Wegen Corona ist der Wald zu einem regelrechten Tummelplatz geworden

Der Wald verändert sich – nicht nur, weil es seit drei Jahren viel zu wenig regnet und es seit 30 Jahren viel zu schnell immer wärmer wird. Die Bäume haben mit der Trockenheit selbst und in deren Gefolge auch mit Pilzkrankheiten und Insektenschädlingen zu kämpfen. Immerhin wird unser Wald (noch) nicht von Bränden oder Rodungen zum Zweck von landwirtschaftlichen Plantagen bedroht, wie in anderen Ländern. Hierzulande nutzen die Menschen den Wald zur Freizeitbeschäftigung und zur Erholung. Seit diesem Jahr übrigens so stark wie selten, daran hatte Corona maßgeblich Anteil, wie Gemeinderäte und Mitarbeiter der Stadtverwaltung bei einem Rundgang von Revierförster Harald Graß und dem stellvertretenden Forstamtsleiter des Kreises, Ulrich Häußermann, erfahren haben.
Wer außer Wanderern und Pilzsuchern streift denn so durch den Wald?
Seit März, seit Schulen, Sporthallen, Chorprobesäle, Spielplätze und Kindergärten zeitweise geschlossen waren, haben viele Menschen den Wald als idealen Aufenthaltsort für sich entdeckt. Familien gehen auf Entdeckungstour, Jugendliche können sich ungestört treffen, man sportelt auf dem Trimm-dich-Pfad oder auf dem Fahrrad, wer’s meditativer mag, kommt zum Waldbaden her. Im Schelmenholz gibt es schon lange den privaten Waldkindergarten, dessen Kinder auch gern mal in Pfützen hocken oder einen matschigen Hang als Rutschbahn nutzen, wie Ulrich Häußermann beobachtet hat. Das freut ihn, denn diese Naturerfahrung „vergessen die nie“. Seit dieser Woche hat die Stadt einen weiteren Waldkindergarten eröffnet, die Bauwagen stehen am Haselstein unterhalb von Breuningsweiler. Für die Förster bedeutet das aber auch, dass sie für die Sicherheit der Leute sorgen müssen, vom Waldarbeiter bis zum Waldkindergartenkind. Damit all denen kein Ast oder abgestorbener Baum auf den Kopf fällt. Eine Esche zum Beispiel. „Sie leidet seit einigen Jahren an einem Pilz, der geht bis in die Wurzel, sie fault ab.“ Harald Graß hat deshalb alle Eschen im Schelmenholz fällen lassen, wo Jogger, Kinder und Radler sich hauptsächlich tummeln.
Apropos Radler – einige lieben die Trails, schmale Wurzelpfade. Das Befahren ist aber illegal. Wie gehen Forst und Stadt mit denen um?
Das Waldgesetz in Baden-Württemberg verbietet das Radeln auf Wegen, die schmaler sind als zwei Meter. Das dient dem Schutz von Pflanzen, Wild, Amphibien und anderen Waldbelangen. In Rheinland-Pfalz verfolgt man diese Ziele auch, anerkennt aber auch den Wunsch der Freizeitsportler, die zahlenmäßig nach Mutmaßungen von Ulrich Häußermann inzwischen die der Fußballer locker übertreffen. Er kann sich vorstellen, dass der Forst wie in der Pfalz einige bisher illegale Wege freigibt, andere aber auch mit eindeutigen Zeichen sperrt. In der Pfalz werde dies respektiert. „Wir sind dazu an einem Runden Tisch mit Radfahrern, Jägern, Naturschützern und Waldbesitzern gekommen.“ Der Prozess ist angestoßen, die Sportler sollen nun ihre Wünsche in digitale Karten eintragen, als Diskussionsgrundlage. „Am Ende können wir mit unseren freigegebenen Wegen dann auch von Plattformen wie Komoot verlangen, dass sie keine illegalen Trails empfehlen“, so Häußermann.
Die Eschen müssen raus, auch viele Fichten - ist der Stadtwald bald kahl?
Erstaunlicherweise nicht. Hätten es die Förster nicht gesagt, das Fehlen der vielen Eschen wäre nicht aufgefallen. „Unsere Vorgänger haben dafür gesorgt, dass Sie viele Schätze hier haben, viele verschiedene Arten“, erzählte Harald Graß zum Beispiel von vielen Nussbaumarten. Auch wenn nächstes Jahr weiter viele vom Borkenkäfer befallene Fichten entfernt werden müssen und Buchen, die viel Wasser brauchen und nach drei dürren Jahren eingegangen sind, werden die Lücken von nachwachsenden Bäumen geschlossen. „Nur in Ausnahmefällen pflanzen wir nach. Zu 90 Prozent setzen wir auf Naturverjüngung“, so Harald Graß. Das sorgt für einen stabilen Wald, eine gesunde Mischung aus Laub- und Nadelholz und Baumarten, die mit den neuen Anforderungen klarkommen. Nicht verzichten will er aber aufs „Durchforsten“, also aufs Bäumefällen. „Den Wald sich selbst überlassen wäre ganz falsch.“
Die Rotbuche macht ein Drittel des Winnender Stadtwalds aus. Hat sie Zukunft?
Nein, ihr Anteil wird definitiv zurückgehen. Sie kommt mit der Trockenheit überhaupt nicht klar. Abgestorbene Exemplare am Waldrand des Gießübels erkannte man schon im August daran, dass sie ihr Laub verloren hatten. Sie sind gefährlich, weil sie ihre Äste, zersetzt von Pilzen, bei Erschütterungen regelrecht abwerfen. Deshalb benutzen Waldarbeiter hydraulische und ferngesteuerte Fällkeile. „Das geht dann völlig geräuschlos ab“, erklärt Ulrich Häußermann. Wenn weniger Buchen im Winnender Wald stehen, ist das zwar schade für den Boden, den sie mit ihren Wurzeln verbessern. Aber was die Lichtausbeute für andere Baumarten ausmacht, ist ihr Verschwinden sogar wichtig: Eine kleine Eiche könnte sich im Buchenschatten gar nicht entwickeln. Und auf Eichen setzen die Forstleute derzeit große Hoffnungen, genauso wie auf Douglasie, die ein Stück weit die Fichte beerbt. Auch Lärche und Tanne, Edelkastanie und eventuell Atlas-Zeder sind Baumarten, die hoffen lassen.
Am Gießübel gibt es noch eine kuriose Besonderheit: Etliche Privatwaldstreifen durchziehen den Stadtwald.
„Viele Besitzer wissen gar nicht, wo sich ihre Parzelle genau befindet“, sagt Harald Graß, der so etwas „noch nie gesehen“ hat: Wie dünne Schals ziehen sich die Streifen, nur sechs Meter breit, dafür 200 Meter lang, von einem zum anderen Ende des Gießübels. Durch die einstige württembergische Erbteilung wurde der Wald stets gerecht an alle Kinder aufgeteilt, die einzelnen Parzellen wurden von Generation zu Generation kleiner. Diesen Zustand versucht die Stadt durch Aufkäufe zu beenden. Dann sind Bewirtschaftung und Pflege des gesamten Waldstücks in einer Hand und sinnvoll ausführbar.