Waiblingen

Vom Kampf gegen die Schwarzarbeit

Schwarzarbeit
Dieser Handwerker ist legal beschäftigt. Viele andere sind es nicht. © Schneider / ZVW

Waiblingen. Auf vielen Baustellen dürften Schwarzarbeiter schuften. Und jede Menge Hilfskräfte, die unter Mindestlohn arbeiten. Manche Verstöße fliegen auf, die Dunkelziffer bleibt groß. Zudem bindet die riesige S-21-Baustelle Kontrollkräfte. Das geht so nicht, findet die IG Bau und fordert deutlich mehr Kontrollen.

Einen „eklatanten Personalmangel beim Zoll“ beklagt die IG Bau. Viel zu wenig werde auf den Baustellen kontrolliert. Seriöse Firmen haben das Nachsehen, wenn ihnen Arbeitgeber, die mit illegalen Dumpinglöhnen arbeiten, die Aufträge vor der Nase wegschnappen. Die IG Bau pocht genau aus diesem Grund für mehr Kontrollen: Seriöse Baufirmen und deren Beschäftigte profitieren davon. Doch sieht die Realität ganz anders aus: 2015 hat das Hauptzollamt, welches für die Kontrollen auf Baustellen zuständig ist, weit weniger Beamte losgeschickt als im Jahr davor. Die IG Bau spricht von 292 Kontrollen und einem Minus von 55 Prozent. Die Landkreise Rems-Murr, Esslingen und Böblingen sowie der Stadtkreis Stuttgart fallen in die Zuständigkeit des Hauptzollamts Stuttgart. „Die Zollfahnder kommen personell nicht hinterher“, kritisiert Mike Paul von der IG Bau Stuttgart.

Wie viele Kontrollen angemessen sind, das möchte Thomas Seemann nicht kommentieren: „Wir machen das, was wir können.“ Der Pressesprecher des Hauptzollamts weist den Verdacht zurück, die S-21-Baustelle binde zu viele Kapazitäten.

Er verweist auf ein Prüfkonzept, bei welchem die Bahn mit im Boot sei. Das Hauptzollamt setzt bei diesem Projekt auf Prävention. Ziel ist, Schwarzarbeit und andere Verstöße bereits im Vorfeld zu verhindern.

Schön, wenn’s klappt und wirklich alle Subunternehmer brav und wahrheitsgetreu dem Generalauftragnehmer nachweisen, wie, zu welchen Löhnen und mit welchen Arbeitern sie ihre Aufgaben zu erledigen gedenken.

Sie schuften für weit weniger als Mindestlohn

„Papier ist geduldig“, das weiß Thomas Seemann natürlich auch. Er bezieht sich auf ganz bestimmte Kontrollen im Rems-Murr-Kreis, die bereits fünf Jahre zurückliegen: Auf der Klinik-Baustelle in Winnenden stieß der Zoll 2011 auf eine Vielzahl von Schwarzarbeitern und illegal Beschäftigten. Eine groß angelegte Kontrolle hatte ergeben, dass jeder dritte Arbeitnehmer illegal beschäftigt war. Zuvor hatte der Landkreis von jeder Firma eine Verpflichtungserklärung verlangt, alle gesetzlichen Vorgaben einzuhalten.

Thomas Seemann berichtet von weiteren krassen Verstößen im Rems-Murr-Kreis. Beim Bau eines privaten Mehrfamilienhauses in Waiblingen schufteten rumänische Bauarbeiter „weit unter Mindestlohn“ und lebten zugleich unter „schrecklichsten Bedingungen“, wie Seemann sagt. Die Männer schliefen auf der Baustelle auf Feldbetten, hausten in den noch nicht umgebauten Räumen des Hauses. Man könne fast schon von „Menschenhändlern“ sprechen, die gezielt Arbeiter aus Bulgarien und Rumänien nach Deutschland schleusen, wo sie als angeblich Selbstständige arbeiten und der Auftragnehmer sie auf diese Weise weit unter Mindestlohn bezahlt. Es werden zum Schein Gesellschaften bürgerlichen Rechts gegründet, obwohl es sich in keinster Weise um echte Selbstständigkeit handelt. Das nachzuweisen „ist aufwendig“, sagt Seemann.

Es standen schon mal 20 Rumänen im Hauptzollamt in Stuttgart auf der Matte, erzählt Seemann. Die Bauarbeiter hatten überhaupt kein Geld bekommen, hatten keinen Cent mehr in der Tasche und wussten schlicht nicht, wie sie nach Hause zurückkehren sollten.

Fokus der Ermittlungen liegt auf organisierter Schwarzarbeit

Das Hauptzollamt richtet seinen Fokus darauf, die organisierte Schwarzarbeit zu bekämpfen. Dazu kommen all die kleinen Fische – ein Beispiel: In einem Sonnenstudio arbeitet eine Hartz-IV-Empfängerin stundenweise am Empfang. Der Arbeitsagentur verschweigt sie ihren Zusatzverdienst, und mit dem Arbeitgeber ist vereinbart, dass sie zwar keinen Mindestlohn, dafür das Geld in bar erhält.

Solch ein Verstoß ist schnell entdeckt und geahndet – sofern das Zollamt überhaupt die Kapazitäten hat, sich der kleinen Fische anzunehmen. Sehr viel langwieriger und schwieriger gestalten sich die Nachweise, wenn Subunternehmen bei großen Baustellen die Aufträge sechs- oder siebenmal untervergeben. Der Generalauftragnehmer blickt oft selbst nicht mehr durch, wer nun ganz konkret welche Arbeiten erledigt und vor allem, zu welchen Bedingungen. „Wir versuchen, flächendeckend einen gewissen Kontrolldruck zu erzeugen“, versichert Thomas Seemann und verweist auf Zahlen, welche die IG Bau aus seiner Sicht der Vollständigkeit halber auch nennen müsste: Im Zuständigkeitsbereich des Amtes sind im Jahr 2015 so viele Verstöße aufgeflogen, dass diese insgesamt Haftstrafen von 46,6 Jahren nach sich zogen. Eine Schadenssumme von 1,4 Millionen Euro hat das Hauptzollamt allein auf einer Baustelle in Backnang ermittelt, auf der elf scheinselbstständige Rumänen im Einsatz waren.

Erst vor wenigen Wochen entdeckten die Kontrolleure auf einer Baustelle in Winnenden fünf Stuckateure aus dem Kosovo. Für sie gilt keine EU-Freizügigkeit, weshalb ein Verstoß gegen das Aufenthaltsgesetz vorlag.

Die Kontrolleure richten den Blick auf Schadenssummen und Straftatbestände. Zugleich treffen sie auf den Baustellen auf Menschen, die ausgebeutet werden, auf menschliche Tragödien.

Mafiöse Strukturen

„Das Ausmaß und die Erscheinungsformen von Schwarzarbeit und illegaler Beschäftigung sind nach wie vor für die deutsche Bauwirtschaft bedrohlich. Die Scheinselbstständigkeit und die Zahl der Einmannbetriebe nehmen erschreckend zu. Zum Teil stellen wir mafiöse Strukturen fest, in denen mit hoher krimineller Energie gegen gesetzliche Bestimmungen verstoßen und Lohnsteuern sowie Sozialversicherungsbeiträge hinterzogen werden.“ Zentralverband Deutsches Baugewerbe