ADHS auf Tiktok und Co.: Was ein Psychologe zum Social-Media-Trend sagt
Die Social-Media-Plattformen Tiktok und Instagram sind voll damit: Videos zu Themen über die mentale Gesundheit oder zu psychischen Erkrankungen. Eine Diagnose scheint in jüngster Zeit aber viel öfter in den Videos der Content-Creators vorzukommen: ADHS (Aufmerksamkeitsdefizit-/Hyperaktivitätsstörung). Ist die Erkrankung durch millionenfach geklickte Videos in den sozialen Medien zu einer Modekrankheit geworden? Wir haben uns mit Leon Schäfer-Kaupp vom Psychologischen Institut Anke Kaupp mit Praxen in Stuttgart und Schorndorf gesprochen. Was er über Pseudopsychologie auf Social Media hält, ob ADHS eine "Trenddiagnose" ist und was er Personen rät, die sich in solchen Videos wiederfinden.
ADHS ist kein Spaß: Wie ein roter Faden, der sich durchs Leben zieht
Schaut man sich die unzähligen Videos zu diesem Thema an, könnte man meinen, ein Großteil der Content-Creators ist an ADHS erkrankt. Doch stimmt das? „Ich beobachte den „Trend“ ehrlich gesagt nicht,“ so Schäfer-Kaupp. „Es ist im Gegensatz zu dem – was uns häufig suggeriert wird – kein Spaß, mit dieser Wahrnehmung leben zu müssen.“
Unserer Redakteurin wurden derart viele Videos auf Tiktok und Instagram ausgespuckt, dass sie selbst kurz davon überzeugt war, an ADHS zu leiden. Einige genannte Verhaltensweisen treffen ab und an auch auf sie zu. Besteht jetzt Grund zur Besorgnis? Hier ein paar eher abstraktere Beispiele als die gängigen und bekannten ADHS-Merkmale, die in solchen Videos vorkommen: In einen Raum gehen und vergessen haben, was man machen wollte, den Plot einer Serie voraussehen können, Menschen öfter ungewollt beim Sprechen unterbrechen oder auch Textnachrichten nur im Kopf beantworten, ohne diese wirklich abzuschicken. Erkennen Sie sich vielleicht auch in einigen Punkten wieder?
Schäfer-Kaupp gibt an dieser Stelle zu verstehen, dass „ADHS kein Verhalten hervorruft, welches bei anderen Menschen nie vorkommt." Der Unterschied sei hier, dass es sich bei Betroffenen wie ein roter Faden durch praktisch alle Lebensbereiche ziehe. Dabei kämen die Situationen derart häufig vor, dass es die Lebensqualität beeinflusse und diese auch nicht durch bloßen Willen wieder verschwinden.
Offen über psychische Gesundheit sprechen immens wichtig
In die Praxis von Anke Kaupp kommen immer mehr Personen, die eigene Verhaltensweisen in Videos auf Social-Media-Plattformen wiedergefunden haben. „Offen über psychische Gesundheit zu reden, ist meiner Meinung nach immens wichtig,“ so Schäfer-Kaupp. Das über soziale Kanäle zu tun, sei dabei nicht verkehrt, nur sollte man hierbei stets wachsam bleiben, da es auf Social Media in erster Linie um Reichweite und Klicks gehe. Besonders schwierig finde er es, wenn sich Personen selbst diagnostizieren: „Eine ADHS-Diagnose ist nichts, was man nach ein paar Sekunden stellen kann oder sollte,“ so Schäfer-Kaupp.
Offen über psychische Erkrankungen zu sprechen - sei es über Social-Media-Kanäle oder mit Familie und Freunden - hat in den letzten Jahren deutliche Fortschritte gemacht. Auch Psychologe Schäfer-Kaupp beobachtet hierbei einen positiven Trend. „Die Hemmschwelle ist in den letzten Jahren Gott sei Dank geringer geworden.“ Das helfe Betroffenen sehr, sich mit ihren Themen nicht allein gelassen zu fühlen. Auf der einen Seite sei die Akzeptanz zwar diesbezüglich gewachsen, es berge aber auch viel Potenzial für Falschinformationen, weiß Schäfer-Kaupp, denn: Influencer sind in den meisten Fällen keine Psychologen.
Stigmata über ADHS und psychische Erkrankungen immer noch Problem
Neben "Internetdiagnosen" seien laut Schäfer immer noch existierende Stigmata über ADHS und generell über die psychische Gesundheit fast noch größere Probleme. „Für mich wäre es ein wichtiger Schritt, dass psychische Konstellationen aus der „Gruselecke“ verschwinden,“ so Schäfer-Kaupp über das Teilen von Videos zu diesem Thema.
Die Content-Creatorin von "kirmesimkopf" hat zum Thema ADHS auf Social Media ein Statement auf ihrer Instagram-Seite abgegeben. Sie leidet selbst unter ADHS und möchte mit ihren Videos Menschen sensibilisieren, die die Erkrankung als "Zappelphilipp-Phänomen" abtun und nicht als den Kampf sehen, der er in Wirklichkeit sein kann:
In Videos auf Tiktok wiedererkannt? Das rät der Psychologe
Psychologe Schäfer-Kaupp rät all denjenigen, die sich in solchen Videos wiederfinden, zunächst einmal auf seriösen Webseiten, außerhalb der Social-Media-Bubble, weiterzurecherchieren. Auch einen Selbsttest zu machen, kann ein erster Schritt in die richtige Richtung sein. Fündig werden kann man beispielsweise auf Webseiten von Selbsthilfegruppen oder auch Gesellschaften, die Forschung unterstützen. Eine letztendliche Diagnose stelle dann ein Psychologe oder Psychiater. "Wenn ich es also ganz sicher wissen möchte, suche ich mir einen Profi."