Schreckliche Geschichte, die Mut macht
Winnenden. Eine schreckliche Geschichte – und eine, die Mut macht: Ein bosnischer Muslim kommt 1992 ins Lager, überlebt alle Gräuel – und schreibt ein Buch, das auch von geglückter Integration berichtet. „Zeuge der Wahrheit“ wird am Dienstag und Mittwoch im Stuttgarter Theaterhaus als zeitgenössisches Tanztheater auf die Bühne gebracht – mit der Tanzakademie Minkov.
Zum großen Finale kommen Menschen in Schwimmwesten auf die Theaterhaus-Bühne, behütet von Tanz-Elevinnen der Winnender Minkov-Akademie, die Gitter tragen und so eine geschützte Bahn für die Flüchtlinge bilden. Es sind tatsächlich nach Winnenden Geflüchtete, die als Statisten bei „Zeuge der Wahrheit“ mitmachen. Auch, um dem zeitgenössischen Tanztheater eine aktuelle Note zu geben, wie Jana Ressel, Choreografin aus Leipzig, und Regisseur Jasmin Osmanagi´c betonen. Um zu zeigen, dass die alte Geschichte von Menschen, die aufeinander schießen und sich gegenseitig in Lager stecken, eine ewige ist.
Komponist Osmanagi´c schuf die Musik zum Buch von Karadzik
Auch Osmanagi´c, bosnischer Muslim und seit langem in Stuttgart erfolgreicher Komponist, hat sie hautnah erlebt. Als Soldat im Bosnien-Krieg der 1990er. Zwar nicht im Lager, aber doch leidvoll, mit Schießbefehlen auf ehemalige Nachbarn und Bekannte anderen Glaubens. Vor eineinhalb Jahren, als das Thema Migration noch nicht diesen riesigen, alles andere in den Hintergrund drängenden Stellenwert hatte, beschloss er, das Buch von Elhad Karadzik, Häftling im berüchtigten Manjaca-Lager, um seine Kompositionen zu einem zeitgenössischen Tanzprojekt zu ergänzen. Außerdem übernahm er selbst die Regie, nachdem es mit zwei professionellen Regisseuren nicht recht klappte, weil deren authentische Empathie fehlte für dieses besondere Stück.
Jetzt führt Osmanagi´c also erstmals Regie. Unterstützt vom Stuttgarter „Verein ehemaliger Kriegsgefangener und traumatisierter Personen“ (VEKT), dessen Vorsitzender Karadzik ist. Der authentische „Zeuge der Wahrheit“ erlebte nach seiner Befreiung ein echtes Happy End: Seine Tochter, die während der Lagerhaft geboren wurde und die der Vater erst nach Monaten sah, studiert heute in Tübingen, zwei weitere Töchter sind wohlauf - eine gelungene Integration, die sich Karadzik auch für die aktuellen Flüchtlinge wünscht.
Körper schütteln sich wie in Krämpfen
Bei der Generalprobe wird deutlich, dass „Zeuge der Wahrheit“ aus vielerlei Quellen und Ausdrucksformen schöpft. Die Musik von Osmanagi´c ist mal orchestral, gelegentlich unterlegt mit (drastischen) Filmszenen, mal mit wehmütigen Streichern und flirrenden Farben der Sehnsucht. Etwa, wenn Kinder des Ensembles als junge Pioniere der jugoslawischen Tito-Ära träumen, für die Bosnier eine „Goldene Zeit“. Oder dann, 1981, nach Titos Tod, die unsichere politische Lage in dräuenden, düsteren Klängen Ausdruck findet, etwa in einer Sirene, die in ein geradezu melodisches und umso bedrohlicheres elektronisches Sirren mündet.
Jetzt tanzen professionelle Tänzer oder ältere Minkov-Eleven, Soli fesseln die Aufmerksamkeit, Körper schütteln sich wie in Krämpfen, während im Hintergrund ein Film mit Untertiteln Titos Tod dokumentiert oder die Tänzerinnen wirken wie aufgezogen bei einer Parade, bewegen sich im soldatischen Stechschritt. Oder ein 20-minütiger Monolog des Gefangenen wird von Tanzbildern unterstützt, die mal Angst und Schrecken, mal Hoffnung auf ein Weiterleben ausdrücken. Wenn die Boat-People die Szene betreten, erklingen Pop-Grooves, eher sanft und positiv als schreckenerregend. Ein optimistischer Ausklang.
Es gibt noch Karten
Das Stück „Zeuge der Wahrheit“ wird im Theaterhaus Stuttgart aufgeführt am 4. und 5. Oktober, Beginn 20.15 Uhr. Karten sind an der Abendkasse erhältlich, ) 07 11-4 02 07 20.
Dass die Tanzakademie Minkov mit im Boot ist, liegt laut ihrem Leiter Vesselin Minkov „an unserem guten Renommee“. Schließlich lernen Tanz-Eleven aus ganz Deutschland, ja aus aller Welt in Winnenden. Mit öffentlichen Aufführungen gastierte man schon im Theaterhaus. Weiter spielt wohl eine Rolle, dass Minkov einerseits mit Berufskollegs für Tänzer professionelles klassisches (und zeitgenössisches) Ballett lehrt, aber auch Kinder unterrichtet, wie sie bei „Zeuge der Wahrheit“ mitmischen.
Die nächste große Aufführung in Winnendens Hermann-Schwab-Halle ist im Februar bei den Konzerttagen mit eigener Choreografie zu „Karneval der Tiere“.