Nach heftiger Kritik einer Patientin: Einblicke in die Notaufnahme in Winnenden

Ingeborg Munz hat im Januar eine Nacht in der Notaufnahme des Rems-Murr-Klinikums in Winnenden verbracht. „Auf dem Stadtfriedhof liegt man besser als dort“, schimpft sie gegenüber unserer Redaktion. Dem Krankenhaus macht sie schwere Vorwürfe. Für Chefarzt Dr. med. Torsten Ade gehören solche Beschwerden zur Tagesordnung. Was war los und wie reagiert das Klinikum?
Wir treffen Ingeborg Munz in ihrer Winnender Wohnung. Wenn die 78-Jährige von den Geschehnissen aus dem Januar erzählt, ist sie noch immer ganz aufgewühlt. „Mir ging es hundeelend“, erinnert sie sich. Über die Weihnachtstage hatte die Frau einen schweren Infekt, der Hausarzt weilte im Urlaub. Also hat sie abgewartet. „Als der Arzt dann wieder da war, hieß es, dass ich umgehend Antibiotika nehmen soll“, erzählt die ehemalige Krankenhausverwaltungskraft.
Winnenderin geschockt: Hartes Leder und „gefroren wie ein Schneider“
Drei Tage später wird ihr zu Hause übel, sie kippt gleich zweimal um. „Mit dem Taxi bin ich zu meinem Arzt gefahren. Er hat mich ins Krankenhaus geschickt“, so die 78-Jährige. Dorthin bringt sie der Mann einer Bekannten. Munz erzählt, dass man sie in der Notaufnahme geröntgt habe, eine zweifache Lungenentzündung festgestellt worden sei. „Ich war einfach nur kaputt“, sagt sie. Vom Mittag an bis zum nächsten Morgen sei sie auf einer Art Pritsche gelegen. Sie erinnere sich an „hartes Leder“, sagt sie, und dass sie gefroren habe wie ein Schneider. „Ich hatte keine Decke und kein Kissen“, so die Winnenderin. Immerhin habe sie zwei Infusionen erhalten, wie sie erzählt.
Am Morgen habe ihr ein Arzt dann einen Brief in die Hand gedrückt und gesagt, dass sie heimkönne. „Ich wollte nur noch weg“, erinnert sie sich. Über die Zustände sei sie nach wie vor geschockt. „Man liest immer, welche superneuen Operationsmöglichkeiten es gibt. Aber von solchen Erlebnissen hört man in der Öffentlichkeit kaum“, ärgert sie sich.
50.000 Menschen pro Jahr in der Winnender Notaufnahme
Mit den Vorwürfen konfrontiert, meldet sich umgehend Christoph Schmale, Pressesprecher der Rems-Murr-Kliniken: Ohne Entbindung von der ärztlichen Schweigepflicht kann zu Einzelfällen keine Auskunft erteilt werden. Das wiederum möchte Ingeborg Munz nicht. Also lädt Schmale unsere Redaktion in die Winnender Notaufnahme ein, damit wir uns vor Ort ein eigenes Bild machen können.
An diesem Mittwochnachmittag ist der gemeinsame Wartebereich der Notaufnahme und der Notfallpraxis zwar ganz gut gefüllt, etwa die Hälfte der Sitzplätze ist jedoch noch frei. „Heute ist es etwas ruhiger“, erklärt Dr. med. Torsten Ade, Chefarzt der Notaufnahme. Im Jahr halten sich in diesem Teil der Klinik etwa 75.000 Personen auf. „50.000 Menschen in der Notaufnahme und etwa 25.000 Personen in der Notfallpraxis“, erklärt Ade.
Nicht alle suchen jedoch den gemeinsamen Wartebereich auf. „Es gibt die Patienten, die fußläufig zu uns kommen, und dann gibt es diejenigen, die mit einem Krankenwagen eingeliefert werden“, so der Chefarzt. Letztere seien zwar nicht immer, aber oft die akuteren Fälle.
Menschen, die kein Notfall sind, sorgen immer wieder für Verzögerungen
Wer mit dem Rettungswagen eintrifft, erreicht die Notaufnahme durch einen separaten Eingang. Die Menschen im Wartebereich bekommen von alledem nichts mit. Wer zu Fuß hier ist, meldet sich am gemeinsamen Tresen der Notaufnahme und der Notfallpraxis. Eine Software gibt den medizinischen Fachangestellten dort erste Hinweise, wie schnell der Patient ärztliche Versorgung benötigt. „Jeder Patient, der eigentlich kein Notfall ist und trotzdem hier vorstellig wird, sorgt für Verzögerungen und eine längere Wartezeit für echte Notfälle“, nennt Ade ein Ärgernis für Wartende und Ärzte zugleich. Das sei allerdings kein spezifisches Problem in Winnenden, sondern ein weltweites.
Die Ärzte behandeln Patienten nach Dringlichkeit, nicht nach Eintreffen
Ziel ist es, dass Notfälle innerhalb der ersten zehn Minuten eine sogenannte Triage bekommen. Hinter einem Vorhang in der Notaufnahme werden die Patienten hierzu erstmalig untersucht.
Je nach Schwere der Verletzung oder Krankheit entscheiden die Mediziner, ob sofortige Hilfe nötig ist oder ob andere Personen zuerst an der Reihe sind. „Wir behandeln die Patienten hier nach der Dringlichkeit und nicht nach der Reihenfolge ihres Eintreffens“, erklärt Ade. Dies führe regelmäßig zu Beschwerden. „In der Notaufnahme können wir eben nicht vorhersagen, wie viele Patienten wann kommen. Das passiert alles kurzfristig“, sagt er und deutet auf einen Bildschirm. Mittels GPS-Ortung haben die Retter dort zumindest im Blick, welche Rettungswagen momentan unterwegs sind, wen sie geladen haben und wann sie am Klinikum eintreffen.
„In sechs Minuten kommt ein absoluter Notfall“, sieht der Fachmann auf einen Blick.
Sechs Fachleute machen sich für einen Patienten im Schockraum bereit
Sobald der Mann das Klinikum erreicht, werden die Hilfskräfte ihn umgehend in den sogenannten Schockraum, welcher der Erstversorgung schwer kranker oder verletzter Patienten dient, bringen. „Diese Person im Rettungswagen hat nun quasi eine Minuswartezeit“, sagt Ade. Für andere Patienten im Wartebereich bedeutet das jedoch, dass sie nun später an der Reihe sind.
Ein Ärzteteam bereitet sich im Schockraum auf den anfahrenden Notfall vor. Konzentration ist angesagt. Sie ziehen sich Handschuhe über die Finger, gleich muss jeder Handgriff sitzen. „Der Patient ist 80 Jahre alt, braucht dringend eine Beatmung. Schockraum in diesem Alter – das ist nicht ohne“, weiß Chefarzt Torsten Ade. Sprich: Lebensgefahr. Sobald der Patient dort ankommt, kümmern sich sechs Fachleute um ihn.
In den Klinikfluren geht es derweil hektisch zur Sache, und das, obwohl es an diesem Tag eher ruhig ist. Zumindest für die Verhältnisse in einer Notaufnahme. Pflegekräfte schieben Betten umher, andere laufen mit Klemmbrettern zu Patienten oder Kollegen. „Eine Grundanspannung ist hier immer zu spüren. Keiner weiß schließlich, was heute noch passiert“, schildert Ade. Nochmals angesprochen auf Ingeborg Munz und ihre Vorwürfe, erzählt der Chefarzt, dass so etwas für ihn zum Alltag gehört. Die Klinik hat dafür eigens ein Beschwerdemanagement, wertet die Kritik regelmäßig aus. Mal äußern Patienten ihren Ärger über die Mahlzeiten, mal beschwert sich jemand über die Wartezeit oder das Personal. Andere hingegen verstehen nicht, weshalb auf bestimmte Untersuchungen verzichtet wird. „Nur die wenigsten sehen dabei, wie es hinter den Kulissen zugeht“, sagt Ade.
Man versucht, lange Wartezeiten zu vermeiden, das klappt jedoch nicht immer
Im von Ingeborg Munz genannten Zeitraum habe im Klinikum Hochbetrieb geherrscht. „Wir waren zu 95 Prozent ausgelastet, was sehr ungewöhnlich ist. Ein Grund dafür waren viele Influenza-Fälle“, sagt Ade. Die Zimmer in der Notaufnahme bieten Platz für 34 Personen, die jedoch nicht alle zum Verweilen gedacht sind. Eingerechnet sind beispielsweise auch Plätze im Gips- oder Isolationsraum. „Wenn wir auf die Marke von 40 Patienten zukommen, dann wird es schwierig für uns“, erklärt der Arzt. Dann könne es vorkommen, dass Patienten auf einer Art Notfallliege auf dem Gang unterkommen – wie im Fall von Ingeborg Munz. Diese Liegen seien dabei nichts Ungewöhnliches. „In manche Untersuchungsbereiche kommen wir mit den großen Betten gar nicht rein. Auch dann kommen die schmaleren Liegen zum Einsatz“, so der Chefarzt.
Wartezeiten können zudem entstehen, wenn Laboruntersuchungen anstehen oder andere medizinische Tests ausgewertet werden müssen. „Natürlich denkt jeder Patient, dass er ein Notfall ist, und möchte dementsprechend sofort behandelt werden. Das können wir jedoch nicht immer gewährleisten“, sagt der Chefarzt. Je nachdem, wie viel Trubel auf der Station herrscht.