Twitter-Oma: Renate Bergmann
Winnenden. Von wegen Lesung! Schwer enttäuscht wurde, wer da am Freitag in der Alten Kelter eine trocken-verstaubte Veranstaltung erwartet hatte, mit einem Autor, der sich tapfer durch seine eigenen Texte hindurchkämpft und seinen Blick hilfesuchend vom Manuskript zum Publikum hin und her wandern lässt. Geboten wurde tatsächlich das Gegenteil.
Das fängt schon mit der Ankündigung an. Da heißt es, dass Torsten Rohde aus seinem Buch „Das bisschen Hüfte, meine Güte“ vortragen würde. Tatsächlich auf der Bühne saß die Schauspielerin Anke Siefken.
Reise durch die bisweilen verschwurbelte Gedankenwelt einer 82-Jährigen
Angetan in einem blauen Baumwollkostüm, einer weißen Schuppenbluse und mit einem blauen Hütchen, hauchte sie Rohdes Kunst- und Kultfigur „Renate Bergmann“ Leben ein, gab ihr Gesicht und Stimme und nahm das begeisterte Publikum mit ihrer rasanten One-Woman-Show mit zu einer Reise durch die bisweilen verschwurbelte Gedankenwelt einer knitzen und stets liebenswerten 82-jährigen – an diesem Abend – Winnenderin, die sowohl den Krieg wie auch vier Ehemänner überlebt hat, die mitten im Leben steht und deren spannender Alltag weit mehr als nur Grabpflege zu bieten hat. Die vor allem aus ihrem Herzen keine Mördergrube macht, sondern frei von der Leber weg ihre Weltsicht darlegt.
Hochzeit ohne neumodischen Wedding-Planner
Schuld an allem Unglück war eigentlich Ariane, erfuhren die Besucher. Sie ist die Freundin des angeheirateten Großneffen Stefan. Oder, wenn man noch weiter zurückgeht, ist Renates esoterisch angehauchte Tochter Kirsten die Schuldige.
Diese wiederum hatte Ariane aus der Hand und aus den Tarot-Karten prophezeit, dass sie keine Kinder bekommen würde, worauf Ariane prompt die Pille absetzte. Und so kam es dann zu der „Pralinenhochzeit“ von Stefan und Ariane – Pralinenhochzeit deshalb, weil „die Braut schon eine kleine Füllung hat“. Diese Hochzeit wiederum hatte nicht ein neumodischer Wedding-Planner vorbereitet, sondern selbstverständlich Renate und ihre ebenfalls 82-jährige Freundin Ilse.
Figur Renate Bergmann mischt die Reha-Klinik auf
Bei der Hochzeit selbst hatte Ariane boshafterweise mit dem Brautstrauß auf Renate gezielt. Als sie versuchte, dem Geschoss auszuweichen, stürzte Renate. Da war dann nichts mit ihrem Motto: „Hinfallen, aufstehen, Krönchen zurechtrücken“, das sie auf einem T-Shirt von Ariane gelesen hatte.
Die Hüfte war gebrochen, Renate musste ins Krankenhaus und: „Man muss annehmen, was das Schicksal oder das Krankenhaus für einen bereithält.“ Und dies war in diesem Fall die Reha. Dort kämpfte sich die Protagonistin dann durch sechs Wochen Physiotherapie, gemeinsames Patientensingen fast wie im Kindergarten, durch von „Bandscheiben“ belagerte Raucherecken und Tanzabende mit Partnern, die das Parkett malträtierten, „so wie ein Bauer, der ein Feuer austritt“, und mit einem Taktgefühl „wie eine alte Wäscheschleuder“.
Die Geburtsstunde von Renate Bergmann, erzählte Torsten Rhode, war ein Familienfest mit Oma, Tante, Mutter. Er schaute ihnen ganz genau „aufs Maul“, entdeckte Gemeinsamkeiten und Eigenheiten, entwickelte daraus liebevoll seine Protagonistin. Dann drückte er dieser ein Handy in die Hand, ließ sie Facebook und Twitter für sich entdecken, und am 16. Januar 2013 schrieb sie ihren ersten Tweet. „Dies empfanden dann immer mehr Leser als witzig, die Fan-Gemeinde wuchs, und schließlich trat dann ein Verlag an mich heran.“
82-jährige Figur als Spiegel der Gesellschaft
Als „witzig“ hat auch das Winnender Publikum Renate Bergmanns Auftritt empfunden. Es setzte sich bei dieser gemeinsamen Veranstaltung von Kulturamt, Volkshochschule und Stadtbücherei aus allen Altersgruppen zusammen. Lachsalven und Beifallsstürme hallten durch den fast voll besetzten Theatersaal. Renate Bergmann unterhält, aber sie wirkt nie lächerlich. Man lacht mit ihr, aber nicht über sie. Und dank des Kunstgriffs, Geschichten aus der Perspektive einer 82-Jährigen zu erzählen, wird einem im ersten Moment gar nicht bewusst, dass sie jedem einen Spiegel entgegenhält, in dem man eigene verschwurbelte Klischees und Vorurteile wiederfindet.
Renate Bergmann auf Twitter:
Torsten Rohde wurde 1974 geboren. Er studierte Betriebswirtschaft und arbeitete als Controller. Gerade befindet er sich auf seiner ersten Promotiontour durch Süddeutschland, nachdem er bisher vor allem in Norddeutschland unterwegs war. Seit dem 16. Januar 2013 ist Torsten Rhode alias Renate Bergmann auf Twitter unterwegs. Ein kleines Best-of:
Alle sind begeistert von meinen Schnittchen und was ich an Schnaps vertrage. Alle nennen mich "kuhle Omi".
— Renate Bergmann (@RenateBergmann) 18. März 2017
Ich weiß nicht, ob das Plakat für unseren Seniorennachmittag so gelungen ist. Bei mir bleiben Zweifel. pic.twitter.com/46wvaNYUHy
— Renate Bergmann (@RenateBergmann) 17. März 2017
Die Sterbedaten meiner Männer haben keinen Lottoerfolg gebracht. Ich wechsele wieder auf Geburtstage. Guten Morgen wünscht Renate Bergmann.
— Renate Bergmann (@RenateBergmann) 17. März 2017
Jemand muss denen im ZDF mal sagen, dass nun Frühling ist und sie kein Biathlon mehr zeigen müssen. Ständig fällt mein Krimi aus!
— Renate Bergmann (@RenateBergmann) 10. März 2017
Jedes Jahr das Gleiche auf der Frauentagsfeier, erst versprechen sie einen Stripper und dann will sich der Hausmeister nicht ausziehen.
— Renate Bergmann (@RenateBergmann) 8. März 2017
Das junge Ding hat 4,23€ mit Schippkarte bezahlt. Das hat länger gedauert als wenn ich es passend gebe, aber da wird mit den Augen gerollt!
— Renate Bergmann (@RenateBergmann) 4. März 2017
In der Karnevalszeit wird der Korn immer knapp, da kann man gar nicht genug Vorrat haben! pic.twitter.com/YOJT7Zw6RI
— Renate Bergmann (@RenateBergmann) 24. Februar 2017