„Reichsbürger“ widersetzt sich - Polizist schießt
Korb. Diese Polizeimeldung klingt, als ob sie aus einem Tatort-Drehbuch stammt: Polizei kontrolliert Autofahrer. Autofahrer widersetzt sich. Fährt los. Schleift Polizisten mit. Polizist schießt auf den Reifen. So geschehen am Freitagabend in Korb. Der Autofahrer entpuppt sich als „Reichsbürger“ und hat nun kein kleines Problem.
In der Matreier Straße in Korb haben Polizeibeamte am Freitag routinemäßig Autofahrer kontrolliert. Gegen 20.15 Uhr hielten sie einen Opel an, in dem ein 60-Jähriger saß. Er dachte nicht daran, der Polizei Ausweis- und Fahrzeugdokumente zu zeigen. Weder besitze er welche noch benötige er solche, erklärte der Mann laut Polizei. Eine solche Aussage gilt als typisch für „Reichsbürger“ – dazu später mehr.
Gutes Zureden half offenbar nicht. Der Mann blieb störrisch. Bis einer der beiden Polizeibeamten die Fahrertür öffnete, um den Zündschlüssel abzuziehen. Der 60-Jährige fuhr los, woraufhin der Polizist einige Meter von dem Auto mitgezogen wurde, bevor er sich abstoßen konnte. Der Beamte hat leichte Verletzungen erlitten, dienstunfähig ist er nicht, informiert die Pressestelle des Polizeipräsidiums Aalen.
Die Geschichte war noch nicht zu Ende. „Die Polizei versuchte nun, die Flucht des Pkws zu verhindern, indem sie einen Schuss auf einen Reifen abgab“, heißt es im Polizeibericht. Erst dann hielt der 60-Jährige an. Die Felge an seinem Auto ist laut Polizeisprecher Rudolf Biehlmaier kaputt; offenbar hat den Mann aber der Schuss selbst zum Anhalten bewegt, nicht der Schaden an seinem Auto.
Dem 60-Jährigen stehen nun mehrere Anzeigen bevor
Von der Sinnhaftigkeit der Kontrolle war er immer noch nicht überzeugt. Er wehrte sich unverdrossen. Daraufhin setzten die beiden Polizeibeamten „einfache körperliche Gewalt“ ein, wie es im Polizeibericht heißt – und nahmen den Mann fest. Die Kripo wird sich nun weiter mit dem Fall befassen. Der Mann wird sich wohl wegen Verdachts der gefährlichen Körperverletzung, Widerstands gegen Polizeibeamte und wegen gefährlichen Eingriffs in den Straßenverkehr verantworten müssen.
Nach dem Vorfall durfte der 60-Jährige nicht mehr weiterfahren. In solchen Fällen informiert die Polizei ein Abschleppunternehmen, damit der Wagen von der Straße wegkommt. Den Mann selbst musste die Polizei im Anschluss an die polizeilichen Maßnahmen laufen lassen. Um jemanden eine Zeit lang in Gewahrsam nehmen zu können, müssen triftige Gründe vorliegen.
Offenbar ist der Vorfall in Korb nicht weiter aufgefallen. Andrea Demmler vom Hauptamt der Gemeinde zeigte sich am Montag erstaunt: Sie wisse von nichts.
Für sehr viel Erstaunen sorgen indes immer wieder „Reichsbürger“, das sind Menschen, welche die Existenz der Bundesrepublik Deutschland nicht anerkennen. „Es gibt ein paar wenige Reichsbürgergruppierungen, die wir tatsächlich beobachten“, sagt Georg Spielberg, Pressesprecher am Landesamt für Verfassungsschutz. Welcher Gruppierung der 60-Jährige im Korber Fall angehört, ist nicht bekannt.
Die "BRD GmbH" und andere Verschwörungen
Seine Behauptung, er benötige keine Ausweispapiere, passt dazu, wie „Reichsdeutsche“ gemeinhin beschrieben werden. Es handelt sich nicht um eine einheitliche Gruppe; vielmehr existieren unter Reichsdeutschen eine Vielzahl verschiedener Strömungen. Das Brandenburgische Institut für Gemeinwesenberatung widmet ihnen ein eigenes Handbuch. Reichsbürger gelten tendenziell als rechtsextrem, was aber nicht für alle gelte. Sie hängen mitunter wilden Verschwörungstheorien an und sehen in der Bundesrepublik Deutschland keinen souveränen Staat, weil er aus ihrer Sicht gar nicht existiert. Es gibt „Reichsbürger“, die ihren Personalausweis abgeben, weil sie nicht „Eigentum“ oder „Personal“ der „BRD GmbH“ seien, sondern Angehörige des Deutschen Reiches. Aus ihrer Sicht besteht das Deutsche Reich in den Grenzen von 1937 oder früher fort.
Königreiche mit eigenem Ausweis
Unter „Reichsbürgern“ finden sich auch selbst ernannte Monarchen und Stifter eigener Königreiche. Manche bezeichnen sich auch als Reichskanzler, Polizeipräsident oder Generalstaatsanwalt. Reichsbürger hantieren gern mit selbst hergestellten Fantasiedokumenten, da sie offizielle Dokumente der nicht existenten Bundesrepublik nicht anerkennen, heißt es in dem Handbuch weiter. Ämter und Behörden überziehen „Reichsbürger“ gern mit sehr langen Schreiben, in denen sie Amtsträger belehren, beschimpfen und beleidigen. Laut Handbuch kommt es in einzelnen Fällen bis hin zur Androhung von „Todesstrafe nach Kriegsrecht“. In einem Beitrag im Handbuch zur psychischen Verfassung von Reichsbürgern stellt der Autor Jan-Gerrit Keil die Frage, wie mit dieser Personengruppe umzugehen sei, ob es sich um politisch motivierte Propagandastraftäter handle oder um hilfsbedürftige Patienten ohne Krankheitseinsicht. Jan-Gerrit Keil: „Nicht jedem ‘Reichsbürger’ muss man auch wirklich unterstellen, dass er den – umgangssprachlich ausgedrückten – ‘Quatsch’, den er erzählt, tatsächlich selbst glaubt. Vielen kann sicherlich wohldurchdachte politische Provokation unterstellt werden.“
Das letzte Mittel:
Wann ein Polizist seine Schusswaffe gebrauchen darf, ist im Polizeigesetz geregelt. „Es ist das allerletzte Mittel, das die Polizei einsetzt“, sagt Carsten Dehner, Pressesprecher am Innenministerium Baden-Württemberg.
Sinngemäß heißt es in § 53 des Polizeigesetzes: Die Schusswaffe kommt erst dann zum Einsatz, wenn alle anderen Maßnahmen nichts nutzen oder erfolglos scheinen. „Auf Personen darf erst geschossen werden, wenn der polizeiliche Zweck durch Waffenwirkung gegen Sachen nicht erreicht werden kann.“
Im Korber Fall hat der Beamte auf den Reifen des Flüchtenden geschossen.