Stuttgart & Region

Chemotherapie statt Vorlesung: Wie ist es, jung an Krebs zu erkranken?

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Symbolbild. © Jon Tyson über unsplash.com

Stuttgart. Jährlich erhalten in Deutschland laut Deutscher Krebshilfe rund 500.000 Menschen eine Krebs-Diagnose, darunter sind etwa 15.000 junge Erwachsene zwischen 15 und 39 Jahren. "Mit Mitte zwanzig fühlt man sich unsterblich. Plötzlich ist das vorbei", sagt Claudia, die selbst mit 26 die Diagnose Leukämie bekommen hat. Mittlerweile ist sie 40 und organisiert den Treffpunkt Stuttgart der Deutschen Stiftung für junge Erwachsene mit Krebs. Hier tauschen sich Betroffene zwischen 18 und 39 Jahren aus. "Bei anderen Selbsthilfegruppen war ich immer die Jüngste, bis ich den Treffpunkt Stuttgart gefunden habe. Hier geht es um das Alter und nicht um die Erkrankung, das unterscheidet uns von anderen Gruppen", sagt Claudia. Weil sie hier alle in jungem Alter ihre Diagnose erhalten haben, geht es um mehr als Krankheitsverläufe und Medikamente. Es geht um ihre Träume für die Zukunft, Barrierefreiheit in Hochschulen, Dating und Freundschaft – aber auch um das Weiterleben mit einer Krankheit, die jederzeit als Rezidiv oder in anderer Form wiederkommen kann. Welche Erfahrungen diese jungen Erwachsenen machen und wie sich ihr Alltag von dem anderer unterscheidet, haben sie mit uns geteilt.

Krebs-Erkrankung und Studium: Praxissemester, Auslandssemester und dann ein Cut

Claudia war zum Zeitpunkt ihrer Leukämie-Diagnose am Ende ihres Studiums. Nach einem Praxissemester und einem Auslandssemester stand das letzte Semester bevor "und dann war da plötzlich ein Cut." Nach dem Studium wollte sie nach München ziehen, aber daraus wurde nichts. "Am Tag meiner Immunchemotherapie wäre meine letzte Prüfung gewesen, meine Eltern haben während meiner Therapie mein WG-Zimmer ausgeräumt", sagt sie. Die Uni habe sie nach der Chemotherapie, einer Knochenmarkspende und einer überstandenen Gehirnblutung unterstützt und die Prüfungsordnung so geändert, dass sie schriftliche Prüfungen mündlich ablegen konnte.

"Ich kann kein Studium beginnen, weil es körperlich noch nicht geht", sagt Teresa . Sie hatte mit 14 Jahren einen Hirntumor und ist heute 21. Durch die Tumorerkrankung ist sie auf einem Ohr taub und hat kein Richtungshören mehr, was sie in Gesprächen, vor allem in unruhiger Umgebung, einschränkt. Die Therapie hat sie schlecht vertragen, es folgten Schäden im Magen-Darm-System. Auch die Produktion ihrer Sexual- und Wachstumshormone wurde dadurch eingeschränkt – was sich auch auf den Muskelaufbau auswirkt. Sie hofft darauf, nächstes Jahr fit genug zu sein, um ein Studium beginnen zu können."Ich bin weit weg vom Normalzustand. Manchmal belastet das mich, aber eigentlich komme ich ganz gut zurecht", sagt sie.

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Teresa hatte mit 14 Jahren einen Hirntumor. Heute ist sie 21. © privat

Clara hat bereits studiert, sie hätte sich aber ein anderes "Studi-Leben" gewünscht. Mit 18 Jahren bekam sie ebenfalls die Diagnose Hirntumor, durch die Erkrankung ist sie gehbehindert. In die Hochschule sei sie damals mit dem Taxi gefahren, weil der öffentliche Nahverkehr nicht barrierefrei ist. Auch die Hochschule in Stuttgart "war nicht wirklich barrierefrei", sagt sie. "Ich hatte zwar Schlüssel für alle Aufzüge und durfte einen Rollstuhl in Absprache mit den Hausmeistern immer in der Hochschule lassen. Es gab aber auch eine Brandschutztür an der Behindertentoilette, die ich alleine nicht aufbekommen habe." Ein Studium mit (Geh)Behinderung sei vor allem mit viel Organisation verbunden. Heute sei sie mobiler und könne ihren Alltag besser alleine bewältigen. Für ihren Master möchte sie gerne weiter wegziehen, am liebsten in eine große Stadt.

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Clara hat in der Uni Freundschaften geschlossen, die bis heute halten. © privat

Kneipentour im Rollstuhl: Neue und alte Freunde

In ihrem Studium hat Clara Freundschaften geschlossen, die bis heute halten. "Ich wollte im ersten Semester gerne an der Kneipentour teilnehmen und habe mit meiner Schwester hin und her überlegt, ob das möglich sein wird. Ich kannte ja auch niemanden", sagt sie. In der Einführungswoche kam sie mit einem anderen Studierenden ins Gespräch und fragte ihn nach einem kurzen Gespräch, ob er mit ihr zur Kneipentour gehen würde "auch wenn ich im Rollstuhl sitze". "Für ihn war das alles selbstverständlich. Wir sind auch heute noch befreundet", sagt sie.

Auch aus der Therapie ist eine Freundschaft entstanden – mit Teresa . "Für mich war das damals total wichtig, junge Menschen mit Krebserkrankungen kennenzulernen", sagt Teresa. Unter anderem habe sie sich über Social Media mit anderen gleichaltrigen Betroffenen vernetzt. Eine Influencerin, die öffentlich über ihre Krankheit gesprochen hat, war für sie "ein großes Vorbild". Auch von Freundinnen, die sie bereits vor ihrer Krebs-Diagnose kannte, bekam sie Rückhalt. "Meine beste Freundin hatte gar keine Berührungsängste. Sie war für mich wie Familie, das war sehr wertvoll", sagt sie. Zu anderen Freunden wollte Teresa oft nur wenig Kontakt, gerade wenn es ihr besonders schlecht ging und ihr die Kraft fehlte.

Claras Freunde reagierten anders auf ihre Diagnose: "Das Schwierigste war, dass die meisten meiner Freunde mir und meiner Erkrankung mit Angst und Vorsicht begegnet sind. Sie waren überfordert und wussten nicht, wie sie mit mir umgehen sollen", sagt sie. Manche ihrer Freunde haben sich kaum gemeldet, andere gar nicht mehr. "Das ist natürlich eine schwierige Situation, ich weiß selber nicht, was der beste Weg gewesen wäre", sagt sie.

"Ich weiß, ich kann mich auf mich verlassen": Claudias Erfahrung mit Dating

Die Krebs-Diagnose verändert Beziehungen – familiäre wie freundschaftliche und auch die mit sich selbst. Wie ist es, nach einer Leukämie-Erkrankung einen neuen Partner zu suchen? Claudia hatte nach ihrer Stammzellenspende eine Gehirnblutung und ist seitdem gehbehindert. "Mit meiner sichtbaren Behinderung weiß immer jeder direkt, dass ich krank bin und war. Das ist bei einer neuen Arbeitsstelle so und auch beim Dating", sagt sie. Nach der Krankheit gehe sie anders mit dem Leben um. "Da braucht man jemanden, der empathisch genug ist", sagt sie.

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Claudia war zum Zeitpunkt ihrer Leukämie-Diagnose am Ende ihres Studiums. © privat

Seit wenigen Monaten hat sie nun einen neuen Partner. Ob er mit ihr eine weitere Diagnose und Krankheit durchstehen könnte, war in der Kennenlernphase für sie kein Kriterium: "Ich weiß, ich kann mich auf mich verlassen. Das ist alles was zählt."

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