Rems-Murr-Kreis

Terror und Existenzangst: Verein "Buntes Meißen" durch Rechtsextremismus bedroht

Ortsschild Meißen
Der Verein "Buntes Meißen" sieht sich aktuell einer Welle von Drohungen ausgesetzt. Und das ist nicht das einzige Problem, das die Verantwortlichen umtreibt. © picture alliance / Zoonar | Zoonar.com/zoonar/Markus Hötzel

Der Verein „Buntes Meißen - Bündnis Zivilcourage e.V.“ im sächsischen Rems-Murr-Partnerlandkreis Meißen sieht sich zurzeit Angriffen an zwei Fronten ausgesetzt: Die Verantwortlichen werden ganz unmittelbar bedroht, auch einen Brandanschlag hat es zuletzt gegeben. Parallel dazu sägt die AfD-Mehrheit im Stadtrat an der Existenzgrundlage des Vereins. Dass beides gleichzeitig passiert, scheint kein Zufall zu sein, meinen die Verantwortlichen. Ein AfD-Stadtrat widerspricht. Die Chronik einer Eskalation.

Angriffe auf „Buntes Meißen“: Es begann mit Hass- und Drohschreiben

„Buntes Meißen“ setzt sich seit 2013 für Geflüchtete, gegen Rassismus und für ein demokratisches Miteinander ein. Mit Grillfesten, Fußballspielen, Sprachunterricht, Angeboten in einem „internationalen Garten“ und anderen Veranstaltungen schafft der Verein seit Jahren Räume, in denen sich Geflüchtete und alteingesessene Meißner begegnen können. Und geriet offenbar in den Fokus der extremen Rechten.

Ende September ging es los. Es seien „immer wieder bedrohliche und hasserfüllte Briefe“ hinterlassen worden, schreibt der Verein in einer Stellungnahme auf seiner Website. Darin zu finden: „Beleidigende Aussagen gegen Muslime und Ukrainer, schändliche Andeutungen von Hakenkreuzen sowie Symbole, die auf perfide Weise missbraucht werden, wie die Israelflagge.“

Hundekot, Granaten-Attrappe und Brandanschlag: Die Lage spitzt sich zu

Das war noch nicht alles. Mitte Oktober wurde das Vereinsschild am Eingang angezündet und Hundekot an ein Schloss geschmiert. Ende Oktober wurde eine Flasche vor dem Hauseingang abgelegt, die so umgebaut wurde, dass sie wie eine Granate aussieht. Der Staatsschutz ermittelt.

buntes meißen
Das angebrannte Vereinsschild. © Buntes Meißen

„Das Gift der Verleumdung und Diffamierung wirkt“, schreibt der Verein dazu. „Die Feinde einer offenen, vielfältigen Gesellschaft werden bestärkt durch Extremisten, die in Sachsen auch in der Politik Fuß gefasst haben.“ Die AfD ist im Stadtrat stärkste Kraft. Einem AfD-Stadtratsmitglied wird „aggressive Stimmungsmache“ gegen den Verein vorgeworfen. Danach heißt es weiter, hätten die „eskalierenden Angriffe“ gegen „Buntes Meißen“ begonnen.

Was passiert da in Meißen? Pfarrer Bernd Oehler über die Hintergründe

Was genau ist vorgefallen? Bernd Oehler ist seit 25 Jahren evangelischer Pfarrer in der sächsischen Stadt. Zu DDR-Zeiten war er der Stasi ein Dorn im Auge, weil er sich in der Bürgerrechtsbewegung engagierte. Heute wird er von Rechtsextremisten bedroht. Mit uns hat er über die Hintergründe gesprochen.

In Meißen gebe es ein Stadtviertel, „das sehr viel Sozialarbeit braucht“, sagt Bernd Oehler. Dort lebe auch eine kleine Roma-Gemeinschaft. Gemeint ist das Triebischtal. Seit langem würden Vereine, Träger und Kirchen sich dort engagieren. Mitte September hatte die Stadt eine Konferenz einberufen, um aktuelle Probleme des Viertels zu erörtern. Angestoßen hatte die Debatte laut „Sächsische Zeitung“ AfD-Stadtrat René Jurisch, der die „bunten Vereine“ der Stadt in der Pflicht sah, für die Roma Integrationsarbeit zu leisten.

Debatte in Meißen: Will die AfD sich inszenieren?

„Nach der Veranstaltung habe ich einem AfD-Stadtrat gesagt, dass wir uns einbringen“, so Oehler. Daraufhin habe es einen Brief des Mannes gegeben, in dem vorgeschlagen wurde, man könne doch einen gemeinsamen Termin ausmachen. „Der Brief ging direkt auch an die Zeitung, das fand ich seltsam“, sagt Oehler. Er witterte eine Inszenierung. Außerdem hatte man sich im Vorfeld darauf geeinigt, dass die Stadt Meißen das weitere Vorgehen koordiniert. „Ich habe deshalb geantwortet, dass ich das aus zeitlichen und organisatorischen Gründen gerne der Stadt überlassen würde und wir uns auf dieser Ebene gern weiter beteiligen.“

Kurz danach, so erzählt es Oehler, hätten die Angriffe auf seinen Verein begonnen. Einen inhaltlichen Zusammenhang zwischen den Drohschreiben, die eingingen, und dem Austausch mit der AfD, gebe es nicht. Der Staatsschutz ermittelt.

René Jurisch: Ein AfD-Stadtrat mit NPD-Vergangenheit

Oehler und der Verein nennen nie einen Namen, wenn es um den AfD-Stadtrat geht, dem sie „aggressive Stimmungsmache“ vorwerfen. Unseren Recherchen zufolge handelt es sich hier um den bereits erwähnten René Jurisch. Die AfD und Jurisch selbst machten einen Auszug aus dem Austausch mit Oehler am 23. September auf Facebook öffentlich. In den Kommentaren wird Stimmung gegen den Verein gemacht. „Deutschfeindlich“ sei er. Die AfD stimmt zu.

Jurisch ist Bauunternehmer. Er gehörte um die Jahrtausendwende zur NPD-Führung in Meißen. Nachdem er die rechtsextreme Partei im Streit verließ, gründete er den "Verein zur germanischen Brauchtumspflege Schwarze Sonne Meißen e. V." – und geriet erneut in den Fokus des Landesamtes für Verfassungsschutz. Seinem Verein gehörten einem Bericht der „Sächsischen Zeitung“ zufolge „etliche Mitglieder“ aus dem NPD-Umfeld an. Jurisch sagte damals, man wolle „alte Bräuche pflegen“. Doch schon der Name des Vereins lässt aufhorchen: Bei der „Schwarzen Sonne“ handelt es sich um ein Symbol, das im Nationalsozialismus vor allem von der SS verwendet wurde. Es ähnelt übereinandergelegten Hakenkreuzen.

Förderung für „Buntes Meißen“: Auf Antrag der AfD gestrichen

Heute sitzt Jurisch für die rechtsextreme AfD im Stadtrat. Zu den Angriffen auf den Verein "Buntes Meißen" sagt er auf Nachfrage: "Den Vorwurf der aggressiven Stimmungsmache weisen wir vollumfänglich zurück. Wir lehnen Bedrohung, Sachbeschädigung und Gewalt im politischen Diskurs ab und verbitten uns, damit in Verbindung gebracht zu werden." Richtig sei, dass es einen Austausch mit Oehler gegeben habe, und dass der Verein nicht an einem vorgeschlagenen weiteren Termin interessiert gewesen sei. Das deckt sich mit Oehlers Darstellung. Jurisch vermutet, das könnte mit einem Antrag zusammenhängen, den er eingebracht habe. Oehler widerspricht: Das passe zeitlich nicht zusammen, der Antrag sei nach der Absage erst Thema gewesen. Worum geht es genau?

Anfang Oktober wurde im Stadtrat Meißen beschlossen, welche Projekte im Rahmen EU-Förderprogramms „Nachhaltige soziale Stadtentwicklung“ Gelder erhalten sollen. „Wir hatten einen ziemlich ambitionierten Vorschlag“, sagt Bernd Oehler. Im Triebischtal gebe es „einen hohen Anteil an nicht arbeitstätigen Menschen“, die Unterstützungsleistungen beziehen. Man wollte diesen Menschen in einer umgebauten alten Gärtnerei „die Möglichkeit geben, sich dort einzubringen“. Ziel sei es, diese Menschen zu integrieren, sie an Arbeit und Bildung heranzuführen. Auf Antrag der AfD strich der Kulturausschuss der Stadt das Projekt aus dem ursprünglichen Antrag. „Buntes Meißen“ sollte keine Fördermittel bekommen.

"Das ist bitter": Pfarrer Oehler hofft auf Solidarität

René Jurisch begründete das in einem Facebook-Video damit, dass man „keine weiteren Hotspots“ schaffen wolle. Auf Nachfrage unserer Redaktion sagt er außerdem, einem anderen gemeinnützigen Verein sei so eine Förderung zugutegekommen. Es habe ein "Kompromissangebot in erheblicher Höhe" gegeben, trotzdem sei "Buntes Meißen" am Ende leer ausgegangen. "Dies ist ein zutiefst demokratischer und normaler Vorgang, der entsprechend sachlich begründet worden ist, was übrigens andere Fraktionen ebenso gesehen haben." Widerspruch zum AfD-Antrag kam laut "Sächsische Zeitung" von Vertretern der SPD und CDU

„Die Stadt kennt uns seit Jahren als integren Verein“, sagt Bernd Oehler. „Dann kommt die AfD und sagt: Das kriegen die nicht – und da war es plötzlich vom Tisch, was erschreckend ist.“ Für den Verein „Buntes Meißen“ habe das enorme finanzielle Schwierigkeiten zur Folge. Das Kompromissangebot sei "sachlich nicht hinreichend" gewesen, das geplante Projekt damit "nicht durchführbar, auch nicht andeutungsweise". Der Pfarrer hofft auf die Solidarität der Menschen. „Wenn also jemand sagt, ich möchte eine engagierte Initiative, die sich für Zivilcourage im Osten einsetzt, unterstützen – dann freuen wir uns riesig“, sagt er. Möglichkeiten dazu hat der Verein auf seiner Website aufgelistet. „Ich habe zwei bestens eingearbeitete Mitarbeiter, die ich am 1. Januar kündigen muss. Und das ist bitter.“

AfD attackiert Vereine: Was in Meißen passiert, hat System

Was in Meißen passiert, ist kein Einzelfall. Bundesweit sehen gemeinnützige Vereine und Stiftungen ihr Engagement durch die AfD bedroht, Demokratieprojekte berichten, dass sie gezielt von der rechtsextremen Partei attackiert werden. Der Fall „Buntes Meißen“ mag wegen der zusätzlichen Bedrohungslage ein besonders krasses Beispiel sein, aber es ist eines von vielen.

Am Wochenende vom 9./10. November wurde laut „Sächsische Zeitung“ das Vereinsschild von „Buntes Meißen“ beschmiert – der nächste Vorfall. Pfarrer Oehler und seine Mitstreiter wollen sich nicht einschüchtern lassen. Trotz allem.

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