Friedrich Merz über Lübcke-Mord: Verbale Entgleisung, fatales Signal (Kommentar)
München/Waiblingen. Die CDU hat gute Chancen, als stärkste Partei aus der Bundestagswahl hervorzugehen. Die Umfragen deuten seit Monaten in diese Richtung. Kanzlerkandidat Friedrich Merz hätte in den letzten Tagen des Wahlkampfs also einfach auf Sicherheit spielen können. Ruhe ausstrahlen, Stabilität versprechen. Sich feiern lassen. Stattdessen wetterte er beim Wahlkampftermin in München am Samstag (22.02.) gegen Demonstranten und sprach über die Ermordung seines Parteikollegen Walter Lübcke. Redakteur Alexander Roth meint: Eine verbale Entgleisung, ein Eigentor – und ein fatales Signal.
Aufgeheizte Stimmung: Merz will "unter keinen Umständen" mit AfD sprechen
Die Stimmung im Wahlkampf ist aufgeladen, seit Friedrich Merz ohne Not einen Antrag einbrachte, der mit Stimmen der rechtsextremen AfD angenommen wurde. Eine Entwicklung, die klar abzusehen gewesen war, ein Dammbruch, den er ohne Not und sehenden Auges verursachte. In Deutschland brach eine zweite große Welle von Demonstrationen gegen Rechtsextremismus und die politische Entwicklung los – und diesmal war Merz vielerorts explizit mitgemeint. Menschen machen sich Sorgen, dass die Brandmauer der Konservativen zur AfD nun vollends einstürzt.
Vielleicht auch deswegen sagte Merz am Tag vor der Wahl bei einem Auftritt in München: "Wir werden unter keinen Umständen irgendwelche Gespräche, geschweige denn Verhandlungen oder gar Regierungsbeteiligungen mit der AfD besprechen. Das kommt nicht infrage. Das werden wir nicht tun." Und dabei hätte er es belassen sollen. Stattdessen redete er sich in Rage.
Merz thematisiert Lübcke-Mord: "Wo waren die da?"
Während Merz in dem Münchner Bierkeller zu seinen Anhängern sprach, wurde vor der Tür demonstriert. Der CDU-Kanzlerkandidat beklagte eine "Zuspitzung des Wahlkampfes". Auch dieser Auftritt sei nur unter "massivem Polizeischutz" möglich gewesen. Dafür machte er – das wurde mehr als deutlich – die Demonstrierenden mitverantwortlich.
"Ich frage mal die Ganzen, die draußen rumlaufen, Antifa und gegen rechts: Wo waren die denn, als Walter Lübcke in Kassel ermordet worden ist von einem Rechtsradikalen?", fragte Merz, wobei er das Wort "Antifa" mit hörbarer Verachtung aussprach. "Wo waren die da?"
Merz irrt gewaltig: Es gab Antifa-Demos nach dem Lübcke-Mord
Nun hätte Merz wissen können: Die Ermordung seines Parteikollegen im Juni 2019 zog damals zahlreiche Demonstrationen nach sich. Zehntausende zog es gegen Rechtsextremismus auf die Straßen. Antifa-Organisationen waren zentraler Bestandteil dieser Demos, initiierten sie oder liefen mit. Auf der anderen Seite kritisierten Medien wie der Berliner "Tagesspiegel" das " dröhnende Schweigen der Union ". Denn während Politiker anderer Parteien früh Stellung bezogen, blieb es in der Union zunächst auffällig ruhig. Friedrich Merz meldete sich mehr als zwei Wochen später bei "Maischberger" zu Wort. Er machte die AfD für den Mord mitverantwortlich und nutzte die Gelegenheit, um gegen seine Konkurrentin Angela Merkel zu sticheln.
Lübcke setzte sich für Geflüchtete ein
Dass der CDU-Kanzlerkandidat im Wahlkampf den tragischen Todesfall nun erneut für sich zu nutzen versucht, und dabei schon an den Fakten scheitert, ist für sich genommen schon bemerkenswert. Kennt man die Details dieses Falls, könnte es einen glatt zynisch werden lassen.
Walter Lübcke wurde von einem Rechtsextremisten erschossen, der die AfD im Wahlkampf unterstützte. Die rechtsextreme Partei, die nach dem Antrag von Friedrich Merz feixend im Bundestag Selfies schoss. Die Tat steht in der traurigen Tradition rechten Terrors in der Bundesrepublik Deutschland, auf deren Kontinuität auch Antifa-Organisationen regelmäßig hinweisen. Dieselbe Antifa, die Merz verachtet. Vor seiner Ermordung war Lübcke massiv bedroht worden, weil er sich für mehr Menschlichkeit im Umgang mit Geflüchteten eingesetzt hatte. Was er heute wohl zum Migrationskurs der Merz-Union sagen würde?
"Linke und grüne Spinner": Merz spaltet, statt zu versöhnen
Merz machte beim Lübcke-Mord nicht Halt. Er hätte danach auf die Gefahr durch Rechtsextremismus hinweisen können, die der Tod seines Parteikollegen damals so schmerzhaft bewusst gemacht hatte. Stattdessen holte er zum Rundumschlag gegen alles Linke aus: "Links ist vorbei", sagt er. "Es gibt keine linke Mehrheit und keine linke Politik mehr in Deutschland." Die CDU werde wieder "Politik für die Mehrheit der Bevölkerung machen", und nicht "für irgendwelche linken und grünen Spinner auf dieser Welt".
Es ist derselbe Friedrich Merz, der nach der Ermordung Walter Lübckes bei Sandra Maischberger eine Verrohung der Umgangsformen beklagt hatte. Derselbe, der Kanzler aller Deutschen werden will. Ein Mann, der scheinbar nicht sieht, dass es eine demokratische Mehrheit in diesem Land gibt, die er adressieren könnte, statt Teile von ihr zu verunglimpfen. Eine Mehrheit jenseits des rechtsextremen Rands – von dem die AfD hämisch herübergrinst.