollziehbar, aber auch nervig, frustrierend und sportlich nicht fair.“
Künftig muss sich Benjamin Wahl mit solchen Problemen nicht mehr beschäftigen. Zumindest nicht hauptverantwortlich. Zur neuen Saison wird Florian Winniger übernehmen, den Wahl seit der Jugend begleitet hat. „Es liegt mir natürlich am Herzen, dass es gut weiterläuft“, sagt der Noch-Teammanager und -Teamchef. Er werde seinem Nachfolger mit Rat und Tat als Berater zur Seite stehen. Aber eben nicht mehr in vorderster Linie agieren.
Wahl möchte selbst wieder ein bisschen öfter zum Schläger greifen. Zum Spaß und ohne Druck. „Ich will einfach in die Halle gehen, Badminton spielen und nicht noch nebenbei zehn andere Dinge im Kopf haben, die ich organisieren muss“, sagt er. „Ich spüre jetzt schon, wie eine Last wegfällt. Und es fühlt sich gut an.“
Get-Together nach Heimspiel am Sonntag, 19. März
Seine letzten beiden Heimspiele für die erste Mannschaft der SG Schorndorf wird Benjamin Wahl am Samstag, 18., und Sonntag, 19. März, bestreiten. Samstags gastiert um 15 Uhr der SC Union Lüdinghausen in der Karl-Wahl-Halle. Am Sonntag kommt um 12 Uhr Blau-Weiß Wittorf. Nach dieser Partie ist in der Halle ein sogenanntes Get-Together geplant – ein geselliges Beisammensein.