Rems-Murr-Kreis

EU-Abgeordneter Lars Patrick Berg: "Die AfD ist eine Altpartei geworden"

Lars Patrick Berg
Lars-Patrick Berg, vormals bei der AfD, will bei der Europawahl 2024 mit der Partei „Bündnis Deutschland“ antreten. © Benjamin Büttner

Einer wie er musste unweigerlich mit seiner AfD über Kreuz geraten irgendwann; aber wer die Partei verlässt, kommt woanders politisch auf keinen grünen Zweig mehr, das ist Gesetz. EU-Parlamentarier Lars Patrick Berg, 57, will es brechen – er ging und sucht nun die zweite Chance in einer brandneuen Partei ... Porträt eines gründlich Desillusionierten, der gleichwohl Hoffnung hegt.

Den ihm Wohlgesonnenen in der AfD galt er als „Gentleman“: Berg fiel immer (fast immer, dazu später mehr) durch seinen grundbürgerlichen Ton auf; war früher in Sigmaringen Referent des CDU-Landrats; trinkt Earl-Grey-Tee mit Milch. 2013 trat er in die frisch gegründete AfD ein, damals noch ein Club der Professoren. Mit diesen Wirtschaftsweisen eine konservative Kraft etablieren, rechts von der Merkel-CDU, aber immun gegen Grobianismus: Das klang, fand Berg, nach einer guten Idee.

Die AfD träumt vom EU-Austritt, das ist "töricht"

2016 zog er in den baden-württembergischen Landtag ein; es folgte die erste Ernüchterung: Man meinte ihm manchmal fast die Scham anzusehen, wenn neben ihm die AfD-Fraktionskollegen Stefan Räpple und Heinrich Fiechtner pöbelten.

Und so war es, als Berg 2019 ins Europaparlament wechselte, wohl nicht nur ein Karrieresprung, sondern auch eine Flucht. Fortan ließ er sich regelmäßig im Rems-Murr-Kreis blicken: In Korb hatte er sein Deutschland-Büro.

Er agierte in Brüssel nicht wie einer, der den verhassten Laden von innen raus zersetzen will, er ließ nie einen Zweifel: Bei all den Mängeln, die diese EU hat – vom Dexit zu träumen wie nicht wenige in der AfD, sei „töricht“ und „sehr gefährlich“.

Vom Glauben abgefallen: Lars-Patrick Berg und die AfD

Ein Wirtschaftsexperte um den anderen türmte im Frust oder wurde rausgeekelt, mit jedem Machtkampf rückte die Partei weiter nach rechtsaußen – Berg blieb. Solange es Leute wie ihn gibt, kann die AfD womöglich doch noch vernünftig werden, sagten die Milden. Der ist doch nur eines dieser bürgerlichen Feigenblätter, ätzten die Strengen, dafür gibt der sich her und wird mit einer hoch dotierten Karriere belohnt, der Opportunist.

Einmal langte auch Berg zu: Um im internen Rennen einen guten Listenplatz für die EU-Wahl 2019 zu ergattern, forderte er in einer Rede, Europa müsse „eine Festung“ sein gegen „Messerstecher und Vergewaltiger“. Es klang wie eingeübt, um die Radikalinskis zu umgarnen, ohne deren Stimmen schon längst nichts mehr ging. Solche Töne aber blieben die Ausnahme. Zu denen, die täglich die Bestie füttern, gehörte Berg nie.

2020 sagte er: „Ich glaube immer noch an das Projekt.“ Er klang da schon, als müsse er sich zum Glauben zwingen. Und schob nach: Angenommen, er würde jetzt austreten – „mit meiner Vita und meinem Alter wird es schwieriger, auf dem Arbeitsmarkt wieder einzusteigen“. Wer nähme schon einen Ex-AfDler Mitte 50? Die Ehrlichkeit, mit der er seinen Zwiespalt gestand, war entwaffnend.

Nur ein Jahr später trat er dann doch aus.

"Aggressive Verteilungskämpfe", ein "diskreditiertes Projekt": Berg über die AfD

Heute sagt er über die AfD: „Ein Teil des Personals ist für parlamentarische Arbeit nicht geeignet. Valide Lösungen? Mangelware.“ Manche wollten „die Revolution am liebsten schon vorgestern“.

Und längst sei die AfD selber zu dem geworden, was sie anderen zu sein vorwerfe: eine „Altpartei“ voller „höchst unschöner und auch aggressiver Verteilungskämpfe, wenn es um Mandate und Ämter geht“. Die AfD sei ein „diskreditiertes Projekt“.

Der bequeme Wiedereinzug ins EU-Parlament bei der Wahl 2024 über einen sicheren AfD-Listenplatz ist damit passé . Wobei: Womöglich hätten sie ihn sowieso nicht noch mal nominiert – er hat schon 2019 ein Papier gegen den Personenkult um Björn Höcke unterschrieben, spätestens ab da galt er dem rechten Flügel als einer von den „Lauwarmen“, den „Systemlingen“.

Bündnis Deutschland, oder: Klappt diesmal, was nie geklappt hat?

Aber Lars Patrick Berg hat einen Plan: Mit einer neuen Partei – dem „Bündnis Deutschland“, erst vor ein paar Monaten gegründet – will er es doch noch einmal nach Brüssel schaffen. „Im modernen Sinne konservativ“ wollen sie sein, „glasklar pro-europäisch, pro Nato“. Es gebe da eine Leerstelle im Politspektrum: Das Bündnis Deutschland soll ein Angebot sein an alle, die sich in der „programmatisch ausgemergelten“ CDU nicht mehr zu Hause fühlen, aber sagen: AfD wählen, nee. Er spüre, sagt Berg, „großen Hunger“ nach solch einer „konservativen Kraft“.

Auf den ersten Blick wirkt der Plan fast mitleiderregend. Denn bislang ist, wer auch immer die AfD verließ, um woanders an alte Erfolge anzuknüpfen, zuverlässig auf die Nase gefallen.

Bernd Lucke versuchte es mit den Liberal-Konservativen Reformern (auch Berg schloss sich ihnen für anderthalb Jahre an) – bei der Landtagswahl in Sachsen-Anhalt im Juni 2021 holte die Partei 475 Zweitstimmen.

Frauke Petrys „Blaue Partei“: ein legendärer Flop; 2017 gegründet, 2019 aufgelöst.

Und Jörg Meuthen ist beim Zentrum gelandet und haust nun quasi in einer historischen Ruine; die Partei ist bei Bundestagswahlen letztmals 2009 angetreten. Das Ergebnis damals, gerundet: 0,0 Prozent.

Das Bündnis Deutschland und die Sperrklausel

Bündnis Deutschland für Europa? Ausgeschlossen ist es dennoch nicht. Die Familienpartei hat auch einen in Brüssel sitzen – 2019 reichten ihr dafür 0,7 Prozent. Es gab ja keine Fünf-Prozent-Hürde. Falls sich Bundestag und Bundesrat aber vor 2024 jeweils mit Zweidrittelmehrheit für die Europawahl auf jene Drei- oder Vier-Prozent-Sperrklausel einigen sollten, die derzeit im Gespräch ist, ginge für Bergs Hoffnungen das Rollgitter rasselnd runter.

Nun gut, ihm sei klar, dass es nicht einfach wird. Er habe immer gewusst: Es kostet seinen Preis, der AfD den Rücken zu kehren. Er sagt es nicht ausdrücklich, aber es klingt doch durch: lieber ehrenvoll scheitern als ehrlos weiterwurschteln.

Einer wie er musste unweigerlich mit seiner AfD über Kreuz geraten irgendwann; aber wer die Partei verlässt, kommt woanders politisch auf keinen grünen Zweig mehr, das ist Gesetz. EU-Parlamentarier Lars Patrick Berg, 57, will es brechen – er ging und sucht nun die zweite Chance in einer brandneuen Partei ... Porträt eines gründlich Desillusionierten, der gleichwohl Hoffnung hegt.

Den ihm Wohlgesonnenen in der AfD galt er als „Gentleman“: Berg fiel immer (fast immer, dazu später mehr)

Alle Abos jederzeit kündbar:
ZVW+ MONATLICH
Erster Monat gratis, danach 6,99 €/mtl.
ZVW+ JÄHRLICH
Statt 83,88 € (Zwei Monate gratis)
ZVW+ JÄHRLICH mit ePaper
mit täglichem Zugriff zum ePaper
VG WORT Zahlpixel