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Diagnose Boreout-Syndrom: Wenn Langeweile und Unterforderung krank machen

Betroffene von Boreout sind, meist bei der Arbeit, gelangweilt und unterfordert. Symbolfoto.
Betroffene von Boreout sind, meist bei der Arbeit, gelangweilt und unterfordert. Symbolfoto. © Pixabay/Magnetme

Vom Nichtstun gestresst sein und Unterforderung als Belastung empfinden. Klingt paradox, dieser Zustand kann aber tatsächlich krank machen: Boreout leitet sich aus dem englischen Verb „to be bored“ ab und bedeutet „sich langweilen“. Betroffene sind gelangweilt und unterfordert – das kann in Bezug auf die Arbeit, aber auch in anderen Lebensbereichen sein. Sabrina Betz arbeitet als Psychotherapeutin in Schwieberdingen im Kreis Ludwigsburg und bietet Beratungen für Boreout-Betroffene an. Wir haben mit ihr über Symptome, Auslöser und Tipps gesprochen.

Boreout bezieht sich im Gegensatz zu Burnout nicht auf eine Überforderung, sondern auf eine Unterforderung bzw. Langeweile oder Desinteresse. „Boreout ist keine definierte Krankheit, sondern ein Gemütszustand“, erklärt Betz. Die Symptome zu Burnout seien ähnlich, die Auslöser aber quasi das Gegenteil. 

Arbeit sollte uns nicht nur Geld bringen

Grundsätzlich sei dieser Gemütszustand in verschiedenen Bereichen anzutreffen, erklärt Betz. Wenn man zum Beispiel bei der Arbeit zu wenig zu tun hat, oder die Tätigkeiten nicht den eigenen Fähigkeiten entsprechen, kann das zu Boreout führen. Genauso gut könne aber auch die Mutter in Elternzeit, einen Rentner oder Arbeitslosen betroffen sein. Die meisten Menschen verbringen aber die meiste Zeit des Tages bei der Arbeit. „Das sollte dann schon eine Beschäftigung sein, die uns guttut und uns etwas bringt - und zwar nicht nur Geld auf dem Konto.“

Typische Symptome bei Boreout

Typische Symptome seien schwierig herauszufinden. Betroffene bemerken meist erst einmal eine allgemeine Unzufriedenheit oder Gereiztheit, sie fühlen sich nicht mehr wohl in ihrer Haut. Im Arbeitskontext heißt das: Man hat keine Lust auf die Arbeit. Das könne aber verschiedene Gründe haben.

Ob durch die Überforderung beim Burnout oder die Unterforderung beim Boreout – auf Dauer führe beides zu Stress. „Es kann sein, dass Betroffene den ganzen Tag nichts zu tun haben und trotzdem völlig gestresst heimkommen“, weiß Betz. Das könne sogar zu Schmerzen, Herzrasen, Anspannung, Verspannungen und Magenproblemen führen. Aber auch seelische Symptome bis hin zu einer Depression seien mögliche Auswirkungen. Auch wenn man meinen müsste, dass fürs Nichtstun bezahlt zu werden, total entspannt sei: „Die meisten Menschen brauchen eine Herausforderung, um zu wachsen und sich zu entwickeln.“

Das kann man gegen Boreout tun

Bei dem Thema ist es aber auch wichtig zu sagen, dass dieser Gemütszustand erst dann kritisch wird, wenn er für einen selbst zur Belastung wird. „Es gibt auch Menschen, die damit vollkommen zufrieden sind, nur den halben Tag beschäftigt zu sein.“ Aber was kann man tun, wenn man nicht mehr zufrieden ist? Kündigung sei nicht der einzige Ausweg: „Den Job zu wechseln, ist nicht immer so einfach", weiß Betz. Sie rät als ersten Schritt das Gespräch mit dem Chef oder den Kollegen zu suchen. „Vielleicht besteht die Möglichkeit, die Arbeitsbedienungen zu ändern oder intern zu wechseln." Gebe es dahingehend keine Optionen, bestehe auch die Möglichkeit, privat Erfüllung zu finden: Zum Beispiel in einem ehrenamtlichen Engagement oder einem neuen Hobby. 

Boreout wird oft geleugnet

„Betroffene neigen dazu, diesen Zustand erst einmal kleinzureden - manchmal aus Unwissenheit, manchmal aber auch in der Hoffnung, dass sich bald etwas ändert." Irgendwann komme man dann an einem Punkt, an dem man überlegen müsse, ob diese Unzufriedenheit das Geld wert ist. „Die meisten Menschen machen ihren Job leider nur wegen des Geldes.“

Sobald man einen Job macht, der nicht den eigenen Werten und Interessen entspricht, laufe man Gefahr ins Boreout zu rutschen. Das könne aber bei jedem Job der Fall sein, wenn es der Falsche ist. „Berufe im sozialen Bereich könnten aber vermutlich eher gefährdet sein, gerade wenn es um das Thema Sinn geht.“ Betz nennt als Beispiel die Suchtberatung. Da seien die Rückfallquoten extrem hoch. „Das kann sich für viele Berater wie Scheitern anfühlen.“

Es kommt häufig zu Fehldiagnosen 

Betroffene versuchen oft erst einmal darüber hinwegzusehen. Sie lassen sich ihre Probleme nicht anmerken und wenden verschiedene Strategien an, um eine Fassade aufzubauen. Das könne so weit gehen, dass Betroffene vorgeben besonders beschäftigt zu sein, um den Anschein nach außen zu wahren. „Wenn man sich überlegt, auf was für Werte unsere Gesellschaft gerade basiert, dann sind wir in einer ziemlichen Leistungsgesellschaft.“ Von Termin zu Termin zu hetzen und einen vollen Kalender zu haben wird eher anerkannt als Däumchen zu drehen. „Burnout beispielsweise wird mehr honoriert und akzeptiert“, so Betz.  

Der Begriff Boreout sei auch noch sehr unbekannt. Das führe zu Fehldiagnosen. Hausärzte sind meistens die ersten Anlaufstellen, wenn es einem körperlich nicht gut geht. Erzählt man dann, dass der Job nervt und man gestresst heimkommt, ist die Diagnose nicht selten Burnout. Das führe dazu, dass Patienten eine falsche Behandlung erhalten. „Ich denke, dass es viele Boreout-Fälle gibt, die aus Unwissenheit nicht als solche benannt werden“, sagt Betz.

Boreout-Beratungen: Die Hemmschwelle ist hoch

Sabrina Betz hat zuerst eine Ausbildung zur Burnout-Präventionsberaterin gemacht. In diesem Zusammenhang wurde Boreout in einem Nebensatz erwähnt und sie hat sich dazu entschlossen eine Ausbildung zur Boreout-Beraterin zu absolvieren. Betz hat aktuell vier Boreout-Fälle - davon kannte nur einer seine Diagnose bevor er zur Beratung kam. Es gebe auch Menschen, denen falle es schwer das richtige Gleichgewicht zu finden. „Manche Betroffene sind auf der Arbeit unterfordert und suchen sich dann so viele Zusatzaufgaben bis sie damit überfordert sind und Schritt für Schritt in ein Burnout rutschen." Sabrina Betz erzählt von einem ihrer Betroffenen, der schon seit 20 Jahren zwischen Boreout und Burnout lebt, weil er für sich einfach nicht das richtige Maß findet.

Betz betont auch, dass es sehr schwierig sei, Boreout-Beratungen im näheren Umkreis zu finden. Das gelte aber auch für psychologische Hilfe im Allgemeinen. Die Wartelisten nehmen kein Ende. Hinzu kommt: „Die Hemmschwelle ist hoch."

Boreout-Beratungen sind sehr individuell

Jeder Mensch ist individuell, dementsprechen sind auch die Beratungen sehr individuell, erklärt Sabrina Betz. Die eigene Kapazitätsgrenze zu finden, sei gar nicht so einfach. „In unserer Welt ist alles im Takt geregelt. Wir Menschen sind aber ein Rhythmus: Uns geht es mal schlechter und mal besser. Wir haben mal mehr und mal weniger Energie. Das muss in Einklang gebracht werden." Da gebe es keine allgemeinen Tipps, die auf jeden zutreffen. Es sei aber wichtig, sich mit den eigenen Werten, Bedürfnissen und Grenzen auseinanderzusetzen, sich zu reflektieren und zu fragen: „Wie fühle ich mich in bestimmten Situationen? Wo finde ich Sinn und Erfüllung in meinem Leben und wie kann ich meine Bedürfnisse befriedigen? Viele neigen dann dazu, der Firma oder den Kollegen die Schuld zu geben", sagt Betz. "Solange man andere dafür verantwortlich macht, kann man für sich selbst wenig ausrichten“

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