Menschen im Fadenkreuz

Jahrzehnte des Hasses (2/7): Wehrsportgruppen und die Professionalisierung rechten Terrors – die 1970er Jahre

"Wehrsportgruppe Hoffmann" verboten
Mitglieder der "Wehrsportgruppe Hoffmann" in uniformähnlicher Kluft am 16. Juli 1978 auf dem Grundstück von Karl-Heinz Hoffmann in Ermreuth bei Nürnberg. © DPA/Schnoerrer

In der Artikel-Serie "Jahrzehnte des Hasses" skizzieren wir im Gespräch mit dem Rechtsextremismus-Experten Prof. Dr. Fabian Virchow die Kontinuitäten rechtsextremen Terrors in der Bundesrepublik Deutschland. Die Texte stammen aus dem Austellungsband "Menschen – im Fadenkreuz des rechten Terrors". Alle Teile der Serie finden Sie hier.

7. November 1970, West-Berlin: Der junge Hilfskrankenpfleger Ekkehard Weil schießt den Wachsoldaten Iwan Iwanowitsch Schtscherbak am Sowjetischen Ehrenmal im Tiergarten nieder und verletzt ihn lebensgefährlich. Später wird Weil behaupten, er habe „einen kleinen Beitrag dazu leisten [wollen], dass seine heiß geliebte Heimat Berlin nicht die Beute der Sowjetunion werde.“

Weil wurde für diese Tat zu sechs Jahren Freiheitsstrafe verurteilt, nach fünf Jahren aber vorzeitig entlassen. Danach verübte er weitere Anschläge in Deutschland und Österreich. Seine Ziele waren vor allem die Wohnhäuser von Menschen jüdischen Glaubens.

Auch wenn es einzeln agierende Täter wie Weil gab, waren die 70er vor allem die Zeit, in der sich zahlreiche rechtsterroristische Gruppierungen und Kampfverbände gründeten: die „Nationale Deutsche Befreiungsbewegung“, die „Nationalsozialistische Kampfgruppe Großdeutschland“, die „Gruppe Neumann“, die „Gruppe Otte“ oder die „Werwolfgruppe Stubbemann“.

Die Mitglieder rekrutierten sich zum Teil aus den Reihen der NPD, aber, im Fall der „Nationalsozialistischen Kampfgruppe Großdeutschland“, auch aus denen der Bundeswehr.

Die Polizei hob im Laufe des Jahrzehnts zahlreiche Waffenlager aus, stellte Sprengstoff sicher, verhinderte Anschläge.

Eine Gruppierung prägte das Jahrzehnt wie keine andere.

Die Privatarmee des Karl-Heinz Hoffmann: Waffenübungen in den fränkischen Wäldern

Herbst 1973: Der in Nürnberg geborene Grafiker Karl-Heinz Hoffmann gründet die nach ihm benannte „Wehrsportgruppe Hoffmann“ (WSG). Zu den Zielen der Gruppe gehört laut „Manifest“ ein Umsturz des politischen Systems, das durch eine „nach dem Leistungs- und Selektionsprinzip ausgerichtete Führerstruktur“ ersetzt werden soll.

Die WSG war eine Art Privatarmee mit – zur Hochphase – über 400 Mitgliedern, die in den fränkischen Wäldern Waffenübungen durchführten. Hauptquartier der Gruppe war Schloss Ermreuth im oberen Schwabachtal, das zur Zeit des Nationalsozialismus als Gauführerschule gedient hatte.

Anfangs übernahm die WSG unter anderem den „Saalschutz“ für Veranstaltungen rechtsextremer Parteien wie NPD und DVU. Sie prügelte sich mit Demonstrierenden oder lieferte sich auf einer Hitler-Gedenkfeier eine Schlacht mit der Polizei. Später veranstaltet die WSG öffentlichkeitswirksam paramilitärische Trainings.

Mai 1976: Der 19-jährige Bundeswehrgefreite und WSG-Anhänger Dieter Epplen klettert in München über eine Mauer am Englischen Garten. Er hat eine Bombe in der Tasche, sein Ziel ist der US-Soldatensender AFN. Doch der Anschlag scheitert. Epplens selbst gebastelter Sprengkörper explodiert zu früh. Der 19-Jährige überlebt schwer verletzt.

„Das, was sich durch die Jahre durchzieht, ist, dass Leute, die Waffen sammeln oder Sprengstoff horten, mit der extremen Rechten zu tun haben“, sagt Fabian Virchow. „Gleichzeitig wird Mitte der 70er eine bestimmte Generation von Leuten in politischen Strukturen tätig und groß, für die Gewalt zumindest legitim ist, und die unterschiedliche Formen von Gewalt praktizieren.“

In dieser Zeit hatten sich auch Anhänger der NPD in der „Volkssozialistischen Bewegung Deutschlands/Partei der Arbeit“ (VSBD/PdA) zusammengetan und radikalisiert. Die Mitglieder bekannten sich offen zum Nationalsozialismus, suchten öffentlich die gewaltsame Konfrontation mit Linken und verübten vor allem Anfang der 80er teils schwere Straftaten.

Anschläge auf Sendeanlagen: Schwarze Bildschirme statt NS-Aufarbeitung

Januar 1979: Im Fernsehen wird die WDR-Dokumentation „Endlösung“ gezeigt. Sie soll die deutsche Erstausstrahlung der US-Fernsehserie „Holocaust“ einleiten, das in der Folge Gezeigte durch wissenschaftliche Zeugnisse und Augenzeugenberichte belegen. Ein Meilenstein in der Auseinandersetzung mit der Zeit des Nationalsozialismus. Doch in etwa 100.000 Haushalten kommt es während der Übertragung zu Unterbrechungen.

Wie sich später herausstellte, hatten Rechtsterroristen zwei ARD-Sendeanlagen in der Nähe von Koblenz und Münster gesprengt. Zu der Tat bekannte sich die Gruppe „Internationale revolutionäre Nationalisten“. Mindestens einer der Männer, Peter Naumann, stammte aus dem Umfeld der NPD.

16 Jahre später führte Peter Naumann Beamte des Bundeskriminalamts und ein ARD-Fernsehteam zu mehreren Waffen- und Sprengstoffdepots, die seinen Angaben zufolge aus den frühen 80er Jahren stammten.

Nicht weiter verwunderlich, denn: auch die 80er Jahre waren geprägt von rechtem Terror. Terror, der Menschenleben forderte. Mehr dazu im dritten Teil unserer Serie.

Menschen – im Fadenkreuz des rechten Terrors

Dieser Text ist ein Auszug aus dem Buch "Menschen – im Fadenkreuz des rechten Terrors". Es kann über den ZVW-Shop oder im Online-Shop von CORRECTIV vorbestellt werden. Das gleichnamige Projekt ist eine Kooperation elf renommierter Regionalmedien in Zusammenarbeit mit dem Weissen Ring e.V., unter Leitung des gemeinnützigen Recherchezentrums CORRECTIV.

Weitere Texte zum Thema finden Sie auf www.menschen-im-fadenkreuz.de oder unter zvw.de/menschen-im-fadenkreuz.