Das Jahr 2021 im Rems-Murr-Kreis: Ein hundsmiserables Bienenjahr

So schlimm war’s noch nie. „Noch nie“ heißt in diesem Fall: die letzten 40 bis 50 Jahre. So lange ungefähr erinnern sich die altgedientesten Imker im Rems-Murr-Kreis an ihre Arbeitsjahre zurück und so lange, sagen sie, hatten sie noch nie eine so schlechte Honigernte und so eine große Futternot bei den Bienen. Das Jahr 2021 – ein Ausnahmejahr. Aber warum?
Durch den ganzen Rems-Murr-Kreis und darüber hinaus geht die Misere: Schon zehn Prozent seiner Bienen seien ihm verhungert, sagt Moritz Berlin. Zwei Drittel dieser Tiere starben im Mai. Erst im Juni sei’s wieder so einigermaßen gegangen.
Die Imker müssen durchgehend zufüttern
Wie dem Korber Imker geht’s manchem im Bezirksimkerverein Waiblingen und Umgebung. Heidrun Rilling-Mayer, die Erste Vorsitzende, fasst die Erfahrungen ihrer Vereinskolleginnen und -kollegen für dieses Jahr so zusammen: gar kein Waldhonig, und zufüttern musste man fast das ganze Jahr. Uwe Weingärtner, der Erste Vorsitzende des Bezirksimkervereins Remstal, sagt dasselbe.
Normalerweise füttern die Imker ihre Völker bis März. Dann blüht die Welt und die Bienen können sich selbst versorgen. Durch den Winter füttern müssen die Imker, weil sie den Honig der Bienenvölker, der ja eigentlich als Futtervorrat für die kalte Jahreszeit angelegt wird, normalerweise einmal gegen Ende Mai und dann noch mal Ende Juli abernten. Dann ist das Bienenjahr schon fast rum, außer es gibt Waldhonig. Der verlängert die Saison bis in den August. Ab August, aber wirklich erst ab da, sei es, so Uwe Weingärtner, in den letzten Jahren längst üblich gewesen, dass der Imker seine Bienen wieder versorgen musste.
Es war zu kalt: Die Bienen konnten nicht fliegen, die Blüten hatten keinen Nektar
In diesem Jahr aber war alles noch mal ganz anders: Bienen – Honig- und Wildbienen – haben’s in unserer aufgeräumten, durchorganisierten Landschaft ohnehin schon schwierig. Es fehlt an wildem Blühen.
In diesem Frühjahr allerdings konnten die Bienen nicht einmal von den Blüten profitieren, die zu dieser Jahreszeit üblicherweise üppig vorhanden sind. Zur Obstbaumblüte war es kalt. Der Deutsche Wetterdienst rechnete für den März in Baden Württemberg eine Durchschnittstemperatur von 4,8 Grad Celsius aus, für den April 6,6 Grad, für den Mai nur 10,3 Grad Celsius. Und es regnete. Bei einem solchen Wetter fliegen die Bienen nicht aus. Und wenn sie sich doch mal in die paar vereinzelten Sonnenstrahlen hinausgewagt haben: Wenn die Temperatur nicht bei mindestens 17 Grad liegt, haben die Bäume zwar Blüten. Aber sie produzieren keinen Nektar.
Das Frühjahr war also nix – die Bienen litten Hunger, die Imker guckten zur Zeit der ersten Honigernte in leere Waben. Philipp Benz, stellvertretender Leiter des Veterinäramts und der Lebensmittelüberwachung, also dienstlich mit den Bienen zugange und privat dazu auch noch selbst Imker, spricht von „Läbberlestracht“. Das ist urschwäbisch, kommt von „läbbern“, also kleckern und bedeutet beim Honig: leider nichts zu holen.
Der Sommer? Total verregnet
Und der Sommer wurde nicht besser. Es regnete.
Wer Waldhonig ernten will, braucht Läuse. Läuse sind Sensibelchen. Die schnellen Temperaturwechsel im Sommer, sagt Moritz Berlin – erst 30 Grad, dann kalter Regen – das würden die Tiere nicht überleben. Und überhaupt dürfe es, sagt Heidrun Rilling-Mayer, zu bestimmten Zeiten überhaupt nicht regnen. Sonst spült’s die Tiere mitsamt ihren süßen Ausscheidungen von den Nadeln.
Waldhonig gebe es sowie so nicht jedes Jahr, sagt Heidrun Rilling-Mayer. Aber üblicherweise haben die Bienen zur Blüten- und Blumenzeit die Chance, ihren Nektar zu sammeln. Wenn’s auch mal regnet zwischendurch, in normalen Jahren scheint dann auch wieder die Sonne. 2021 war aber alles anders.
2021 kam’s sogar zu einem Ereignis, das es eigentlich gar nicht gibt. Normalerweise teilen sich Bienenvölker im Frühsommer. Dann, wenn die Mitglieder des Bienenstaates zu zahlreich und die Bedingungen in der Welt perfekt sind, um sich hinaus ins Neue zu begeben und einen neuen Staat zu gründen. In diesem Sommer schwärmten keine Bienen. In diesem Jahr, sagt Heidrun Rilling-Mayer, war es für die Imker sogar sehr schwer, ihre Völker gezielt und gewollt zu vermehren. Selbst die Begattung der Königinnen sei schon ein Problem gewesen.
Seltenes Phänomen: Der Hungerschwarm
Im August aber, zu der Zeit, in der die Bienen eigentlich schon wieder gemütlich werden, in der die Imker schon anfangen, ihre Völker auf den Winter vorzubereiten, wurden die Fachleute vom Bezirksimkerverein Waiblingen tatsächlich zu einem Schwarm gerufen. Einem Bienenschwarm. „Das passiert normalerweise nicht“, sagt Heidrun Rilling-Mayer. Sie bezeichnet dieses Phänomen als „Hungerschwarm“. Der Auszug eines Teils des Volks war vermutlich der verzweifelte Versuch zu überleben. Das halbe Volk, das im Stock zurückbleibt, hat dann trotz der geringen Menge genug Vorrat, um durch den Winter zu kommen. Das halbe Volk, das auszieht, hofft auf bessere Bedingungen anderswo.
Die Gefahr, dass der gute Imkerhonig fürs Frühstücksbrot ausgeht, besteht im Übrigen nicht unbedingt. Denn im vergangenen Jahr sei die Honigernte fantastisch gewesen. Und da Honig ein Lebensmittel ist, das sich sehr gut und sehr lange hält, können viele Imker noch auf Vorräte zurückgreifen.