Skandal-Urteil zu rechten Chats: Warum „Kontext“ für uns alle kämpft (Kommentar)
Stuttgart/Frankfurt. In einem jahrelangen Rechtsstreit mit einem ehemaligen Mitarbeiter zweier AfD-Landtagsabgeordneter hat die „Kontext“-Wochenzeitung kürzlich vor Gericht eine Niederlage hinnehmen müssen. Das Urteil ist nicht nur bemerkenswert, es ist ein Skandal, findet unser Redakteur Alexander Roth. Es sägt an den Grundfesten journalistischen Arbeitens. Bleibt es bestehen, verlieren wir alle.
Menschenverachtend: Die Chats eines Mitarbeiters zweier AfD-Politiker
„Democracy dies in Darkness“ – „Demokratie stirbt in Dunkelheit“. Diesen Slogan hat sich angeblich Amazon-Chef und „Washington Post“-Eigentümer Jeff Bezos für seine Zeitung einfallen lassen. Ironisch, dass ausgerechnet einer der Totengräber des Journalismus in den USA so einen genialen Einfall hatte, aber es ändert nichts am Wahrheitsgehalt des Satzes. Journalismus ist, wenn man so will, die Taschenlampe, die jene Ecken der Realität ausleuchtet, die sonst im Dunkeln geblieben wären. Das ist seine Kernaufgabe.
Die „Kontext“-Wochenzeitung kommt dieser Aufgabe seit Jahren wie kaum ein anderes Medium in der Region Stuttgart nach. So auch im Mai 2018, als Chefredakteurin Anna Hunger über die menschenverachtenden Chat-Nachrichten eines Rechtsextremisten berichtete, der zu dieser Zeit für zwei AfD-Landtagsabgeordnete arbeitete. „Kontext“ machte die Nachrichten öffentlich, nannte den Urheber beim Namen – und direkt ging die erste Klage ein. Der Rechtsextremist wollte mit den Zitaten nicht namentlich in Verbindung gebracht werden, die Chats seien außerdem manipuliert. Seitdem befindet sich „Kontext“ im Rechtsstreit mit dem Rechtsextremisten.
Rechtsstreit mit einem Rechtsextremisten: Wie Gerichte urteilten
2018 befand das Landgericht Mannheim, der Kläger sei im Recht. „Auch, weil sich das Gericht in einem Eilverfahren nicht mit unseren Beweisen auseinandersetzen wollte und forderte, die Quelle der Informationen offenzulegen“, schreibt „Kontext“. Behalten wir das im Hinterkopf.
Die Kolleginnen und Kollegen legten Einspruch ein. Das Oberlandesgericht Karlsruhe gab ihnen recht. Das öffentliche Interesse, das in diesem Fall bestehe, erlaube bei der Berichterstattung auch die Namensnennung, hieß es 2019. Die zuständige Pressekammer habe 17.000 Seiten Chats gesichtet, so „Kontext“ – sich also intensiv mit der Recherche auseinandergesetzt. Der Schluss: „ Das Gericht sieht es als hinreichend glaubhaft gemacht an, dass die im Rechtsstreit vorgelegten Chatprotokolle authentisch sind.“
Oberlandesgericht Frankfurt: Quatsch-Argument wird zum Verhängnis
Im Dezember 2022 ging der Rechtsstreit in die nächste Runde. Diesmal zuständig: Das Landgericht in Frankfurt (Main). Wieder wurde sich mit den Inhalten auseinandergesetzt, sogar ein IT-Sachverständiger wurde herangezogen. Wieder kam das Gericht zu dem Schluss, dass hier sorgfältig recherchiert wurde und die Chats authentisch sind. „Mit ihrer Berichterstattung nehmen sie die klassische Aufgabe als Presseorgan im Sinne eines ’Wachhunds der Öffentlichkeit’ wahr“, heißt es im Urteil.
Und dann kam alles anders. Die nächste Instanz, das Oberlandesgericht Frankfurt, entschied im Februar 2025 gegen „Kontext“. In seiner Urteilsbegründung hebt das Gericht vor allem eine Sache hervor: Dass Anna Hunger ihre Quelle nicht offenlegen wollte. Wir erinnern uns: Dieses Quatsch-Argument hatte zuvor schon das Landgericht Mannheim im Eilverfahren vorgebracht.
Quellenschutz: Warum Journalismus ohne nicht funktioniert
Warum Quatsch-Argument? Investigativer Journalismus funktioniert vor allem über Informanten – also Menschen, die uns auf Missstände hinweisen, uns Informationen zuspielen. Vertraulich. Diese Menschen können sich darauf verlassen, dass wir unsere Quellen nicht preisgeben. Dieser Informantenschutz hat quasi Verfassungsrang, leitet er sich doch direkt aus der im Grundgesetz verankerten Pressefreiheit ab. Dieser Schutz gilt auch dann, wenn die Quelle ihre Informationen rechtswidrig beschafft haben sollte.
Das ist eigentlich auch nicht schwer zu verstehen: Wer sensible Informationen an die Presse weitergibt, geht oft ein hohes persönliches Risiko ein. Wenn rauskommt, dass man das getan hat, können negative Folgen drohen – Kündigung, soziale Ächtung, körperliche Gewalt, sogar der Tod, je nach Fall. Wäre die Anonymität nicht gewährleistet, würden diese Informationen die Presse vermutlich nie erreichen. Wir alle würden weniger wissen über die Welt, in der wir leben. Skandale würden nie aufgedeckt. Schaden, den man hätte abwenden können, würde angerichtet werden. Und die wirklich, wirklich wichtigen Geschichten, die, für die wir Journalismus unbedingt brauchen, würden weiter im Dunkeln bleiben. Geschichten wie die, für die „Kontext“ vor Gericht gezerrt wurde.
„Das geht einfach gar nicht“: Was „Kontext“ jetzt vorhat
„Wir von Kontext müssen 25.000 Euro an einen Rechtsextremisten zahlen“, sagt Chefredakteurin Anna Hunger in einem auf Instagram veröffentlichten Video. „Das schmerzt ganz schön.“ Die Redaktion wolle das „so nicht stehen lassen“, sagt sie. Das Oberlandesgericht Frankfurt möchte eine Revision des Verfahrens nicht zulassen. Der Fall habe keine „grundsätzliche Bedeutung“. Doch genau das hat er: Sollte dieses Urteil Bestand haben, ist das ein herber Schlag für den investigativen Journalismus in Deutschland. Das Signal: Ein Gericht bestraft eine Journalistin, weil sie ihre Arbeit richtig macht und ihre Quelle nicht preisgibt.
Müssen sich Redaktion bei investigativen Recherchen jetzt vorab fragen, ob sie sich den Quellenschutz überhaupt noch leisten können? Sind künftig nicht mehr die Informationen selbst und deren sorgfältige Überprüfung für die Glaubwürdigkeit unserer Arbeit entscheidend, sondern die Bereitschaft, im Zweifel alle Prinzipien über Bord zu werfen? Entscheidet der Geldbeutel, wie brisant die Informationen sein dürfen, denen wir nachgehen können? Sollen wir es einfach gleich lassen? Um es mit den Worten von Anna Hunger zu sagen: „Das geht einfach gar nicht.“
Bringt der Bundesgerichtshof Klärung? Ohne Unterstützung wird es schwierig
„Kontext“ will jetzt vor den Bundesgerichtshof ziehen. „Das kostet nicht nur Zeit und Nerven, sondern vor allem Geld.“ Geld, das nicht einfach da ist. Die gemeinnützige Wochenzeitung finanziert sich aus Spenden. Ohne finanzielle Unterstützung wird es schwierig, das Vorhaben zu stemmen. Das sollte nicht nur Menschen beunruhigen, die selbst journalistisch tätig sind. Die Welt ist auch so schon dunkel genug.
Wer Kontext mit einer Spende bei dem Vorhaben unterstützen möchte, kann das per Überweisung auf folgendes Konto bei der GLS Bank tun: Kontext Wochenzeitung, Stichwort „Aufrecht gegen rechts“, IBAN: DE80 4306 0967 7011 8506 00, BIC: GENODEM1GLS