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Bier, Bratwurst, rechte Hooligans: Deutscher Fußball und Kolonialismus

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Symbolbild. © Jannik Skorna über unsplash.com

 "United by Football. Vereint im Herzen Europas" lautet das Motto der Europameisterschaft 2024, das Leitmotiv der Host City Stuttgart steht unter dem Hashtag #vereintfürstuttgart. Aber wie vereint ist der europäische Fußball wirklich? Wie rassistisch ist er? Wie viel Kolonialismus steckt noch in ihm? In seinem Buch "Spielfeld der Herrenmenschen" versucht der Journalist Ronny Blaschke Antworten auf diese Fragen zu finden. Für seine Recherchen war er unter anderem in ehemaligen Kolonien wie Brasilien, Indien oder Namibia, aber hat auch den deutschen Fußball untersucht. 

Kampagnen gegen Rassismus sind oft nur leere Hüllen

"Wir sind gegen Rassismus, wir sind für Vielfalt, das sind alles Parolen, die man schnell sagt, ohne viel darüber nachzudenken. Seit 30 Jahren haben wir diese Kampagnen, begonnen 1993 mit "Mein Freund ist Ausländer". Seitdem hangelt man sich von einer Kampagne zur nächsten. Das muss gebrochen werden", sagte Blaschke im Interview mit unserer Redaktion vor Beginn der EM.

Dabei triefe der Fußball auch noch 2024 vor Kolonialgeschichte. "In Brasilien werden Vereine gegründet, nur um Talente für Europa zu "produzieren". In Südafrika und anderen ehemaligen Kolonien werden Stadien teuer gebaut, um eine WM für fünf Wochen auszurichten. Unsere Trikots und Bälle, alles, was wir tragen, werden in Südostasien auch in ehemaligen Kolonien hergestellt", sagte Ronny Blaschke.

Französische und deutsche Sportfunktionäre nutzen Begriffe wie "Völkerverständigung" häufig, wenn sie über Fußball sprechen. Der Ursprung des Fußballs sei aber ohne Kolonialismus, ohne britische Soldaten, die Menschen in den Kolonien durch Sport "zivilisieren" wollten, nicht denkbar gewesen, so Blaschke.

Umso wichtiger sei es für ihn deshalb, dass diese (Fußball-)Geschichte aufgearbeitet wird. Die EM sei dafür ein guter Anlass.

Ronny Blaschke
Autor und Journalist Ronny Blaschke. © Sebastian Wells

Welche Verantwortung trägt der deutsche Fußball in Namibia?

In der ehemaligen deutschen Kolonie Namibia herrsche bis heute das Machtgefälle zwischen Armen und Reichen, zwischen Schwarzen und Weißen. Sport sei hier besonders stark an ökonomische Verhältnisse geknüpft. "Je teurer die Ausstattung für eine Sportart ist, desto wohlhabender sind deren Mitglieder", schreibt Ronny Blaschke.

Deutschland leistet laut Blaschke in Namibia so viel Entwicklungshilfe pro Kopf wie in kaum einem anderen Land. Die Abhängigkeit bleibe weiterhin bestehen, "inzwischen in freundlichem Gewand", schreibt Blaschke. Verhandlungen über Entschädigungen, eine deutsche Entschuldigung für den Völkermord an den Herero und den Nama oder die Arbeit an gemeinsamen Projekten laufen laut Blaschke nur zögerlich an. Der Fußball sei schon früh ein Symbol für die Entwicklungshilfe gewesen: Testspiele deutscher Jugendvereine fanden in Namibia statt, der ehemalige Trainer Klaus Stärk sollte die Strukturen des namibischen Fußballverbands ausbauen, Karl-Heinz Rummenigge nahm 1990 an einem "Unabhängigkeitsspiel" teil.

Um dieser postkolonialen Abhängigkeit entgegenzuwirken, hofft Blaschke auf gemeinsame Fußball-Projekte "auf Augenhöhe", auch wenn er diesen Begriff als Floskel erachtet. "Clubs wie Werder Bremen oder Hoffenheim sind in Namibia bereits teilweise aktiv gewesen. Daraus kann etwas erwachsen", sagte er.

Rassistische Stereotype beeinflussen den Mannschaftsaufbau

In "Spielfeld der Herrenmenschen" zitiert Ronny Blaschke Tina Nobis, die die Auswirkungen von Kolonialismus auf den Fußball erforscht. Laut Nobis prägt der Mythos der weißen Vorherrschaft bis heute das Machtgefälle und Körperbilder. Dass sich das auch im Fußball widerspiegelt, zeige das sogenannte "Racist Stacking". Die Forschungsergebnisse der Gruppe zeigen, wie vorurteilsbehaftet die Zusammensetzung von Mannschaften ist.

Die Ergebnisse: Im zentralen und defensiven Mittelfeld seien überproportional weiße Spieler vertreten. Diese Positionen werden meist mit Führungsqualitäten, Spielintelligenz und Weitsicht verbunden. Im Sturm und auf den Außenbahnen waren überproportional häufig schwarze Spieler vertreten. Diese Posten werden eher mit Kraft, Ausdauer und Temperament verbunden. Von 123 Torhütern der ersten und zweiten Bundesliga war keiner schwarz. Diese Stereotype tragen sich laut Blaschke nicht nur durch die Ebenen von Trainern und Managern, sondern werden auch von Kommentatoren und Sportmedien reproduziert.

Spiegelt sich Racist Stacking im deutschen Kader?

Wirft man einen Blick auf den deutschen Kader für die EM 2024 fällt auf: Die nominierten Spieler im Sturm und im Tor sind ausschließlich weiß. Die schwarzen Spieler Musiala im offensiven Mittelfeld sowie Sané auf der Außenbahn stützen die These ebenfalls. Die schwarzen Innenverteidiger Tah und Rüdiger dagegen widerlegen diese. 

"Der Fußball ist bunt, ist vielfältig – das ist eine Lebenslüge, die wir uns seit den Weltmeisterschaften 2006, 2010 und 2014 einreden. Er ist auch bunt, aber eben nicht da, wo die Entscheidungen getroffen werden", sagte Blaschke. "Menschen mit Einwanderungsgeschichte sind teilweise überrepräsentiert. Das passt gut in dieses Bild von DFB und Funktionären, die immer sagen, der Fußball ist durchlässiger. Was sie aber nicht erwähnen, ist, dass dort, wo die Entscheidungen getroffen werden, hauptsächlich weiße Männer am Werk sind", sagt er.

Kritisch hinterfragen solle man außerdem, warum Menschen mit Einwanderungsgeschichte zwar häufig auf dem Spielfeld vertreten sind, als Trainer und Führungskräfte aber oft unterrepräsentiert sind. In "Spielfeld der Herrenmenschen" fordert Ronny Blaschke deshalb auch für den deutschen Fußball eine "Affirmative Action", die Bevorzugung von Minderheiten.

Fußball kann Jugendliche für politische Themen sensibilisieren

"Man erreicht mit dem Fußball junge Menschen und kann sie gleichzeitig für politische Themen auch sensibilisieren. Fußball ist ein wichtiger Teil der Sozialisation vor allem für viele Jungs und junge Männer", sagte Ronny Blaschke.

Wie wichtig für viele Jugendliche mit Einwanderungsgeschichte der Fußball ist, beschreibt Ronny Blaschke in seinem Buch unter anderem am Beispiel des Sportclubs Al Hilal aus Bonn. Bereits die jugendlichen Spieler seien Rassismus ausgesetzt, die Herkunft ihrer Eltern immer präsent. "Ausgrenzungserfahrungen können dazu führen, dass Heranwachsende in ihrem Alltag ständig Ungerechtigkeiten vermuten und ihre Identifikation mit dem deutschen Staat schwindet", wird der Vorsitzende und Trainer des Vereins Younis Kamil in "Spielfeld der Herrenmenschen" zitiert. 

Migrationsgeschichten sind im Publikum der Stadien – auch in Stuttgart - stark unterrepräsentiert. Ronny Blaschke möchte mit seinem Buch auch zum Nachdenken anregen, welche Traditionen und Mechanismen dazu führen, dass sich nicht-weiße Menschen in den Fankurven oft nicht willkommen fühlen. "Manchmal sind da auch so banale Rituale wie Bier oder Bratwurst, das kann ja auch schon abschreckend wirken", sagte Blaschke. Um diese Offenheit anzupeilen, sollen Fans sich ihre eigenen stereotypen Denkmuster eingestehen.

Traumata müssen anerkannt werden, damit die Fankurve diverser wird

Auch das Anerkennen der deutschen (Fußball-)Geschichte spiele eine große Rolle: Gastarbeiter und Vertragsarbeiter durften erst spät eigene Vereine gründen, Unterstützung vom DFB blieb laut Blaschke meist aus. In den 80ern und 90ern gingen rechtsextreme Hooligans im Stadionumfeld auf "Ausländerjagd", wie es Ronny Blaschke in seinem Buch nennt. Diese Traumata sollen laut Blaschke anerkannt werden. Er wünscht sich, dass sozialpädagogische Fan-Projekte auch auf migrantische Milieus zugehen. "Die Gesellschaft hat sich verändert und das könnte auch der Fußball spiegeln. Aber die meisten Stadien in den oberen Ligen sind voll, deswegen haben viele gar nicht den Impuls, etwas zu verändern."

Info: Das Buch "Spielfeld der Herrenmenschen" von Ronny Blaschke

Ronny Blaschkes Buch "Spielfeld der Herrenmenschen" ist 2024 beim Verlag Die Werkstatt erschienen. Mittlerweile ist es auch als E-Book erhältlich. Den Link zum Buch finden Sie hier, mehr über Ronny Blaschke und seine Arbeit finden Sie hier.

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