Querdenker-Ausstellung in Winnenden: Wäscheleinen-Pranger mit Wahrheitsanspruch

In der Winnender Innenstadt stellen aktuell Impfgegner und Corona-Skeptiker ihre Ideologie zur Schau: an gespannten Wäscheleinen mit einlaminierten Infotafeln. Darauf werden unter anderem Politiker von Lauterbach bis Spahn als „Heuchler“ beschimpft. Andere zeigen Todesanzeigen angeblicher Opfer der Covid-Impfung, präsentieren alternative Fakten zur Mundnasenmaske und anderen Schutzmaßnahmen. Das ist von der Stadt genehmigt – und lockt offenbar auch zweifelhafte Persönlichkeiten mit kruden Thesen nach Winnenden.
Die Ausstellung: Einer der Organisatoren kommt aus Waiblingen
Unsere Redaktion will in der Marktstraße in Erfahrung bringen, wer hinter der Aktion steckt. Ein freundlicher älterer Herr gibt sich als Mitorganisator zu erkennen. Er erzählt, dass er aus Waiblingen kommt und Teilnehmer an den sogenannten Montagsspaziergängen sei.
Ende 2021 hatten Querdenker und Co. deutschlandweit damit begonnen, unter dem Deckmantel von Spaziergängen gegen Corona-Maßnahmen zu demonstrieren. Organisiert wurde das per Messengerdienst Telegram. Etabliert hatten diese Form des Protests die rechtsextremen „Freien Sachsen“. Solche Spaziergänge finden in Winnenden bis heute statt – und wurden in der Hochphase insbesondere von der AfD bejubelt. Im Gegensatz zu den Vorbild-Demos in Sachsen wurden in Winnenden aber nie Wohnhäuser belagert oder Menschen angegriffen.
An Wäscheleinen: Infotafeln auf der Marktstraße und dem Adlerplatz
Die „Ausstellung“, in der klassische Querdenker-Verschwörungserzählungen und ein Pranger für unliebsame Politiker und Prominente die Hauptrolle spielen, ist seit Mittwoch an wechselnden Orten in der Innenstadt zu sehen. Sie hat offenkundig Vorbilder: Eine ähnliche Ausstellung war zuletzt in Stuttgart unter dem Titel „Galerie des Grauens“ zu sehen. Auch dort wurde mit Zetteln auf Wäscheleinen suggeriert, dass die Corona-Impfungen gefährlicher seien als die Krankheit selbst. Und es etliche Todesfälle gebe, die verschwiegen werden. Die Quellen: oft dubios.
Die Ausstellung in Winnenden sei als Versammlung vom Ordnungsamt genehmigt worden, erklärt der Senior aus Waiblingen. Wie es dazu kam? Er habe sich mit anderen, die ähnlich denken, zusammengeschlossen, versammle sich nach wie vor auch an Samstagen auf dem Winnender Markt.
"Ich habe mitgemacht": Bekannt geworden durch Online-Pranger
An jenem Teil der Ausstellung, an dem er sich positioniert hat, findet sich auch ein Abschnitt mit dem Titel „Ich habe mitgemacht“. Im Zentrum steht ein Plakat mit ausgestrecktem Finger, der auf den Betrachter zeigt. „Schuldig“ steht dort – drei Ausrufezeichen. Daneben sind Fotos von Menschen aus Wirtschaft, Politik und anderen Lebensbereichen zu sehen: von Gesundheitsminister Karl Lauterbach bis zum Comedian Oliver Pocher.
Bekannt wurde die Formulierung „Ich habe mitgemacht“ im Internet. Der gleichnamige Online-Pranger sammelt auf einer Liste Zitate von Personen, die sich angeblich an „Corona-Unrecht“ beteiligt haben. Diese seien „Täter“, es wird unterschwellig eine Nähe zu Verbrechen des Nationalsozialismus hergestellt. Zuspruch gibt es aus Querdenker-Kreisen. Betrieben wird die Seite von der „Kontrafunk AG“ des Journalisten Burkhard Müller-Ullrich, der mittlerweile einen rechten Radiosender betreibt – Björn Höcke ist Fan.
"Schuldig!!!": Schreiben einer Amtsleiterin aus dem Rathaus ist ausgestellt
Diese Form der Feindmarkierung hatte auch davor schon Tradition in der Querdenker-Szene. Früh waren auf Protesten beispielsweise Plakate mit Bildern von Politikern und Wissenschaftlern in Sträflingskleidung zu sehen. Dazu der Schriftzug: „Schuldig!“.
In Winnenden beziehen sich die Demonstrierenden auch auf die Stadtverwaltung und die lokale Presse. An einer Wäscheleine hängt ein Schreiben von Sozialamtsleiterin Manuela Voith, in dem es um ein Impfangebot für Senioren geht. Daneben ist ein Artikel unserer Redaktion zu den Montagsspaziergängern aus dem Januar 2022 platziert. Das Plakat mit dem Finger stellt, nur wenige Schritte entfernt, den Kontext her: „Ihr habt mitgemacht. Denunziert, gespalten, ausgegrenzt, abgewiesen, erniedrigt, beleidigt, gehetzt, gedemütigt. Schuldig!!!“
Heiko M.: Bekannter Querdenker zieht einen kruden Vergleich zum Amoklauf
Immer wieder bleiben auch Passanten an den Stationen in Winnenden stehen. Sie schauen mal überrascht, mal interessiert. Ein Mann wirft Geld in eine angebrachte Spendenbox. Die Initiatoren scheinen auf der Marktstraße durchaus Leute zu erreichen. Dass die Ausstellung dabei auch bekannte Querdenker anzieht, ist wenig verwunderlich – die Szene ruft via Telegram zum Besuch auf.
Auf einem Video, das unserer Redaktion vorliegt, ist auch Heiko M. aus dem Rems-Murr-Kreis bei der Ausstellung auf dem Marktplatz zu sehen. Er soll am Aufbau Hunderter Telegram-Gruppen und Kanälen rechter Gruppen, Reichsbürger oder Querdenker beteiligt gewesen sein, wie Recherchen von T-Online und dem ARD-Magazin „Kontraste“ nahelegen. Er leugnete das stets. „Ich bin hier in Winnenden, da haben wir eine wunderbare Galerie“, sagt er im Video. Kurz darauf wird es abstoßend: Heiko M. spielt auf den Amoklauf an, zieht einen Vergleich zwischen den Morden damals und der Corona-Impfung.
Ist das erlaubt? Die Ausstellung fällt unter das Versammlungsrecht
Pranger, Verschwörungserzählungen, angebliche Fakten und Wahrheiten – warum erlaubt die Stadt das? „Die aktuelle Ausstellung in der Marktstraße fällt als eine Form der Kundgebung unter das Versammlungsrecht. Für Versammlungen besteht nach dem Gesetz keine Genehmigungspflicht, sie sind lediglich bei der zuständigen Behörde anzumelden“, schreibt Franziska Götz, Pressesprecherin bei der Stadt. Bei Bedarf könnten Auflagen erlassen werden, die der jeweilige Versammlungsleiter umsetzen muss.
Nur eine Veranstaltung, die gegen rechtsstaatliche Grundsätze verstößt, genieße nicht den Schutz der Meinungsfreiheit und könne verboten werden. „Wir als Versammlungsbehörde prüfen daher nicht, ob eine Versammlung genehmigt werden kann, sondern nur, welche Auflagen erforderlich sind, damit die konkrete Versammlung sicher und in geordneten Bahnen durchgeführt werden kann“, erklärt Götz.
Stadt Winnenden: Gemeinde-Vollzugsdienst zeitweise präsent
Die Botschaften, die durch die Organisatoren der Ausstellung verbreitet werden, hat die Stadt demnach geprüft. „Auch während der Veranstaltung wird der Gemeindevollzugsdienst, wie bei dem Großteil der Veranstaltungen in der Marktstraße, zeitweise präsent sein“, schreibt Götz – und verweist auf eine zurückliegende, angeblich „vergleichbare“ Fridays-For-Future-Veranstaltung in Winnenden.