Kulturkampf in Bad Cannstatt: Wie hinter den Kulissen um Macht und Einfluss beim VfB gerungen wird
Das Jahr neigt sich auch für den VfB Stuttgart dem Ende entgegen, Weihnachten steht vor der Tür. Doch von besinnlicher Festtagsstimmung kann unter dem roten Dach an der Mercedesstraße 109 trotz der erfrischenden Auftritte der jungen Mannschaft in der Bundesliga nicht die Rede sein. Hinter den Kulissen wird wie eh und je um die Macht im Club gerungen. Präsident Claus Vogt kämpft um Einfluss und treibt die Aufklärung der Affäre um mutmaßlich illegal an Dritte weitergegebene Mitgliederdaten weiter voran. Dabei stößt er immer wieder auf Widerstände.
Unabhängige Aufklärungsarbeit
Schon der Auftakt der Aufklärungsarbeit verlief holprig. Kritik gab es sowohl an der Besetzung des von Vogt initiierten Lenkungsausschusses als auch an der Berliner Kanzlei, die im Auftrag des Vereins die Untersuchungen vorantreiben soll. Die Entscheidung für die Esecon Legal Rechtsanwaltsgesellschaft mbH als externe Ermittlergruppe wurde intern nicht mit Jubelstürmen bedacht.
Vielmehr soll Claus Vogt Vorschläge, mit Anwälten zusammenzuarbeiten, die bereits für den VfB oder den Ankerinvestor Daimler tätig gewesen waren, strikt abgelehnt haben. Der Präsident legt ein besonderes Augenmerk auf eine transparente, kritische und vor allen Dingen unabhängige Aufklärungsarbeit.
Mitte Oktober hieß es dazu in einer Mitteilung: „Daher sollte der Auftrag des Vereins an eine Kanzlei vergeben werden, die weder aus dem Stuttgarter Raum kommt, noch in Verbindungen zum VfB Stuttgart oder seinem Mitgesellschafter steht oder stand.“
Sorgfalt vor Schnelligkeit
Seit Anfang Oktober läuft nun also die Ermittlungsarbeit. Wasserstandsmeldungen sollen während dieser Phase nicht nach außen gegeben werden. In einem Interview erklärte Claus Vogt vor kurzem lediglich: „Wir sind weiter dabei, diese Thematik lückenlos aufzuarbeiten. Sorgfalt ist uns dabei wichtiger als Schnelligkeit. Die Mitglieder haben es verdient, dass wir das sauber machen. Wir hoffen, spätestens im Frühjahr sagen zu können, was Stand der Dinge ist.“
Soll heißen: Die Berliner Ermittler sind weiterhin am Graben und die Fragen des Landesdatenschutzbeauftragten, der nach Bekanntwerden der Affäre ein Auskunftsverfahren gegen den VfB eingeleitet hatte, wurden fristgerecht beantwortet. So weit, so gut.
Wirbel um Bild-Artikel
Vergangene Woche sorgte dann allerdings ein Artikel in der Bild-Zeitung für Wirbel. Unter der Überschrift „Die Fehler des Präsidenten“ wurde unter anderem von einem „Arbeits-Klima des Misstrauens“ berichtet.
Demnach sollen viele VfB-Mitarbeiter langsam ungeduldig werden. Vor allem die Frage, wer außer Marketingleiter Uwe Fischer und Kommunikationschef Oliver Schraft noch in die Affäre verstrickt gewesen sein könnte, sorgt laut der Bild für schlechte Stimmung in der Belegschaft.
Dass das Arbeitsklima im weiß-roten Clubhaus aktuell nicht gerade rosig ist, erscheint wenig verwunderlich: Die wirtschaftliche Lage ist aufgrund der Corona-Krise weiterhin angespannt, Vorstandsboss Thomas Hitzlsperger hat die Führungsebene umstrukturiert und zu alle dem ermitteln auch noch die teuren Anwälte aus Berlin.
Zwei Lager unter dem roten Dach
Wer allerdings glaubt, die Informationen - die den amtierenden Präsident in ein schlechtes Licht rücken sollen - seien zufällig beim Boulevard gelandet, der glaubt vermutlich auch noch an Weihnachtsmann und Osterhase.
Hinter den Kulissen wird wie eh und je um Macht und Einfluss im Verein gerungen. Der Artikel in der Bild zeigt einmal mehr, dass es neben den fast schon traditionellen Ränkespielen unter dem roten Dach ganz offensichtlich zwei Lager gibt:
Auf der einen Seite das Vogt-Lager, das den Daten-Missbrauch rigoros und mit all seinen Konsequenzen aufarbeiten will. Und auf der anderen Seite Teile der alteingesessenen Führungsriege, die lieber nicht so tief graben wollen. Wer weiß, was sonst noch alles ans Tageslicht kommt.
Es erscheint letztlich nur schwer vorstellbar, dass lediglich die zwei Mitarbeiter in die massenhafte Weitergabe der Mitgliederdaten involviert waren, die seit Beginn der Ermittlungen ihre Arbeit ruhen lassen müssen.
Vogt will sein Profil schärfen und Einfluss gewinnen
Claus Vogt hat die lückenlose Aufarbeitung der Affäre direkt nach den Kicker-Enthüllungen zur Chefsache erklärt. Schließlich will er sich am 18. März 2021 den Mitgliedern zur Wahl stellen und für eine vierjährige Amtszeit bestätigt werden. Am Mittwoch reichte der amtierende Präsident seine Unterlagen zur Nominierung offiziell ein.
Bis zum 18. Dezember können Vorschläge für weitere Kandidatinnen und Kandidaten eingereicht werden. Mit Volker Zeh hat bereits ein potentieller Gegenkandidat seinen Hut in den Ring geworfen.
Die Entscheidung, wer letztlich zur Wahl zugelassen wird, obliegt dem achtköpfigen Vereinsbeirat. Sie soll Anfang nächster Woche verkündet werden. Auch Claus Vogt muss gemäß der Satzung vom Beirat vorgeschlagen werden.
Bei der Anhängerschaft erfreut sich der ehemalige Fanaktivist großer Beliebtheit, vereinsintern gibt es allerdings auch kritische Stimmen. Der Unternehmer aus Waldenbuch sieht im offensiven Umgang mit dem Daten-Skandal eine Chance, an Profil und Einfluss zu gewinnen. Er will sich als Aufklärer in Szene setzen.
Dass er dabei mit zahlreichen Widerständen auch innerhalb seines Vereins zu kämpfen hat, dürfte ihn wenig überrascht haben. Womöglich zieht er daraus sogar zusätzliche Motivation. Die kann Vogt auch gut gebrauchen, denn der Kulturkampf in Bad Cannstatt geht im neuen Jahr in die heiße Phase.
Hintergrund: Die Daten-Affäre
- Einem Bericht des Kicker zufolge soll der VfB im Frühjahr 2016 eine Kooperation mit der PR-Agentur von Andreas Schlittenhardt geschlossen und darüber hinaus großes Potenzial in dessen Facebook-Seite „Fokus VfB“ erkannt haben.
- Per Mail sollen Telefonnummern, Mailadressen und Infos zur Teilnahme an vergangenen Versammlungen von Mitgliedern weitergeschickt worden sein. Ziel soll unter anderem gewesen sein, die - bei der Mitgliederversammlung 2017 dann tatsächlich mit klarer Mehrheit beschlossene - Ausgliederung der Profiabteilung voranzutreiben.
- „Dieser mutmaßliche Datenschutzverstoß in den Jahren 2016 bis 2018 mit Mitgliederdaten, wenn er denn so stattgefunden hat, wäre für mich ein nicht zu akzeptierender Tabubruch“, hatte VfB-Präsident Claus Vogt kurz nach Bekanntwerden der Vorwürfe erklärt.