Rems-Murr-Kreis

Bäche und Flüsse in traurigem Zustand

Bärenbach_0
Der Bärenbach bei Urbach. © ZVW/Sarah Utz

Waiblingen. Wer einen Bach sehen will, der so aussieht, wie ein Bach aussehen muss, der kann ein Stückchen am Bärenbach bei Urbach entlangspazieren. Aber sonst? Der WWF hat festgestellt: Der Zustand der bundesdeutschen Gewässer ist „flächendeckend prekär und verstößt gegen die Wasserrahmenrichtlinie“. Der Rems-Murr-Kreis macht da keine Ausnahme.

Der World Wildlife Fund, kurz WWF, schlägt in seinem Ende 2018 veröffentlichten Report Alarm: Selbst die Gewässerschutz-Spitzenreiter Rheinland-Pfalz, Bayern und Schleswig-Holstein blieben „weit hinter den gesetzlichen Vorgaben der EU-Wasserrahmenrichtlinie“. Was heißt das für den Rems-Murr-Kreis? Gelten die Stichwörter „schlechter chemischer Zustand“ oder „der ökologischen Seele beraubt“ auch für Rems und Murr? Womöglich sogar für die kleinen Bäche, deren Namen oftmals nur diejenigen kennen, die direkt daneben wohnen? Für Wüstenbach, Trauzenbach, Herrenbach, Otterbach, Tannbach zum Beispiel? Na ja, der Glaitenbach bei Auenwald kann noch ein paar wenige Meter völlig unveränderter Natur vorweisen. Der Bärenbach bei Urbach und Plüderhausen auch. Die meisten anderen Bäche und Flüsse im Rems-Murr-Kreis sind so gut wie immer mindestens „stark verändert“. Wenn sie nicht mit dem, was einst hier floss, überhaupt nichts mehr zu tun haben.

Hier geht es zur Karte des Umweltlandesamts.

Badeseen fallen heraus: Sie sind zu klein für diese Form Überwachung

Insgesamt 30 sogenannte „Fließgewässer“, also Bäche und Flüsse im Kreis, sind aufgelistet, deren Qualität in Bezug auf die Wasserrahmenrichtlinie überwacht wird. Die Kriterien zur Aufnahme in diese Liste sind für Bäche und Flüsse ein Einzugsgebiet, das größer als zehn Quadratkilometer ist. Bei Seen gilt eine Fläche von über 50 Hektar – damit fallen unsere Badeseen aus der Überwachung raus. Sie sind zu klein.

Die 30 Bäche und Flüsse im Kreis werden in puncto Natürlichkeit untersucht. Und in Bezug auf die chemische Wasserqualität. Allerdings kann nicht alles einzeln überwacht werden. Daher kann keine punktgenaue Aussage etwa zum Zustand von Brüdenbach oder Klöpferbach gemacht werden. Betrachtet werde, sagt Martin Lehmann von der Umweltabteilung im Regierungspräsidium, „das Gesamtergebnis“. 1000 Messstellen gibt’s in ganz Baden- Württemberg, das gesamte Fluss- und Bachnetz wird in fünf „Wasserkörper“ aufgeteilt, der Rems-Murr-Kreis gehört zum „Bearbeitungsgebiet Neckar“, denn am Ende fließt alles dort rein.

Pläne zur Renaturierung

Rems und Murr werden vom Land betreut. Die kleineren Flüsse und Bäche liegen in der Verantwortung der Kommunen. Hier steigt auch das Landratsamt mit seiner unteren Wasserbehörde ein. Denn: Für alles, was jetzt zur Rettung der Gewässer passieren soll, „müssen Pläne gemacht werden“. Der Mensch habe die Flüsse über viele Jahrhunderte verändert – mit Mühlen, mit Gerbereien, für die Landwirtschaft, den Handel, die Industrie und wegen städtischer Bebauung. Flüsse wurden verschmutzt, begradigt, vertieft, das Uferland entwässert. Jetzt soll zwar nicht alles, aber doch vieles wieder rückgängig gemacht werden.

„Die Gewässer“, sagt Martin Lehmann, „sind nicht tot, aber stark beeinträchtigt.“ Das ökologisch-chemische Ziel sei nicht erreicht worden. Die EU-Mitgliedsstaaten sind vielmehr mit Karacho an ihrer im Jahr 2000 unterschriebenen Selbstverpflichtung, bis 2015 alle Gewässer in einen „guten ökologischen“ und „guten chemischen Zustand“ zu bringen, vorbeigerauscht. Wie prima, dass in der Wasserrahmenrichtlinie auch gleich stand, dass Ausnahmefälle bis 2027 Zeit haben.

Im Wasser lebende Tiere geben Hinweise auf Wasserqualität

Die Wasserqualität wird unter anderem an den Wasserbewohnern festgemacht: Fische, kleine Wassertiere, Planktonalgen und Pflanzen sind Indikatoren für die Güte von Fluss und Bach. Im Wesentlichen, sagt Martin Lehmann, sei der Zustand bislang mäßig bis schlecht. Das Ziel der Richtlinie ist ein guter Zustand. Von „sehr gut“ spricht niemand. Probleme machen hier nicht nur Giftstoffe, sondern auch der von Feldern in den Bach gespülte Boden. Der nämlich verstopft die Lücken zwischen den Steinen. Die aber sind der Lebensraum von den Wasserklein- und -kleinstlebewesen. Und auch Forellenlaich beispielsweise kann dann nicht mehr gedeihen.

Um Rems und Murr, Zipfel- und Buchenbach wieder naturnah und gesund zu bekommen, muss der Blick sehr weit schweifen. Die Barbe beispielsweise, ein bei uns typischer Süßwasserfisch aus der Familie der Karpfen, macht Wanderungen von bis zu 100 Kilometern. Da reicht es nicht, nur die Rems mit Fischtreppen zu versorgen. Auch die Seitengewässer müssen durchgängig sein. Die Frage ist: Wie sahen die Flussläufe vor der Industrialisierung aus? Das wieder zu erreichen, wäre das Optimum, jede Abweichung ist „Belastung“.

Giftige Stoffe aus der Luft, von Straßen und Äckern

Belastend ist auch fast jede Annäherung des Menschen an die Gewässer. An Kläranlagen wird längst Phosphat gemessen. Doch dann gibt’s auch noch die sogenannten „diffusen Quellen“. Dazu zählen beispielsweise Auswaschungen giftiger Stoffe aus der Luft. Quecksilber, das der Kohleverstromung zu verdanken ist, treibt die Negativ-Werte nach oben. Von Straßen fließen Schadstoffe. Oder von Äckern. Bei diesen macht zum Beispiel die Gülle Ärger, die zu viel Stickstoff, Ammoniak oder Phosphat mitbringt. Da nicht überall gemessen werden kann, erfährt man nur an den Messstellen, dass was faul ist. Wo aber die schlechten Werte herkommen, welcher Landwirt sich womöglich nicht an die Gesetze hält, ist kaum herauszufinden.

Seit dem 1. Januar sind Gewässerrandstreifen Gesetz. Seither gilt: Erst nach fünf Metern Abstand zum nächsten Gewässer dürfen Landwirte das Land als Acker nutzen und Gülle oder Spritzmittel ausbringen. Höchstens Blühstreifen sind erlaubt. Martin Lehmann hofft, dass es damit ein „bissle besser“ wird.

Schwierig: Bewertung der Daten

Die Studie des WWF hat Daten ausgewertet, die aus dem Jahr 2015 sind. Das heißt: Auch wenn die Studie jetzt erst veröffentlicht wurde – ganz aktuell ist sie nicht. Neue Messdaten liegen beim Landesamt für Umwelt Baden Württemberg vor. Doch sie werden erst etwa Mitte des Jahres ans Umweltministerium weitergegeben. Bis dieses dann die neuen Erkenntnisse veröffentlicht, kann es Ende des Jahres werden.

Das Problem: Die Datenmenge, die das Landesamt für Umwelt zu bewältigen hat, ist riesig. Jährlich fallen bis zu 450 000 chemische Daten an, die bewertet werden müssen. Die Bewertung und ein Vergleich sind nicht immer ganz einfach und eindeutig: Gesetzesänderungen wie 2016 setzen plötzlich neue Maßstäbe und bringen weitere chemische Stoffe in die Diskussion ein.

Veränderungen in der Gewässerqualität brauchen aber auch Zeit, sagt Jochen Stark von der Landesanstalt für Umwelt. Wenn beispielsweise Pflanzenschutzmittel verboten werden, braucht es Jahre, bis die Stoffe vollständig aus dem Boden gewaschen sind und nicht mehr in die Gewässer gelangen.

Das Landesamt für Umwelt erwartet jedoch in Bezug auf die neuen Daten dennoch keine Verschlechterung.