Ein preisgekrönter Brandstifter
Waiblingen. Die Geschichte von Oliver Rast – das sind eigentlich zwei Geschichten. Die eine handelt von einem Häftling, der eine Gefangenen-Gewerkschaft gründete; die andere von einem Linksradikalen, der Bundeswehr-Lkw abfackelte. Diese Woche gastierte er im Waiblinger Kulturhaus Schwanen, davor nahm er sich Zeit für ein Zeitungsgespräch.
Niedriglöhner: Das Geschäft mit den Gefangenen
Als Oliver Rast im Juni 2011 seine Haft antrat – dreieinhalb Jahre wegen Brandstiftung und Zugehörigkeit zu einer kriminellen Vereinigung –, hatte er so seine Vorstellungen von Gefängnis: ein „pulsierender Ort der Revolte“, wo die Weggesperrten solidarisch zusammenhalten gegen die Macht, den Staat, das System ... Was er vorfand, war: eine „durch und durch ethnisierte, durchhierarchisierte, fragmentierte Parallelgesellschaft“ voller Hackordnungen, Rangkämpfe und sich nach Landsmannschaften sortierender „Cliquenwirtschaft“, wo es bei aller Strenge eines nicht zu knapp gab – die „großzügige Ausschüttung von schwerstabhängig machenden Medikamenten“, weil es „im Interesse“ des Wachpersonals sei, „dass die Klientel ruhiggestellt wird“. Vor allem aber: eine „Sonderwirtschaftszone“. Ohne Mindestlohn. Ohne Beiträge zur Rentenversicherung. Ohne elementarste „sozialpolitische Standards“.
Gut 60 000 Inhaftierte gibt es in Deutschland – rund zwei Drittel von ihnen schrauben, feilen, polstern im Gefängnis „unter vorwilhelminischen Arbeitsbedingungen“. Oliver Rast beschloss: Er würde auch an diesem Ort „als politisches Subjekt agieren“, er würde diese „buchstäblich unter Verschluss gehaltene Arbeitswelt transparent machen“, denn „die soziale Frage hinter Gittern schreit nach Antworten“. In der Justizvollzugsanstalt Berlin-Tegel gründete er die Gefangenengewerkschaft.
Moment, lassen wir das Vorurteil sprechen: Arbeit im Knast dient doch der Resozialisierung, der Knacki lernt, wieder – oder erstmals – richtig zu schaffen; soll er dafür auch noch ordentlich bezahlt werden?
„Auch Inhaftierte sind Träger von Grundrechten“
Rast lächelt. Vielleicht komme das manchen komisch vor, aber „auch Inhaftierte sind Träger von Grundrechten“. Und was soll da für eine Idee von Resozialisierung wirken, wenn man die Leute tagtäglich lehrt, „dass sich Arbeit nicht lohnt“? Sie erhalten, je nach Gefängnis, je nach Job, zwischen neun und 15 Euro. Pro Tag. Macht einen bis zwei Euro Stundenlohn.
Was sie aber produzieren, „generiert Mehrwert“: Gefängnisse sind längst nicht mehr „der Ort, wo Kugelschreiber zusammengeschraubt und Tüten geklebt werden“, Gefängnisse sind heute „die verlängerte Werkbank der ortsansässigen Industrie“. Es gebe „faktisch kein Konzern-Konglomerat der Automobilindustrie, das nicht mindestens über Subunternehmen in Gefängnissen produzieren lässt“. Manche Firmen nutzen Häftlinge nur, um „Auftragsspitzen abzuarbeiten“, quasi als kostenoptimierte Variante der Leiharbeit, andere greifen regelmäßig auf die sozialabgabenfreien Niedriglöhner zurück. Von MTU bis VW, von Enercon über Miele bis Gardena, vom Windkraftanlagen- über den Küchengeräte- bis zum Gartenmöbel-Bauer: Sie alle nutzten oder nutzen, mindestens über Zulieferer, Gefangenendienste. Geräte montieren, Ersatzteile verpacken: Häftlinge sind „Teil der Wertschöpfungskette“.
Gefängnisessen: „nicht immer für den menschlichen Verzehr geeignet“
Aber, Herr Rast, dafür sind doch Kost und Logis frei? Er grinst erneut. Falls er es eines Tages schaffe, den Mindestlohn in deutschen Gefängnissen durchzusetzen, könne man sich gerne über „Miete auf den Haftraum“ unterhalten. Nur: Was nimmst du für eine „sieben, acht Quadratmeter große Zelle, wo’s durch jede Ritze zieht und der schwarze Schimmel an der Wand wächst“? Und das Essen: „auch nicht immer für den menschlichen Verzehr geeignet“.
Während er all das erzählt, klingt er kaum verbittert – woran liegt das? „An meinem Naturell“, antwortet Rast; und daran, dass er „ideologisch gefestigt“ sei: Seine Haftzeit sei zwar ein „politbiografischer Knick“ gewesen, aber „kein tiefes schwarzes Loch“. Ein Makel in seinem Lebenslauf? „Ein Makel wäre die Mitgliedschaft in irgendeiner Konzernzentrale.“ Womit wir beim anderen Teil der Geschichte wären.
Vehikel flambieren: Die „militante gruppe“
Oliver Rast, Jahrgang 1972, entstammt einer sozialdemokratischen Familie, der Vater war Kraftfahrer, die Mutter Buchhaltungsangestellte. Zweierlei habe er zu Hause gelernt: „Nazis sind scheiße, Krieg ist scheiße.“ Zunächst ging er zu den Jusos und mischte bei den Grünen mit, aber er blieb dabei nicht stehen: Während er tagsüber im „Roten Antiquariat“ in Berlin Schriften von Marx, Engels, Lenin oder Luxemburg verkaufte, fand er nach Feierabend zu drastischeren „Aktionsformen“, als Mitglied einer linksradikalen Kleinzelle. Die „militante gruppe“ versandte mit scharfen Patronen bestückte Drohschreiben an Wirtschaftsbosse und verübte nächtliche Brandanschläge; auf ein menschenleeres Polizeipräsidium, auf drei Bundeswehr-Lkw.
Moment, Herr Rast, das ist aber doch nicht okay?!
Brananschläge sieht er als "Abrüstungsinitiative"
Er lächelt, wie so oft in diesem Gespräch, und federt auch diese Frage mit dem für ihn so typischen lässigen Schnodderton ab: Er sei „kein Anhänger“ der Idee, einfach so „alle möglichen Vehikel zu flambieren“. Er habe „NATO-Kriegsgerät mittels Brandsätzen außer Kraft gesetzt“, er sehe das als „Abrüstungsinitiative“.
Es folgt ein Exkurs in die Denkwelt der radikalen Linken. Zunächst mal: „Wir haben gesamtgesellschaftliche Gewalt nicht erfunden, sondern vorgefunden.“ Die „aggressivsten Attacken auf den Sozialstaat kommen von oben“. Und wenn seit Jahren Tausende von Menschen auf der Flucht vor schreiender Armut und Krieg „im Mittelmeer ersaufen“, sei das ein „derart eklatanter Gewaltausdruck“, dass es eine „völlige Verfehlung der Diskussion wäre“, stattdessen linke Protestmilitanz anzuprangern.
Ach so. Trotzdem, noch mal: Nie darüber nachgedacht, ob das nicht grundfalsch und heillos verkehrt war?
Dauernd mit sich selbst in Konfrontation
„Selbstbefragung“, sagt Rast, betreibe er „in Permanenz. Ich bin dauernd mit mir in Konfrontation.“ Vor Jahren hat er mal eingeräumt: Sein „politischer Aktivismus“ sei „sicher nicht immer zielführend“ gewesen. Im Waiblinger Gespräch betont er: Die „militante Praxis“ seiner Gruppe sei „bis maximal“ zu selbst gebastelten Sprengsätzen „niedriger Intensität“ gegangen, „Industriesprengstoff“ kam nicht infrage; und Attentate gegen Menschen gehörten nicht zum revolutionären Portfolio – die „militante gruppe“ war spezialisiert auf „Sabotage gegen Infrastruktur“.
Mag sein. Nur klingt das für den Gast von der bürgerlichen Presse nicht wie ernsthaft kritische „Selbstbefragung“, sondern eher wie ziemlich spitzfindige Selbstgerechtigkeit.
„Innerhalb der radikalen Linken“, erklärt Rast geduldig, gebe es nun mal den „Grundkonsens“, dass „militante Praxis“ bis hin zur „bewaffneten Propaganda der Tat“ eine „Option“ sei. „Daran gibt es sozusagen gar keine Zweifel.“ Ob es indes richtig ist, „gezielt zu Liquidationen“ zu schreiten, sei umstritten, es gebe da „größere Skepsis“. Andererseits: „Ich will mich nicht distanzieren, wenn sich Menschen“ nach intensiven Debatten „konzeptuell entscheiden“, diesen Weg zu gehen.
Nun gut, die Fronten sind geklärt: Der Interviewer kann und will da endgültig nicht mehr folgen – statt „Liquidation“ bevorzugt er ein anderes, nicht gar so abgebrüht nach linkem Apparatschik-Jargon klingendes Wort: Mord.
Immerhin, im Gespräch mit dem Buchautoren Frank Brunner, zu dem er offenbar mehr Vertrauen fasste als zum Fremden vom Zeitungsverlag, ist Oliver Rast einmal zumindest ein bisschen deutlicher geworden und hat einen Satz formuliert, in den sich, bei aller polit-technokratischen Gestrüppdürre, mit einigem Wohlwollen so etwas wie Anflüge linksradikaler Selbstkritik hineinlesen lassen: „Mit Angstszenarien zu operieren, die den Tod von Menschen einschließen“, finde er „wenig überzeugend“.
„Größere Skepsis“, „wenig überzeugend“: Auf mehr als solch verbales Trockenholz ist da wohl nicht zu hoffen.
Gefangenengewerkschaft hat mittlerweile 1000 Mitglieder
Im September 2016 ehrte die Humanistischen Union Deutschlands Oliver Rast als Gründer der Gefangenen-Gewerkschaft mit dem Fritz-Bauer-Preis für „Verdienste um die Humanisierung, Liberalisierung und Demokratisierung des Rechtswesens“. Die Auszeichnung erhalten seit 1969 Menschen, die „unbequem und unerschrocken der Gerechtigkeit und Menschlichkeit Geltung verschaffen“. Zu den Trägern gehören Edward Snowden, Günter Grass, Gustav Heinemann. Der Preis ist benannt nach dem unbeugsamen Staatsanwalt, der in den 60er Jahren gegen einen von Altnazis durchsetzten Justiz-Apparat und einen auf Verdrängung gebürsteten Zeitgeist dem Auschwitzprozess den Weg bereitete.
Rasts Kritik an den ausbeutungskapitalistischen Auswüchsen im deutschen Strafvollzugssystem teilen nicht wenige Experten. Die Gefangenengewerkschaft hat mittlerweile mehr als 1000 Mitglieder, ist bundesweit in 60, 70 Gefängnissen vertreten, und Rast ist ein eloquenter Frontmann.
Zwei Geschichten: Aber passen sie zusammen?
Aber dass „Liquidation“ als „Option“ vollkommen indiskutabel ist – was ist so schwer daran, das auszusprechen, was so schwer daran, diese entscheidende Grenze scharf zu ziehen? Was ist so schwer daran, auszubrechen aus dem selbst gebauten Gefängnissystem linkssektiererischer Loyalitätspflichten, die Kritik an der Szene allenfalls in euphemistischer Vollverschleierung erlauben?
Oder sind die Fragen alle falsch gestellt? Geht es gar nicht darum, ob Oliver Rast das kann, sondern darum, was er will? Sieht er einfach keinen Bedarf, sich zu „distanzieren“, ist er womöglich schlicht haargenau so verbohrt, wie manche seiner ausgekühlten, gegen jeden Selbstzweifel imprägnierten Linksdiskurs-Floskeln klingen? Hat dieser Mann, der mit derart kantigem Sarkasmus für ein faireres Gefängniswesen zu streiten weiß, sich nie gefragt, ob er die Glaubwürdigkeit seines Humanitäts-Projekts nicht katastrophal untergräbt, wenn er im nächsten Atemzug an linker Gewalt allenfalls mildeste, in wolkenweiche Wortwatte gepackte Zweifelchen äußert?
Der Gewerkschaftsgründer, der Linksradikale: zwei Geschichten. Für Oliver Rast sind sie offenkundig eins, gehören zusammen, speisen sich aus derselben Haltung zu dieser Gesellschaft. Der journalistische Gast kann die Geschichten nicht zusammenfügen: So sehr er geneigt ist, die eine zu respektieren – von der anderen wendet er sich mit Schaudern ab.
Die dritte Geschichte: Eine Jagd
Um das Leben von Oliver Rast herum lässt sich noch eine dritte Geschichte erzählen – der Autor Frank Brunner hat sie minuziös recherchiert für das Buch „Mit aller Härte – Wie Polizei und Staatsschutz Linksradikale jagen“ (Verlag Bastei-Lübbe, 256 Seiten, 15 Euro): Auf der Pirsch nach Rasts Zelle „militante gruppe“ verfolgte die Staatsmacht viele Jahre lang die Falschen, betrieb, wie Brunner sagt, einen „unglaublichen Aufwand“, offenbarte erstaunlichen „Dilettantismus“ und bewies bedenklich viel „Fantasie“ bei der „Auslotung rechtsstaatlicher Grenzen“.
Thema Aufwand: Ins Visier des Bundeskriminalamts gerieten 2001 drei Männer aus der linken Szene. Es folgten über Jahre hinweg Abhöraktionen und Rund-um-die-Uhr-Observationen. An diesem Kurs hielt das BKA selbst dann noch fest, als längst klar war, dass es da keine heiße Spur gab – „sie haben sehenden Auges die Falschen verfolgt“, bilanziert Brunner, „weil sie die Richtigen nicht fanden.“
Thema Dilettantismus: Eine der Abhöraktionen flog auf, weil den Betroffenen aufgrund eines Computerfehlers versehentlich „die Kosten für die Telefonüberwachung in Rechnung gestellt wurden“. Und zwei Polizisten veröffentlichten einen selbstverfassten linksradikalen Aufsatz in einer Szenezeitschrift – sie hofften, so Kontakte knüpfen zu können, informierten den Verfassungsschutz aber nicht über den Plan. Folge: Im Berliner Verfassungsschutzbericht 2005 fand der Polizisten-Aufsatz Erwähnung als Beleg für linksradikale „Militanzdebatten“.
Thema Rechtsstaat: Jahre später stufte der Bundesgerichtshof die Überwachung der drei Unschuldigen als rechtswidrig ein, weil zu keiner Zeit ein ausreichender Tatverdacht bestanden habe. Die Generalbundesanwaltschaft teilte Brunner dazu auf Anfrage schriftlich mit: Man habe die „Rechtsauffassung“ des Gerichts „zur Kenntnis genommen“ und in „nachfolgenden Ermittlungsverfahren beachtet“.