Filmpremiere "Projekt Dorfgedächntis" über den 101-jährigen Karl Haidle
Kernen-Stetten. Am Samstagnachmittag konnte sich die Glockenkelter zahlreicher Besucher erfreuen. Grund war die Filmpremiere „Karl Haidle - Hondert!“, die Biografie des 101-jährigen Stettener Bürgers Karl Haidle. Der Film von Ebbe Kögel ist im Rahmen des „Projekts Dorfgedächtnis“ entstanden. Der Hauptdarsteller war selbst vor Ort.
Die 180 Plätze in der Glockenkelter sind an diesem Samstag voll besetzt – einige Zuschauer, die nach Vorstellungsbeginn eintreffen, müssen sich mit Stehplätzen begnügen. So groß ist das Interesse an dem Film von Ebbe Kögel, Remstäler Lokalgeschichtsforscher und Vorsitzender der Allmende Stetten, die das „Projekt Dorfgedächtnis“ ins Leben gerufen hat. Der Film porträtiert Kernens (fast) ältesten Bürger: Karl Haidle. Zur Kaiserzeit 1915 geboren, hat er fast die ganze deutsche Geschichte des 20. Jahrhunderts selbst erlebt. Der Film sei ein Ergebnis aus Interview und Geburtstagsfeier, erklärt Kögel vor der Filmpräsentation. Die Dreharbeiten begannen mit dem 100. Geburtstag Haidles.
Ein Geburtstagsständchen
Zu Beginn des Filmes ertönt ein Männerchor, der Karl Haidle ein Geburtstagsständchen singt. Freudig nimmt Haidle die vielen Danksagungen entgegen – als zweitältester Bürger Stettens ist er wohlbekannt im Ort. Es folgen Erinnerungen an die Kindheit und Schulzeit – da habe er „auch mal den Ranzen vollgekriegt“, erwähnt er mit schelmischem Grinsen. Nach einer Ausbildung als Mechaniker wird Karl Haidle zum Reichsarbeitsdienst gerufen. 1937 wird er als Gebirgsjäger einberufen, eine Spezialeinheit der deutschen Armee. Der Zweite Weltkrieg beginnt mit dem Angriff auf Polen – und Haidle ist dabei. Von 1939 an ist er Meldefahrer und legt mehr als 10 000 Kilometer innerhalb Europas zurück. Er fährt durch Frankreich, Polen, die Ukraine, Jugoslawien, Russland und gelangt bis zum Kaukasus – der Grenze zu Asien. Während die meisten seiner Kameraden den Krieg mit dem Leben bezahlen, kommt Haidle glimpflich davon. 1944 allerdings gerät er für vier Jahre in jugoslawische Kriegsgefangenschaft und gilt in der Heimat die nächsten drei Jahre als vermisst.
Gelebte Geschichte eines Stettener Bürgers
In Interviewform dokumentiert der Film das Leben des Stettener Bürgers. Mit historischen Bildern versehen, betont er die Schwere der Zeit, welcher der Hauptdarsteller aber eine angenehme Leichtigkeit entgegensetzt: Mit Witz und dem nötigen Abstand berichtet er über seine persönlich einprägsamsten Erlebnisse, die zugleich auch die geschichtsträchtigsten Daten Deutschlands sind.
Auf spannende Art und Weise zeichnet der Film Karl Haidles Reise durch Europa nach. Ob er im Rückblick etwas anders gemacht hätte? „Ich bin zufrieden“, entgegnet Haidle. Zufrieden sind auch die Gäste, die mit tosendem Beifall den Film verabschieden.
„Die Filmdokumentation wird immer wichtiger“, sagt Ebbe Kögel. Früher hätten Zeitzeugen ihre Erlebnisse und Geschichten mündlich an die nachfolgende Generation weitergegeben. In heutiger Zeit gelinge diese Art der historischen Tradierung nicht mehr. Seine Biografie sei so interessant, da er in 101 Jahren unvergleichliche geschichtliche Ereignisse in und außerhalb Kernens erlebt habe, dass er „ein Relikt der alten Zeit“ sei. Seine Geschichte leiste daher einen großen Beitrag zum Dorfgedächtnis, so Kögel.
Ein Dorfgedächtnis in Filmen
Nach dem Krieg übernahm Karl Haidle die Landwirtschaft seiner Eltern. Seine Nachbarn versorgt er mit Eiern aus eigener Hühnerzucht und ist bis heute bei der Weinlese anzutreffen – denn die ist immer noch Familienangelegenheit.
Die Allmende Stetten organisiert seit der Gründung 2005 politische und kulturelle Veranstaltungen und Aktionen. Eines ihrer Projekte ist das „Projekt Dorfgedächtnis“ in filmischer Form.
Weitere Filme des „Projekts Dorfgedächtnis“ der Allmende Stetten:
„D’Elis bachd“: Porträt der 99-jährigen Elis Zimmer, die von ihrem Leben als arbeitende Frau in der Nachkriegszeit berichtet.
„Oma, i will a Schmalzbrod“: Erzählt die wechselvolle Geschichte der Glockenkelter in Stetten, die von Herzog Carl Eugen 1786 errichtet wurde.
„Rettet die Reben“: Der Film erklärt die Herstellungsweise der Trockenmauern und die Gründe für die Anlage des Museumswengerts unterhalb der Yburg.

