Saure Nierle mit Trollinger nachts um drei: Leckeres aus Rems-Murr-Automaten

Die Kaugummiautomaten – wer erinnert sich an sie? Dieser wunderbare Drehmoment! Klick, klack, und schon rollte eine riesige, türkisfarbene Kaukugel in die Ausgabeschale.
Gibt’s heute kaum noch, Kaugummiautomaten dieser Art. Heute holt der Mensch aus ganz anderen Automaten viel mehr als nur Kugeln zum Kauen. Maultaschen zum Beispiel oder Trollinger, saure Kutteln oder Schokoladeneis, Entensoße oder Landwein in der handlichen Viertelliter-Flasche. Ein regelrechter Trend brach los, als die Kundschaft coronabedingt ausblieb und sowohl Gastronomen als auch Weinbaubetriebe nach kontaktfreien Verkaufslösungen suchten. Die Automaten-Idee war zuvor schon geboren, doch nun nahm sie Fahrt auf.
17 Standorte sind aufgelistet
Unterm Stichwort „Selbstbedienungsstationen“ listet der Verein Remstal-Tourismus mittlerweile 17 Adressen auf. An jedem Tag der Woche können Kundinnen und Kunden zu jeder beliebigen Uhrzeit an Weinverkaufsautomaten in Großheppach, Strümpfelbach, Rommelshausen, Schnait oder andernorts ein Fläschchen Trollinger oder Regent Rosé oder Ähnliches erstehen. Eis gibt’s rund um die Uhr automatengekühlt in Kleinheppach, Beinstein oder Geradstetten – und an weiteren Standorten. Hungrige wenden sich an „Gustomaten“: der Ochsen in Stetten hat einen solchen aufgestellt. Oder das „Lamm“ in Schornbach.
Zu den Gustomaten-Pionieren zählt zweifelsohne Robert Lenz, der Inhaber des „Türmle“ in Gundelsbach. Bereits bevor sich viele andere zur Investition in einen Freiluft-Kühlschrank durchringen konnten, hatte Lenz Nägel mit Köpfen gemacht – und profitiert davon. Es scheint sich über Weinstadt hinaus herumgesprochen zu haben, dass man vorm Gundelsbacher „Türmle“ Peitschenstecken aus dem Automaten ziehen, vakuumverpackte Maultaschen, saure Nierle, Kutteln oder hausgemachte Entensoße in Dosen kaufen kann. 400 Gramm saure Kutteln sind für fünf Euro zu haben, sechs Maultaschen für sieben Euro, die Dose saure Nierle kostet 5,50 Euro.
„Sehr gut“ läuft der Automatenverkauf, berichtet Robert Lenz. Der Automat schluckt Strom, im Sommer noch viel mehr als jetzt, doch trotz der hohen Energiepreise lohnt sich dessen Betrieb, so der Gastronom. Ihm macht’s richtig Spaß zu beobachten, wie Leute draußen vorbeigehen, den Automaten entdecken – und freudig zugreifen: „Wir würden lang nicht so viel verkaufen, wenn wir den Automaten nicht hätten.“
Zwei Sofas für Wandersleute: Rast mit Wein aus dem Automaten
Erfolgsmeldungen dieser Art kann Hermann Stilz bisher nicht bieten – noch nicht. Sobald das Wetter schöner wird, dürften aber in der Wiesentalstraße 53 in Schnait wieder mehr Wandersleute vorbeikommen, für die Stilz gleich zwei Sofas unterm Dach des schmucken Holzhauses platziert hat. Wer mag, kann dort rasten, sein mitgebrachtes Vesper auspacken – und dazu einen Wein aus dem Automaten genießen. Mineralwasser gibt’s auch. Ferner einen 2017er Trollinger-Lemberger in der Literflasche für sechs Euro, ungeschwefelten Perlwein im 0,75-Liter-Behältnis für 14 Euro oder einen Regent Rosé in der handlichen Abfüllung im Vierteles-Format. Kostenpunkt in diesem Fall: vier Euro.
Wein enthält Alkohol, weshalb ein Alters-Check vonnöten ist: Man zieht den Personalausweis oder Führerschein durch eine Vorrichtung; Raucher kennen das Prozedere von Zigarettenautomaten.
Mit Bargeld oder Karte zahlt die Kundschaft wahlweise. Am Gundelsbacher Gustomaten verkneife man sich zu lange Trödelei: „Klappe schließt nach 30 Sekunden“, steht dran, und wer mit Karte zahlen will, muss erst dieselbe ans Lesegerät halten, dann die gewünschte Fachnummer eingeben – und die Karte erneut hinstrecken, bis es piept. Selbst mitten in der Nacht lässt sich das Prozedere problemlos durchlaufen, denn Robert Lenz hat ein Licht installiert, das sich automatisch einschaltet.
Ein Schwätzchen halten mit dem Inhaber
„Manche Automaten sind sogar mit Gläsern bestückt, so dass einer spontanen Weinprobe oder einem Picknick nichts mehr im Weg steht“, informiert der Verein Remstal-Tourismus. Und an manchen Automaten trifft man mit etwas Glück sogar auf Menschen: Hermann Stilz wird sich’s jedenfalls nicht nehmen lassen, ein Schwätzchen mit Gästen zu halten, die es sich auf einem der Sofas vorm Weingut Wissmann-Stilz bequem gemacht haben. Vor einer Weile hatte sich dort eine Gruppe niedergelassen, die mit sehr leichtem Gepäck unterwegs war – wohl wissend, sie würde sich an Automaten unterwegs mit allem Nötigen eindecken können. Sogleich war der Titel geboren für diese außergewöhnliche Tour des Tages: Automatenwanderung.