Schnaiter Kirbe – ein Lebensgefühl
Weinstadt-Schnait. Das rituelle Rätschen ist wieder tonangebend beim traditionellen Kirbeumzug. Zu den Klängen des Musikvereins Schnait zieht der grüne Kirbejahrgang 1997/1998 von der Ortsmitte zur Halle, gefolgt von unzähligen Besuchern, die in Jubel ausbrechen, als der Kirbe-Trauben vor der Halle hängt und die vertrauten Lieder gesungen werden.
Der grüne Kirbejahrgang hatte ein Jahr lang Zeit zum Üben, um die Rätschen lautstark und langanhaltend zum Schnattern zu bringen. Sie können es. Auch textsicher sind die 16 Jugendlichen, die zwei Wochen lang auf einem zum Wagen umgebauten Anhänger die Wirtshäuser abklapperten, sangen und ihre Kirbe feierten.
Wieder gelingt der rituelle Schulter-Kraftakt
Unentwegter Rätschen-Lärm und dazu vergleichsweise leise Kirbelieder begleiten zunächst das Abhängen der schweren Puppe, die die Vorgänger als Gaudi aufgehängt haben. Die Rätschen legen erneut los, als der Trägerwechsel das Aufhängen des Kirbe-Traubens ankündigt. Etwa 100 Kilogramm lasten auf den Schultern von Kai Bergmüller und Jakob Riethmüller. Sie müssen das weithin sichtbare Wahrzeichen der Schnaiter Kirbe hinaufwuchten und an den Haken hängen. So will es die Tradition, so wünschen es die Zuschauer mit erwartungsvollen frohen Blicken. Und wieder gelingt der rituelle Schulter-Kraftakt. Mit etwas gequälten und vom vielen Feiern auch nicht ganz fitten Gesichtern steigen sie die Leitern hinauf. Langsam, im Gleichschritt, vorsichtig bei jedem Tritt gewinnen sie an Höhe, bis das Gewicht sicher am Haken hängt. Ihr bestimmt strahlendstes Lachen werfen sie der Menge zu, als sie, von Böllerschüssen und anhaltendem Rätschen-Rattern begleitet, die letzten Leitersprossen hinaufsteigen und mit Betreten des Daches zu Helden des Tages aufsteigen.
"Die Schnaiter Kirbe ist mehr als ein Fest"
Der Platz vor der Halle ist voller Menschen. Traktor-Oldtimer sind geschmückt mit Sonnenblumen und Weintrauben. Viele ehemalige Kirbejahrgänge sind gekommen - zu erkennen an den Aufdrucken auf den T-Shirts, die den Jahrgang und damit das Alter verraten. Unter den Ehemaligen ist auch Oberbürgermeister Michael Scharmann, der nachempfinden kann, was in den jungen Menschen vorgeht. In einer persönlichen Ansprache geht er auf den einsetzenden Ernst des Lebens ein und den mit der Kirbe symbolisierten Abschied von der Jugend. Er sei vor 24 Jahren hier gestanden, da gehe einem viel durch den Kopf. Die Plakate kündigen das sommerliche Großereignis schon seit Wochen an: „Die Schnaiter Kirbe ist mehr als ein Fest, es ist ein Lebensgefühl“, so Scharmann. Sie trage dazu bei, sich heimisch zu fühlen. „Das Kirbejahr ist so wichtig, da wächst etwas zusammen, davon erzählt man noch Jahre später, daran denkt man ein Leben lang zurück.“
Im Beisein der Weinkönigin Anja Sigle und der Weinprinzessin Franziska Haenelt ehrt Oberbürgermeister Scharmann Vertreter der gereiften Silbernen, Goldenen und Diamantenen Jahrgänge. Der Nachmittag klingt aus mit dem Buttenlauf, bei dem auch ein Team aus Leipzig am Start ist.
Mädchenmangel
Der grüne Kirbejahrgang litt anfangs unter Mädchen-Mangel. Im Juni konnten zwei Mädels überzeugt werden, mitzumachen. Der Vorgänger-Jahrgang griff die schlechte Frauenquote humorvoll auf. Sie hatten ein Pappschild aufgestellt mit dem Spruch „Wir hätten aushelfen können“ und acht Dirndlträgerinnen des offenbar frauenstarken Jahrgangs rätschten auf dem Dach ihren Nachfolgern kräftig den Marsch.