Waiblingen

Alfonso Pantisano: Waiblinger ist Queerbeauftragter von Berlin - so war sein Weg

Alfonso Pantisano
Alfonso Pantisano. © Fionn Grosse

Seit ein paar Tagen ist Alfonso Pantisano der erste Queerbeauftragte des Landes Berlin. Der gebürtige Waiblinger, 48 Jahre alt, hat einen weiten Weg hinter sich: Nachdem er sich mit 19 als homosexuell geoutet hatte, warfen seine Eltern ihn aus der Wohnung in Waiblingen und forderten ihn sogar auf, das Bundesland zu verlassen. Aus Scham und Angst davor, was andere denken könnten.

In Düsseldorf lebte er kurzzeitig auf der Straße, hielt sich als Kellner, Fotograf, Tänzer über Wasser. Später wurde er Aktivist, Coach, Moderator und Politikberater, etwa für den damaligen SPD-Chef Martin Schulz. Mit seinen Eltern hat er sich 17 Jahre nach dem Rauswurf versöhnt: Sein Partner und er wurden zu Weihnachten eingeladen. Die Eltern entschuldigten sich und sind heute stolz auf ihren Sohn. Beim Thema Akzeptanz bleibt Alfonso Pantisano unversöhnlich: Jeden Tag werde die Würde von Minderheiten verletzt, auch im Jahr 2023.

Erst neulich war es wieder so weit: Um 7.52 Uhr morgens bekommt er eine E-Mail. Der Inhalt: üble, vulgäre Beschimpfungen wegen seines politischen Engagements. Und weil er einen Mann liebt. Anfeindungen ist Alfonso Pantisano gewohnt, hat wie stets die Polizei eingeschaltet. Und trotzdem lässt ihm die plumpe Hassmail an diesem Tag keine Ruhe. Im Telefonat erwähnt er sie mehrfach. „Ich bin ein selbstbewusster schwuler Mann, seit 30 Jahren. Ich verstecke mich nicht. Aber diese Mail hängt mir trotzdem im Nacken.“ Er fragt sich: Wer nimmt sich das Recht, so etwas zu schreiben?

Die leise Angst im Alltag

Noch schlimmer findet er allerdings, wie sehr der Alltag in unserer Gesellschaft von der heterosexuellen Norm geprägt ist. Sein Beispiel: Wenn ein Mann am Montag in der Teeküche Arbeitskollegen erzählt, dass er am Wochenende mit seiner Freundin am See war, verstünden die darunter einen Badeausflug. Sage ein Mann aber, dass er mit seinem Freund am See war, dächten die anderen gleich an gleichgeschlechtlichen Sex, ist Alfonso Pantisano überzeugt.

„Wir haben diese Freiheit nicht“, sagt er. Ständig müssten Homosexuelle oder Menschen mit Transidentität sich verstecken, kleine Lügen erfinden und die dann aufrechterhalten. Das zermürbe. „Unter diesem Stress leiden jeden Tag viele Menschen in Deutschland.“

Für ihn gehört auch dazu, dass er sich ständig selbst kontrolliert: Kann ich auf der Straße jetzt die Hand meines Partners nehmen, oder könnte das brenzlig werden? Es sei immer ein „leises Gefühl der Angst“ da. Paare, die aus Mann und Frau bestehen, dächten über so etwas kaum jemals nach. Schuld sei die heterosexuelle Gesellschaft.

Zum Christopher Street Day, da gingen heutzutage viele, auch in Stuttgart, sagt er. Das sei dann ein „Event“. „Aber wir brauchen die Unterstützung all derer, die sagen, ,jeder hat das Recht, in Würde zu leben'.“ Und das nicht nur an einem Tag im Jahr, sondern an 365.

Putins Vorgehen gegen Minderheiten als Auslöser für Aktivismus

Als Queerbeauftragter von Berlin will Pantisano dazu seinen Teil beitragen. Seine Position heißt offiziell „Ansprechperson Queeres Berlin für die Akzeptanz sexueller und geschlechtlicher Vielfalt“. Laut Berliner Regierung soll er eine „Sprachrohrfunktion“ ausüben. Also laut sein, wenn es nötig ist. Das war Pantisano in den letzten Jahren oft. Begonnen hat seine aktivistische Laufbahn, als Russlands Machthaber Wladimir Putin im eigenen Land immer härter gegen sexuelle Minderheiten vorging - wenig später griff er die Krim an. Kein Zufall, findet Pantisano. Man müsse immer genau hinschauen, wie ein Staat mit den Marginalisierten umgeht.

Als Aktivist machte Pantisano unter anderem Druck auf die SPD. 2017 fing er an, Martin Schulz zu beraten. In die Partei trat er an dem Tag ein, an dem die SPD bekanntgab, die „Ehe für alle“ im Bundestag zu unterstützen, gegen den Willen vieler beim damaligen Koalitionspartner CDU/CSU.

"Es gibt viele queere Menschen im Remstal, die sich nicht trauen"

Seitdem haben viele gleichgeschlechtliche Paare standesamtlich geheiratet. Aus Sicht von Alfonso Pantisano bleibt aber noch viel zu tun. Auch in Waiblingen und Umgebung: „Es gibt viele queere Menschen im Remstal, in der Region Stuttgart, die sich nicht trauen.“ Sprich, die ihre sexuelle Orientierung oder Identität versteckt halten - so wie Pantisano es als Jugendlicher selbst getan hat, als er in Waiblingen die Karolinger- und dann die Staufer-Realschule besuchte. Er habe ständig schauspielern müssen. Und das müssten immer noch viele durchmachen.

Zudem gebe es große Unterschiede: „Weiße, blonde Deutsche“, sagt Pantisano, könnten sich leichter outen als „weiße, hübsche Italiener“, und die wiederum viel leichter als Menschen mit dunklerer Hautfarbe. Diskriminierung in mehreren Facetten.

Bruder Luigi Pantisano: "Mich hat das geprägt"

Pantisanos Eltern stammen aus Kalabrien im Süden Italiens. Sie kamen sehr jung nach Deutschland, seine Mutter sei da gerade erst volljährig geworden, sagt Alfonso Pantisano. Die vier Kinder kamen im damaligen Kreiskrankenhaus Waiblingen zur Welt, darunter auch sein Bruder Luigi, der heute Stadtrat in Stuttgart ist.

Zur Ernennung zum Queerbeauftragten schrieb Luigi Pantisano seinem Bruder auf Facebook, wie stolz er auf ihn sei: „Als du dich vor fast genau 30 Jahren geoutet hast, wurdest du auf die Straße geworfen. (...) Ich konnte mich damals nicht von dir verabschieden, ich habe nicht verstanden, warum du gehen musst, ich habe mir Sorgen gemacht, ich war tieftraurig. Ich wollte hinterherkommen. Mich hat das geprägt, bis heute. Ich war 14 Jahre alt und mir war klar, dass ich mich immer dafür einsetzen würde, dass nie wieder ein Kind aus seiner Familie verstoßen wird, weil er oder sie sich outet als schwul, lesbisch, trans oder queer.“

Heute ist Alfonso Pantisano überzeugt: Wenn ein Enkelkind sich irgendwann der Oma anvertraut, outet, werde seine Mutter sagen: Und, wo ist das Problem? Deswegen dürfe er zurecht sagen, dass auch er stolz auf seine Eltern sei. Trotz der seelischen Narben, die ihm bis heute geblieben seien.

VG WORT Zahlpixel